# taz.de -- Drei Protokolle aus Griechenland: Wir lassen uns nicht verstecken
       
       > Neonazis auf Patrouille, Habenichtse mit Laptops, die Einsamkeit der
       > Arbeitenden: Drei GriechInnen erzählen, wie die Schuldenkrise das Land im
       > Griff hält.
       
 (IMG) Bild: Wie war das mit dem Rettungsschirm? Griechische DemonstrantInnen.
       
       ## Theater auf Griechisch
       
       Theater auf Griechisch kann ich nur hier machen. Deshalb kann ich nicht
       gehen.
       
       Die freie Kulturszene Griechenlands befindet sich gerade im Schwebezustand.
       Also haben wir Theaterleute uns als Mavili-Künstlerkollektiv
       zusammengeschlossen und das Embros-Theater im Athen besetzt. Das Theater
       wurde 2006 vom Kulturministerium geschlossen. Jetzt ist es unser Zentrum –
       eine basisdemokratische Bühne.
       
       Uns bietet Embros die Möglichkeit zu proben, uns auszutauschen und Stücke
       aufzuführen. Wir wollten ein Forum schaffen, um die allgemeine Stagnation
       des Denkens und Handelns zu beenden. Die Bewohner können kommen und sich
       unsere Stücke umsonst ansehen. Gerade arbeiten wir an einem
       Festivalprogramm für März, da sollen verschieden Stücke aufgeführt werden.
       Auch eine Theaterschule aus Amsterdam wird dabei sein.
       
       Die griechische Gesellschaft hat sich politisiert, das spiegelt sich auch
       in den Programmwünschen wider. Das Publikum ist offen für einen breiteren
       sozialpolitischen Diskurs. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich das
       langsam wieder zurückentwickelt. Die Menschen in Athen gehen nicht mehr so
       oft aus dem Haus. Viele haben ihren Alltag verloren und sind sehr unsicher.
       
       Eine Folge davon ist der Rassismus, der sich in Athen breitmacht. Der große
       Feind kann nicht besiegt werden, also sucht man den kleinen Feind auf der
       Straße. Früher war Athen ein kulturelles Zentrum. Die jungen Griechen sind
       alle in die Stadt gezogen, ähnlich wie in Berlin. Davon ist jetzt nicht
       viel übrig. Es gibt wenig Möglichkeiten, der Armut zu entkommen. Die jungen
       Leute resignieren oder werden aggressiv.
       
       Ich persönlich bin für die Idee der EU, aber so wie Europa gerade
       funktioniert, tut es den Europäern nicht gut. Das ist weit weg von
       Demokratie. In Griechenland hatten wir nie ein gut organisiertes System
       oder Parlament, es gab immer viel Vetternwirtschaft. Ein paar wenige haben
       sich bereichert und das Land in den Ruin geführt. Die Konsequenzen muss das
       arbeitende Volk tragen.
       
       Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Einerseits wollen wir nicht aus
       der EU austreten, weil wir Angst vor dem haben, was passieren könnte.
       Andererseits führt die jetzige Lage nur dazu, dass sich die Gesellschaft
       spaltet. Die Läden sperren zu und immer mehr Leute werden entlassen. Ich
       frage mich, ob das der richtige Weg ist, um eine Gesellschaft zu
       stabilisieren.
       
       Und ich frage mich auch, ob Demokratie bei dieser Armut, die gerade in
       Griechenland herrscht, überhaupt funktionieren kann. Anestis Azas 
       
       ## 
       
       ## Die Leute hungern
       
       Sogar Familien mit kleinen Kindern leben auf der Straße. Im Dezember war
       ich noch in Athen. In den Straßen des Zentrums sieht man das Elend an jeder
       Ecke. Dort stehen überall Pappkartons, in denen Menschen leben. Obdachlose
       gab es früher auch schon, aber jetzt sind es so viele.
       
       Die Kinder gehen morgens oft zur Schule, ohne gegessen zu haben. Das
       Bildungsministerium gibt den Schulen jetzt endlich Geld, nachdem Medien
       berichtet hatten, dass einige Schüler vor Hunger ohnmächtig wurden. Viele
       Eltern sind so verzweifelt, dass sie den Nachwuchs in SOS-Kinderdörfer
       schicken, ihnen fehlt einfach das Geld. Der Andrang ist enorm. Ich frage
       mich nur, wovon die denn die Kinder ernähren sollen? Die sind doch auch auf
       Spenden angewiesen.
       
       Persönlich kenne ich niemanden, der obdachlos geworden ist, aber viele
       Freunde sind arbeitslos. Die ziehen wieder zurück zu ihren Eltern. Viele
       wandern auch aus. Griechenland ist kein Sozialstaat. Denn der Staat hilft
       uns nicht. Wir helfen uns. Ich finde es selbstverständlich, dass wir das
       tun, aber ich frage mich natürlich, wie es sein kann, dass der Staat seine
       Verantwortung allein auf uns abwälzt. Während die Leute auf den Straßen
       verhungern, leben die Politiker in ihrem Elfenbeinturm. Es ist
       frustrierend.
       
       Die Menschen in Athen müssen sich selbst organisieren, um über die Runden
       zu kommen. Es ist schön zu sehen, dass es in der Bevölkerung so viel
       Solidarität gibt. Es gibt Tauschveranstaltungen und große Unternehmen
       organisieren mit der Kirche zusammen Sammlungen und Essensausgaben. Da kann
       jeder hinkommen. Es ist seltsam zu sehen, dass da auch Leute mit einem
       Apple-Laptop sitzen. Da entsteht ein ganz neues Bild von Armut.
       
       Man merkt auch, dass der Rassismus in Athen mehr wird. Das war schon die
       letzte Jahre so, aber die Leute wollten es nicht sehen. In den Medien hört
       man auch jetzt wenig darüber, weil die Wirtschaft das große Thema ist. Ein
       Freund von mir wurde mitten im Viertel Exarcheia krankenhausreif geprügelt,
       weil er aus dem Sudan kommt. In einem Viertel von Athen, es heißt Patissia,
       gibt es nur noch Griechen. Da gehen Neonazis auf Patrouille und verjagen
       die Ausländer.
       
       Vor zwei Jahren ist das zu Beginn der Krise eskaliert. Mein Mann lebt in
       Athen, er erzählt, das halbe Zentrum sei ausgebrannt. Mich macht das
       traurig, keiner und nichts hilft uns im Moment.
       
       Ich weine viel. Ich bin zerrissen. Ich habe ein kleines Kind, das ich unter
       den herrschenden Umständen nicht in Griechenland großziehen will.
       Andererseits wäre ich gerne in Athen, um auf die Straße zu gehen und zu
       schreien. Natascha Siouzouli 
       
       ## Die Oma demonstriert neben dem Studenten
       
       Die Leute mit Job werden bald vereinsamen, glaube ich. Man hat einfach
       einen anderen Rhythmus. Eine Zweiklassengesellschaft in derselben
       Generation. Die mit Job werden sich immer als etwas Besseres sehen, als die
       ohne. Das ist die menschliche Natur, man will sich immer selbst auf die
       Schulter klopfen.
       
       Ja, es ist Krise, aber ich habe auch einen Job. Du könntest das auch
       schaffen. Ich weiß, das ist unfair.
       
       Ich arbeite für ein amerikanisches Unternehmen in Athen. Zuvor hatte ich es
       natürlich auch im Ausland versucht und wurde bei den Bewerbungsgesprächen
       diskriminiert. Ob es an meiner griechischen Herkunft liegt? Keine Ahnung,
       aber mir wurde bei den Absagen erklärt, dass sie Leute suchen, die sich an
       Orten mit internationalen Institutionen, wie Brüssel oder Wien, besser
       anpassen können. Absurd!
       
       Die haben versucht, mir zu erklären, dass jemand von irgendeiner scheiß Uni
       sich besser in Brüssel anpassen kann. Ich habe in sieben verschiedenen
       Städten der Welt gelebt und an zwei international sehr namhaften
       Universitäten studiert. Wahrscheinlich müsste man skandinavischer aussehen.
       Der Grieche wird in den ausländischen Medien als faul, unkreativ und
       korrupt porträtiert. Das stimmt aber nicht! Ich habe auch in Frankreich
       gearbeitet und die Franzosen sind bei der Arbeit keine Spur produktiver
       oder engagierter als wir Griechen.
       
       Fünfzig Prozent der Griechen in meinem Alter sind arbeitslos. Darunter
       viele Freunde. Alles hervorragend ausgebildete Leute, die arbeiten wollen.
       Manche beginnen jetzt ein weiteres Studium, andere versuchen einen Job im
       Ausland zu ergattern, was wie gesagt eher schwierig ist. Meine Schwester
       und ich müssen nicht weggehen, weil wir nicht arbeitslos sind. Glück
       gehabt.
       
       Denn jeder ist von der Krise betroffen. Ich habe Freunde aus wohlhabenden
       Familien, die jetzt vor dem Nichts stehen. Diese Leute wissen nicht, wie es
       ist, arm zu sein, wie man mit wenig auskommt oder überhaupt mit Geld
       umgeht. Natürlich schämen sie sich!
       
       Ich sage das nicht, weil ich irgendwelche bourgeoisen Ideale bewahrt haben
       will. Bei den staatlichen Essensausgaben sieht man Anwälte, Ärzte,
       Architekten. Das ist unglaublich. Diese Leute sehen nicht aus wie faule
       Menschen.
       
       Nun demonstriert die Perlenohrringe tragende Oma neben dem hoffnungslos
       Arbeit suchenden Jungakademiker und die Regierung versucht das vor dem Rest
       der Welt zu verstecken. Deshalb ist die Polizeigewalt beiden
       Demonstrationen enorm. Niemand soll erfahren, wie furchtbar das Leben hier
       ist. Kleopatra Kyrimiei
       
       7 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) S. Hödl
 (DIR) I. Nergiz
       
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