# taz.de -- Training für Olympia in Berlin: London Calling
       
       > Das größte Leistungszentrum für deutsche Sportler steht in
       > Hohenschönhausen. Bis zu 700 AthletInnen trainieren hier für ihr großes
       > Ziel - die Olympischen Sommerspiele
       
 (IMG) Bild: Da soll's hingehen: Organisator Sebastian Coe mit der Olympischen Flamme in London, Sommer 2011
       
       Alexander Nobis hat die letzten 1.000 Meter vor sich, er kneift die Augen
       zusammen. Seit 30 Minuten läuft er gegen das Band an – zunächst langsam,
       nun im schnellen Wettkampftempo. Es ist Viertel vor zehn am Freitagmorgen.
       Nobis ist Moderner Fünfkämpfer und absolviert einen Stufentest auf dem
       Laufband. Dabei wird das Band intervallweise schneller gestellt, gerade ist
       es bei 18 Stundenkilometern angekommen.
       
       Der 21-jährige Sportler atmet schwer, er hechelt fast. „Eine Stufe noch“,
       keucht er. Nobis ist angeschnallt auf dem Band, er trägt Elektroden unter
       einem Netzhemd auf der Haut, eine Atemmaske sitzt auf seinem Mund. Neben
       ihm blinken auf zwei großen Monitoren Kurven und Zahlen: Laboratmosphäre.
       „Dort sehen wir Puls und Sauerstoffwerte beim Atmen“, sagt Elke Neuendorf,
       Sportmedizinerin am Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen, während sie auf
       einen der Bildschirme zeigt. „Und links messen wir die Herzfrequenz.“
       
       Hier, am Sportforum, befindet sich mit dem Olympiastützpunkt das größte
       Leistungssportzentrum Deutschlands. Die 35 festen Mitarbeiter vor Ort –
       darunter Trainer, Sportmediziner und Psychologen, Physiotherapeuten und
       Laufbahnberater – betreuen bis zu 700 AthletInnen in 17 olympischen
       Disziplinen.
       
       Die meisten von ihnen arbeiten derzeit auf dieses eine Ziel hin: London
       2012. Nur noch zwölf Wochen sind es bis zum Beginn der Sommerspiele Ende
       Juli. „Man merkt schon, dass das Olympiajahr etwas Besonderes für die
       Athleten ist“, sagt Neuendorf. „Da sind alle ein bisschen kribbelig.“
       
       Nobis hat es geschafft. Noch ein bisschen Auslaufen, dann steigt er vom
       Band. Die Adern im Gesicht zeichnen sich ab, der Blick des schmalen, großen
       Sportlers geht ins Leere. „Die Fünfkämpfer haben meistens Topwerte“, sagt
       Neuendorf – zum Fünfkampf gehören die Disziplinen Fechten, Schwimmen,
       Reiten, Schießen und Crosslaufen. Für Nobis sieht der Stufentest gut aus:
       Atem- und Herzfrequenz, Belastungspuls – alles bestens. Noch ist er
       allerdings nicht für Olympia qualifiziert, der Leistungscheck am
       Olympiastützpunkt ist ein weiterer Schritt auf dem Weg dorthin.
       
       Seit 1987 gibt es den Stützpunkt in Berlin. Zunächst war er im Olympiapark
       angesiedelt, dann zog die Zentrale nach der Wende ins Sportforum. Seither
       findet sich hier die Eliteförderung des Sports. Bundesweit gibt es 19
       Olympiastützpunkte – jeweils mit regionaler Schwerpunktsetzung der
       Sportarten. In Berlin liegt der Schwerpunkt auf den Disziplinen Schwimmen,
       Leichtathletik, Fechten, Judo, Boxen und den Eisdisziplinen. Die
       Leistungssportler und ihre Trainer finden hier an einem Ort ein gebündeltes
       Betreuungsangebot vor.
       
       Das Gelände des Stützpunkts breitet sich auf einem Areal von 45 Hektar aus
       – einer Fläche von mehr als 60 Fußballfeldern. Hier gibt es 35
       Sportanlagen, darunter drei Eishallen, zwei Turn- und zwei
       Leichtathletikhallen. Das Rundumpaket für Sportler sieht neben den
       Trainingsstätten die sportmedizinische Betreuung, die Karriereplanung der
       Athleten und ein an den Stützpunkt angeschlossenes Internat vor. Auch der
       Behindertensport ist hier zu Hause: Etwa 30 Athleten bereiten sich derzeit
       auf die Paralympics vor, die fünf Wochen nach den Olympischen Spielen am
       29. August beginnen.
       
       Neuendorf und ihre beiden Assistentinnen sitzen vor den Sportlerakten und
       tragen die neuen Werte ein. Fettgehalt des Körpers, Sauerstoffaufnahme,
       Laktatwerte, Energiebedarf, Puls, Herzfrequenz – es gibt kaum einen Wert,
       der mit den Hightech-Apparaten nicht zu erfassen ist. Einige Geräte, die
       hier in der medizinischen Abteilung des Olympiastützpunkts stehen, sind
       extra für Spitzensportler entwickelt worden. Das Laufband, auf dem sich der
       Moderne Fünfkämpfer gerade gequält hat, kostet etwa 100.000 Euro. Es eignet
       sich auch für Radsportler, man kann Steigungen darauf fahren. „Bis zu 17
       Prozent Anstieg schaffen wir“, sagt Neuendorf. Die Radler trainieren im
       Winter auf dem Band und simulieren ihren ganz persönlichen Giro.
       
       Die Ausstattung in Berlin ist ein Grund, warum Athleten auch aus anderen
       Bundesländern anreisen – etwa 15 Prozent der deutschen Spitzenathleten
       kommen hierher. „Wir haben außerdem die Sportmedizin und Reha direkt vor
       Ort, während andere Stützpunkte mit externen Ärzten und Therapeuten
       arbeiten“, sagt Neuendorf und betont: „Wir stehen voll hinter diesem
       Konzept.“ Der Olympiastützpunkt wird zu 95 Prozent vom Bund und zu 5
       Prozent vom Land und aus Sponsorengeldern finanziert. Der jährliche Etat
       liegt bei etwa 4,5 Millionen Euro. Die Trainer verdienen trotzdem eher
       schlecht: Einige kommen gerade mal auf 26.000 Euro brutto im Jahr.
       
       Im Untergeschoss ist derweil die Hochsprung-Bundestrainerin Brigitte
       Holzapfel eingetroffen. Holzapfel, selbst ehemalige Olympionikin, tauscht
       sich mit Eberhard Deutscher aus, der die Abteilung Trainingswissenschaft
       leitet. Deutscher soll bei zwei jugendlichen Nachwuchshochspringern
       Sprunghöhen aus dem Stand und die Bodenkontakte des Fußes messen. Dazu baut
       er gerade eine Lichtschranke auf dem Boden auf und verbindet sie mit
       Geräten, die an den Physikunterricht erinnern. Die beiden Athleten machen
       sich derweil schon mal im Nebenraum warm.
       
       „Wir sind noch nicht bei 100 Prozent mit den beiden“, sagt Holzapfel zu
       Deutscher. Sie erzählt von der Sportlerdiät, die einer ihrer Schützlinge
       einhalten muss. „Findet er natürlich nicht so toll, kann ich auch
       verstehen“, sagt sie. Auch so etwas bekommen die Trainer hier mit auf den
       Weg: strenge, individuell abgestimmte Ernährungspläne für die Sportler.
       Diese zitiert Deutscher nun herbei. Die Athleten, beide um die 20 Jahre
       alt, sollen von einem Gymnastikkasten in den Bereich der Lichtschranke
       springen. „Es geht um den kurzen Bodenkontakt“, sagt Deutscher. „Stellt
       euch vor, das ist eine Herdplatte und ihr springt barfuß darauf.“
       
       Vier Etagen höher sitzt Harry Bähr. Bähr ist der Leiter des
       Olympiastützpunkts. Der 50-Jährige hat zunächst 13 Jahre selbst als
       Trainingswissenschaftler am Stützpunkt gearbeitet, ehe er 2009 diese
       Position übernahm. „Unsere Aufgabe ist es, optimale Rahmenbedingungen für
       Leistungssport zu schaffen“, sagt er. „Die meisten kommen zu uns, wenn sie
       elf, zwölf Jahre alt sind. Von da an tun wir alles dafür, dass sie fit für
       den Leistungssport werden.“ Das beginne damit, dass jeder Nachwuchssportler
       einen Laufbahnberater zugewiesen bekomme. „Die sprechen mit den Trainern
       und setzen dann Etappenziele“, sagt Bähr. „Dann schauen sie, wie sich
       Schule, Ausbildung und Familienleben am besten mit dem Leistungssport in
       Einklang bringen lassen.“
       
       Muss ein junger Sportler zwangsläufig seine Jugend für den Leistungssport
       opfern? „Die haben natürlich nicht so eine Jugend wie andere Kids“, sagt
       Bähr. Angehende Leistungssportler trainieren bereits mit zwölf Jahren
       zweimal täglich, verbringen also bereits bis zu fünf Stunden am Tag auf dem
       Trainingsgelände. „Wir schauen aber, dass das Soziale hier nicht zu kurz
       kommt“, betont Bähr. Er baut auf den Spaß, den die Jugendlichen beim Sport
       miteinander haben. Dass es darüber hinaus nicht so viele soziale Kontakte
       für die Sportler gibt, sei nicht zu verhindern.
       
       Ebenso unvermeidlich ist das Thema Doping. Mit Robert Harting wird etwa ein
       Athlet betreut, der vor der Leichtathletik-WM 2009 öffentlich über die
       Freigabe von Doping nachgedacht hat – und mit Claudia Pechstein eine
       Athletin, die eine Dopingsperre hinter sich hat, bei der eine endgültige
       Klärung noch aussteht. „Wir arbeiten eng mit der Nationalen Doping-Agentur
       (Nada) zusammen“, sagt Bähr, „und auch hier finden natürlich ständig
       Dopingkontrollen statt.“ Der Rest liege bei den Athleten und Trainern. Die
       Athleten geben bei der Nada ihre Aufenthaltsorte an, die Dopingkontrolleure
       können einsehen, wann sie am Olympiastützpunkt sind.
       
       Nobis und seine Teamkollegen sitzen in der medizinischen Abteilung
       beisammen, tauschen sich über den Laufbandtest aus und sprechen über den
       weiteren Trainingstag. „Wir treffen uns um 12 Uhr zum Schwimmen“, sagt
       Nobis, „bis dahin haben wir noch eine Stunde Regeneration.“ „Habt ihr
       eigentlich euren Jetlag schon überwunden?“, fragt Elke Neuendorf – die drei
       sind gerade erst aus Rio de Janeiro zurück, und ihr erster Weg führte sie
       zum Stützpunkt.
       
       Nun richten die Sportler alles auf den 11. August aus: Dann beginnt in
       London der Moderne Fünfkampf.
       
       25 Apr 2012
       
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 (DIR) Jens Uthoff
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