# taz.de -- Soziale Netzwerke: Machen 800 Millionen eine Revolution?
       
       > Der Ethnologe Daniel Miller, der Philosoph Peter Trawny und der
       > Literaturwissenschaftler Alexander Pschera – Denker machen sich Gedanken
       > über Facebook.
       
 (IMG) Bild: Hat Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt? Protest auf dem Tahrir-Platz in Kairo Anfang März.
       
       Das Internet, sagen einige, tut dem Denken nicht gut. Umso erfreulicher ist
       es da, wenn sich Denker diesem großen Zusammenschluss von Rechnern
       zuwenden, um in grundsätzlicher Absicht die Frage zu stellen, was man mit
       dem Internet alles anstellen kann, was für neue Formen der Kommunikation
       und des Miteinanders entstehen – oder was damit nicht möglich ist.
       
       So haben sich der Ethnologe Daniel Miller und der Literaturwissenschaftler
       Alexander Pschera bei Facebook umgesehen, während der Philosoph Peter
       Trawny das Medium Internet mit der Revolutionsfrage konfrontiert. Im
       Knotenpunkt sozialer Netze sind stets Menschen, egal, ob es sich um
       Facebook oder eine Dorfkirchengemeinde handelt. Das stellt Daniel Miller
       gleich zu Beginn seines Buchs „Das wilde Netzwerk“ klar.
       
       Er beobachtete das Verhalten von Facebook-Usern auf Trinidad, weniger, um
       herauszufinden, was Facebook ist, als um die Heterogenität des Netzwerks zu
       demonstrieren und zu erfahren, was das Netzwerk für die Gesellschaft und
       soziale Beziehungen allgemein bedeuten könnte.
       
       ## Sich bei Facebook als Ich konstruieren
       
       Von einer Nutzerin erfuhr Miller unter anderem, dass Facebook helfe, sein
       wahres Ich zu zeigen. Denn was man dort als Ich konstruiert, entspreche dem
       eigenen Wesen viel eher als die Person, als die man geboren wird. Die
       Bewohnerin eines kleinen Dorfs hingegen hält die Sozialkontrolle und den
       Klatsch in ihrem Ort für weit schlimmer als auf Facebook, und ein nach
       einer Krankheit an den Rollstuhl gefesselter Menschenrechtsaktivist findet
       über das Netzwerk wieder zu seinem alten kosmopolitischen Leben zurück,
       wenn auch in veränderter Form.
       
       Millers Beobachtungen bringen ihn zu dem Schluss, dass Facebook eine
       Trendwende im Netz eingeläutet hat. Hieß es früher, das Internet vereinzele
       die Menschen, habe Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt und
       erweitert. Der Erfolg des Netzwerks beruhe allerdings auf einer
       konservativen Neigung seiner Nutzer: Diese wollten in erster Linie die
       Beziehungen zu Verwandten oder Freunden wiederherstellen, wenn der Kontakt
       nachgelassen habe.
       
       Für Alexander Pschera ist die Gemeinschaft noch unausweichlicher. Das Netz,
       sagt er in „800 Millionen“, womit er auf die Zahl registrierter
       Facebook-Nutzer anspielt, sei „Teil von uns geworden“, da wir als Nutzer
       mit ihm verwoben seien und es mit unseren Inhalten am Leben hielten.
       Facebook ist für ihn ein „leeres Buch, das zugleich geschrieben und gelesen
       sein will“.
       
       Pschera geht in seiner Deutung einen Schritt über Miller hinaus, wenn er
       konstatiert, dass es nicht nur kein soziales Netz ohne User gebe, sondern
       auch keine Leere des Netzes ohne unsere eigene Leere, unsere „fundamentale
       Einsamkeit“. Mit Facebook sieht er eine neue Sprache entstehen, „ein
       Sprechen des Augenblicks, ein Sprechen ’für alle‘“, das sich jenseits der
       Sphäre des Privaten ereignet.
       
       ## Sehnsucht nach dem Ereignis
       
       Diesen Optimismus möchte Peter Trawny, der mit Pschera auf der
       Internetseite [1][800millionen.de] auch einen Online-Dialog führt, nicht
       teilen. Trawny registriert in „Medium und Revolution“ eine nicht näher
       bestimmte Sehnsucht nach revolutionärer Veränderung, nach dem „Ereignis“.
       
       Doch das „Medium“, die „ökonomische Einheit von Kapital und Technik“,
       worunter auch das Internet und soziale Netzwerke zu fassen sind, verhindere
       eine Revolution: „Das Medium und die Revolution schließen sich aus“, heißt
       es bei ihm kategorisch. Denn das Medium versuche die Revolution zu
       vermitteln und sich so medial einzuverleiben. Die Revolution sei jedoch
       nicht vermittelbar, da sie als Ereignis „unmittelbar“ ist. Vielmehr würde
       die Revolution als Ereignis das Medium – oder zumindest unser Verhältnis zu
       ihm – vernichten.
       
       Keine Frage, für soziale Netzwerke à la Facebook ist in Trawnys Revolution
       wenig Platz. Die Revolution wird schließlich auch nicht vom Fernsehen
       übertragen, wie schon der Poet Gil Scott-Heron wusste. Ob es danach zu den
       von Trawny prophezeiten kleinen Gemeinschaften kommt, in denen ein
       „performativer Kommunismus“ praktiziert wird, wird man dann sehen.
       
       1 Mar 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://800millionen.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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