# taz.de -- Kolumne Besser: Im Zweifel deutsch
       
       > Grass, Sarrazin, Augstein: Wie man immer tiefer in die Scheiße rutscht
       > und trotzdem den Beifall eines Millionenpublikums bekommt.
       
       Wenn es um Israel geht, sind die deutschen Medien nicht etwa, wie der
       Großdichter Günter kürzlich [1][meinte], gleichgeschaltet, sie sind nur
       gleichgerichtet.
       
       Anders gerichtet sind nur die Nazipostille Deutsche Stimme, der
       Leitartikler der spätstalinistischen jungen Welt und eben der Mann, der am
       Sonntagabend mit dieser Erkenntnis bei Günther Jauch aufwartete: Jakob
       Augstein, Minderheitsgesellschafter des Spiegel, Gutsherr des Freitag und
       nebenher – weil nicht genug Leser nach der Meinung seines „Meinungsmediums“
       fragen – Kolumnist bei Spiegel Online.
       
       Schon vor der Jauch-Sendung [2][sprang] Augstein in seiner Kolumne „Im
       Zweifel links“ für den Großdichter in die Bresche: „Grass ist weder
       Antisemit noch ein deutscher Geschichtszombie.“ Zwar wusste er für diesen
       Befund nichts vorzutragen, das man als Argument hätte durchgehen lassen
       können, aber das brauchte er auch nicht. Denn in Deutschland gibt es zwar,
       wie alle wissen und schlimm finden, Antisemitismus, es gibt aber keine
       Antisemiten.
       
       Und wenn, dann verstecken sie sich irgendwo in Zwickau und in Neukölln oder
       sie schreiben das Internet voll, auf keinen Fall aber halten sie Reden in
       der Paulskirche, sitzen sie im Bundestag oder sind sie Träger des
       Literaturnobelpreises.
       
       ## Ein schrecklicher Verdacht über Hitler
       
       Das meinen auch viele derer, die für Grass nichts übrig haben – ob aus
       Naivität oder Denkfaulheit, jedenfalls in der irrtümlichen Annahme, dass
       Antisemitismus und eine bestimmte Form der Kritik an Israel zweierlei Dinge
       seien, dass in der westlichen Welt der heutige Antisemit genauso aussehe
       wie der vor 1945; kurz: dass nur der Antisemit ist, der es auch sein will.
       
       Die Titanic hat dieses Phänomen vor zehn Jahren, es war zum Höhepunkt der
       Möllemann-Debatte, in wunderbarer Weise auf den [3][Punkt] gebracht:
       „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“
       
       Erst recht lässt Augstein den Verdacht erst gar nicht aufkommen, dass ein
       ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, der die Deutschen zu „Überlebenden“
       umdichtet, dem Staat Israel vorwirft, ein anderes Volk auslöschen zu
       wollen, sich selbst zum Opfer einer Meinungsdiktatur stilisiert, und der,
       wie Klaus Bittermann in der Jungle World [4][aufgezeigt] hat, schon früher
       den Juden die Meinung gegeigt hat, dass so einer also ein Problem mit den
       Juden haben könnte. Dafür versucht Augstein, den gröbsten Unfug in dem
       [5][Gedicht], das keines ist, zu korrigieren: „Die Auslöschung des
       iranischen Volks, vor der er [Grass] warnt, steht nicht auf der
       israelischen Agenda.“
       
       ## Niemand hat die Absicht, irgendwen auszulöschen
       
       Denn Augstein weiß, dass niemand die Absicht hat, irgendwen auszulöschen;
       die israelische Regierung nicht den Iran und das Mullah-Regime nicht
       Israel. Als bei Jauch das Gespräch auf die Vernichtungsphantasien des
       Mahmud Ahmadinedschad kam, rief Augstein: „Das hat er nicht gesagt!“, und
       vielleicht weiß er es wirklich nicht, dass der iranische Präsident wie
       Revolutionsführer Ali Chamenei nur zu oft die Auslöschung des
       „zionistischen Gebildes“ [6][verkündet] haben, als dass man sich mit
       angeblichen Übersetzungsfehlern aus der Affäre ziehen könnte.
       
       Nicht nur die Sache mit dem angeblich falschen Zitat erinnert, Alan Posener
       hat in der Welt darauf [7][hingewiesen], an jene Debatte, die vor einiger
       Zeit ein anderer deutscher Großdenker namens Thilo Sarrazin angezettelt
       hat: Man kommt in auflagenstarken Blättern zu Wort und kriegt mehr
       Fernsehmikrofone vor die Nase gehalten, als es noch der selbstverliebtesten
       Betriebsnudel lieb sein kann, klagt aber darüber, dass die Medien
       gleichgeschaltet seien.
       
       Man spricht über Dinge, die dauernd Thema sind (die israelische Politik,
       die Probleme der Einwanderer), fabuliert aber von „Tabus“, die es im Namen
       einer schweigenden Mehrheit zu brechen gelte. Man antizipiert alle Einwände
       und diskreditiert sie sogleich. (Wo die Keule früher zum Atze gehörte, ist
       sie seit Walser vom Wort Antisemitismus kaum noch wegzudenken; seit
       Sarrazin verhält es sich mit dem Wort Rassismus ähnlich.)
       
       ## Immer tiefer in die Scheiße
       
       Außerdem: Es finden sich ein paar Schlaumeier, die die gröbsten Patzer
       zurechtrücken, um hernach allen ressentimentgeladenen Schwachsinn als
       „Einschnitt“ (Augstein über Grass) zu feiern. Man schwelgt als „Angehörige
       des einzigen Volks, das in der jüngeren Geschichte den ernsthaften Versuch
       unternommen hat, ein anderes Volk 'auszulöschen' und 'abzuschaffen'“ (Alan
       Posener) in morbiden Untergangsphantasien.
       
       Und man rutscht beim Versuch, die Scheiße von sich zu wischen, immer tiefer
       in den braunen Dreck – so wie Augstein bei Jauch: „Deutsche Verbrechen
       werden kein Stück besser, wenn Israel jetzt seinerseits Verbrechen begeht.“
       Nein, die deutschen Verbrechen werden nicht besser, sie werden nur
       unbedeutender, austauschbarer, wenn Israel sich selbst verteidigt.
       
       ***
       
       Besser: Wenn Augstein links ist, Dirk Niebel aber als Stimme der Vernunft
       spricht, ist man besser irgendetwas anderes. Doch zum Glück sind Grass und
       Augstein nur ein bisschen links, vor allem aber sind sie so Brot wie
       deutsch.
       
       16 Apr 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Grass-und-die-Verschwoerung/!91091/
 (DIR) [2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,826163,00.html
 (DIR) [3] http://www.titanic-magazin.de/postkarten.html?cHash=806d1d616d&card=2116
 (DIR) [4] http://jungle-world.com/artikel/2012/15/45225.html
 (DIR) [5] /Das-Gedicht-von-Guenter-Grass/!91011/
 (DIR) [6] http://www.jer-zentrum.org/ViewArticle.aspx?ArticleId=154
 (DIR) [7] http://www.welt.de/kultur/article106168975/Was-Thilo-Sarrazin-und-Guenter-Grass-verbindet.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
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