# taz.de -- Antisemitismus-Forscher über Gauck: „Man darf konservativ sein“
       
       > Das Geschichtsbild von Gauck ist nicht reaktionär, sondern spiegelt eine
       > Durchschnittsmeinung wider, findet Wolfgang Benz. Gespräch über
       > Atheisten, den Holocaust und Sarrazin.
       
 (IMG) Bild: „Man hat noch nie einen Präsidenten nach seinem Geschichtsbild ausgesucht.“ Joachim Gauck zu Besuch in Lodz.
       
       taz: Herr Benz, im Moment wird hart über die Eignung von Joachim Gauck für
       das Amt des Bundespräsidenten diskutiert. Unter anderem wird ihm die
       Verharmlosung des Holocausts vorgeworfen. Hintergrund ist eine Rede von
       2006. In dieser stellt Gauck eine „Tendenz zur Entweltlichung des
       Holocausts“ fest. Wie interpretieren Sie diese Aussage? 
       
       Wolfgang Benz: Mit dieser Aussage ist eine Skandalisierung Gaucks nicht
       möglich. Man muss die Passage im ganzen Wortlaut lesen: „Das geschieht
       dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmords in eine Einzigartigkeit
       überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist.
       Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach
       dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das
       Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das
       den Betrachter erschauern lässt.“ Gauck sagt hier, dass wir uns nicht
       begnügen können, den Holocaust in entrückten Sphären zu sehen und nur zu
       beklagen, zu verfluchen oder zu verdammen.
       
       Also keine Relativierung? 
       
       Nein. Gauck fordert eine Rationalisierung, also eine konkrete Betrachtung
       der Geschichte. Das ist weder Verleugnung noch Verharmlosung.
       
       Aber Herr Gauck sagt, dass Atheisten zum Missverstehen des Holocausts
       neigen – um ihren gottlosen Psychohaushalt zu sanieren. 
       
       Nein, für eine solche Auslegung dieser Aussage muss man entweder sehr
       bösartig sein oder sehr fehlgeleitet.
       
       Was ist daran bösartig? Es ist doch Gauck, der einer Bevölkerungsgruppe die
       Neigung unterstellt, den Holocaust zu überhöhen. 
       
       Dass Gauck als gelernter Pastor die Bevölkerung mehr in Gottesfürchtige und
       Gottlose unterteilt als wir Normalmenschen, ist doch selbstverständlich.
       Ich kann aber nicht entdecken, dass Gauck damit eine Bevölkerungsgruppe vom
       richtigen Verständnis des Holocausts ausschließt.
       
       Herr Gauck hat der DDR Ähnlichkeiten mit totalitären Regimen attestiert.
       Hannah Arendt sah das Erstarken der Künste in der Sowjetunion nach Stalin
       als Beweis dafür, dass die Herrschaft der KP nicht mehr totalitär war.
       Teilen Sie diese Ansicht? 
       
       Nein. Ich bin kein Anhänger der Totalitarismustheorie, trotzdem kann man
       Ähnlichkeiten feststellen zwischen diktatorischen Regimen. 50 Prozent der
       Bundesbürger sehen das ähnlich wie Herr Gauck. Diese Geschichtsauffassung
       bedeutet nichts Schlimmes. Gauck hat den Kommunismus ja nicht mit
       Stalinismus gleichgesetzt, sondern er hat auf Ähnlichkeiten hingewiesen.
       Dass ein Mensch, der in der DDR gelebt hat, diesen Ähnlichkeiten größere
       Bedeutung zumisst als jemand mit einer anderen Sozialisation, ist
       verständlich. Selbst wenn er eine Gleichsetzung vorgenommen hätte, befände
       er sich in höchst konservativer, jedoch in diesem Lande konsensfähiger
       Gesellschaft.
       
       Die Debatte über Gauck mutet anachronistisch an. Trotzdem wird sie mit
       einer bemerkenswerten Härte geführt. Sind solche Debatten Symptom für den
       Wunsch nach Rückversicherung, nach dem Motto: Die EU ist bedroht, die
       Finanzkrise nicht ausgestanden, das Vertrauen in die parlamentarische
       Demokratie geschwächt – jetzt diskutieren wir noch mal das Verhältnis zum
       Holocaust, in diesem Themenfeld kennen wir uns wenigstens aus? 
       
       Ich glaube nicht, dass der Holocaust Debattenthema ist. Aber heute ist das
       probate Mittel nicht die Auseinandersetzung mit Argumenten, sondern die
       Kampagne. Alles, was kampagnenfähig ist, wird eingesetzt.
       
       Auch Ihnen wurde die Relativierung des Holocausts vorgeworfen, da Sie
       Islamfeindlichkeit mit Antisemitismus verglichen haben. 
       
       Ja. Das schärfste Mittel ist, jemanden als Antisemiten oder als nicht
       korrekt im Umgang mit dem Holocaust zu stigmatisieren. Der Holocaust
       interessiert dabei überhaupt nicht, sondern er dient lediglich als
       Munition. Es gibt keine Debatte über die Einordnung des Holocausts. Der
       Holocaust ist Gegenstand sanktionierter Gedenkveranstaltungen, aber kein
       Debattengegenstand. Die eigentlichen Debatten finden auf einem anderen
       Gebiet statt. Da geht es um die Integration von Muslimen und die
       Zuwanderung. Das sind Identitätsdebatten über uns und unser Verhältnis zur
       Globalisierung, zu Europa.
       
       Auch dazu hat sich Herr Gauck geäußert und Sarrazin Mut attestiert. 
       
       Ich weiß nicht, wozu Sarrazin da Mut gehabt haben soll. Doch ich denke, man
       hat ein Recht darauf, konservativ zu sein. Ich bin es nicht. Doch muss ich
       einen Andersdenkenden nicht demontieren, nur weil er genauso denkt wie ein
       beklagenswert großer Teil unserer Bevölkerung.
       
       Welchen Einfluss wird ein Präsident mit diesem Geschichtsbild auf die
       Debattenkultur nehmen? 
       
       Der Präsident hat ja vor allem notarielle Funktionen. Er unterschreibt
       Urkunden und empfängt erfolgreiche Sportler, und im günstigsten Fall hält
       er auch richtungsweisende Reden. Fallen diese zu rückwärtsgewandt aus, wird
       sich dagegen intellektueller Protest erheben, was eine gute Sache ist. Man
       hat noch nie einen Präsidenten nach seinem Geschichtsbild ausgesucht.
       Sondern man verlangt von einem Präsidenten, dass er integer ist, dass er
       nicht aus dem Amte schleichen muss, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn
       ermittelt. In einer pluralistischen Gesellschaft darf er dann in seinem
       Geschichtsbild Nuancen haben.
       
       Was lässt sich aus der Gauck-Debatte lernen? 
       
       Nichts. Ich bezweifle, dass es sich überhaupt um eine Debatte handelt.
       Bislang gibt es ja nur ein paar Angriffe von Leuten, die Gauck nicht mögen.
       
       Angesichts des Streits über Wulff und Gauck – sollen wir am Amt des
       Bundespräsidenten festhalten? 
       
       Unbedingt. Man hat in letzter Zeit ja weniger über das Amt als über seinen
       Amtsinhaber gestritten, der sich als zu klein erwiesen hat. Die
       Repräsentation des Staates ohne eigene Machtbefugnis halte ich für eine
       kluge und erhaltenswerte Institution.
       
       4 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
       ## TAGS
       
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