# taz.de -- Sierra Leone: Der Schatten der Geschichte
       
       > Die Rebellenarmee RUF in Sierra Leone wird als Kreatur von Charles Taylor
       > dargestellt. Tatsächlich entstand sie aus Protest. Die Situation damals
       > war ähnlich wie heute.
       
 (IMG) Bild: Grafitti der Rebellenarmee RUF in Sierra Leone.
       
       BERLIN taz | Vor dem internationalen Sondertribunal in Den Haag wird
       Liberias Ex-Diktator Charles Taylor als Schöpfer der sierraleonische
       Rebellenarmee RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) dargestellt. Tatsächlich
       aber wurde sie von sierraleonischen Exilstudenten in Libyen gegründet, noch
       bevor Taylor überhaupt in Erscheinung trat.
       
       Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, der nigerianische
       Protestsänger Fela Kuti, die karibisch-westafrikanische Reggaekultur – das
       alles waren Bezugspunkte für die sierraleonische Jugend, die gegen die
       herrschende Elite in den Krieg zog.
       
       Zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg gibt sich Sierra Leone heute als ein
       verändertes Land. Es ist eine stabile Demokratie – die letzten Wahlen 2007
       brachten einen friedlichen Machtwechsel zwischen den beiden großen Parteien
       des Landes. Sierra Leone erfreut sich der höchsten Wachstumsraten der Welt,
       mit 35 bis 50 Prozent dieses Jahr nach amtlichen Prognosen.
       
       Sierra Leones Diamanten, während des Krieges weltweit als „Blutdiamanten“
       verrufen und boykottiert, werden heute wieder weltweit verkauft. Im größten
       sierraleonischen Diamantengebiet Koidu plant der Israeli Benny Steinmetz
       für seine Betreiberfirma BSG Resources als erstes afrikanisches Unternehmen
       überhaupt den Börsengang in Hongkong, um chinesisches Kapital aufzunehmen.
       
       Der wichtigste Wachstumsmotor aber sind die gigantischen Eisenerzminen von
       Tonkolili, mit Reserven von knapp 13 Milliarden Tonnen die größten der
       Welt. Erschlossen von der in London notierten, aber einheimisch geführten
       Firma „African Minerals“ (AML), wurde im November die erste Exportladung
       aus Tonkolili nach China verschifft; der chinesische Abnehmer Shandong
       erwarb im März für 1,3 Milliarden Dollar einen 25-Prozent-Anteil an AML,
       was den weiteren Ausbau ermöglicht.
       
       Doch im Land selbst herrscht Skepsis. Ob die nächsten Wahlen im November
       2012 so glatt über die Bühne gehen wie die von 2007, wird weithin
       bezweifel. Erst vor kurzem kaufte die Regierung von Präsident Ernest Bai
       Koroma für mehrere Millionen Dollar modernes Gerät zur Aufstandsbekämpfung
       für die Polizei. Das Land steht nach wie vor auf Platz 180 der 187 Länder
       umfassenden UN-Rangliste der „menschlichen Entwicklung“.
       
       ## Die damalige Regierungspartei ist zurück
       
       Konflikte um die Rohstoffförderung nehmen zu. Schon vor Jahren sorgte die
       Vertreibung tausender Familien zugunsten des Ausbaus der Diamantenförderung
       von Koidu für Unruhen. Am 23. April endete in den Eisenerzminen von
       Tonkolili ein einwöchgiger Streik für höhere Löhne, in dessen Verlauf die
       Polizei die nahe Kleinstadt Bumbuna stürmte, eine Frau erschoss und
       mindestens neun Menschen teils schwer verletzte. AML hatte zuvor seine
       Förderprognose für dieses Jahr um ein Drittel auf zehn Millionen Tonnen
       gesenkt.
       
       Schwunghafte Rohstoffgeschäfte, aus denen sich die lokale Bevölkerung
       ausgeschlossen fühlt - das war vor zwanzig Jahren einer der Gründe für die
       Entstehung der Rebellenarmee. Sierra Leones heutige Regierungspartei APC
       (All People's Congress) ist die gleiche APC, die 1978 das
       Mehrparteiensystem des Laandes abschaffte und eine Diktatur errichtete,
       deren Sturz durch junge Soldaten im Bündnis mit der RUF 1992 das Land in
       den blutigen Bürgerkrieg trieb, um den es jetzt in Den Haag ging.
       
       So wirft die Geschichte einen Schatten über Sierra Leone. Der wichtigste
       Gegenkandidat für Präsident Ernest Bai Koroma im November wird ausgerechnet
       Maada Bio sein: 1996 zur schlimmsten Zeit des Krieges war er ein
       kurzlebiger Militärherrscher Sierra Leones, seine ältere Schwester war
       zugleich die höchstrangige Kommandantin in der Rebellenarmee RUF. Bio tritt
       heute für die oppositionelle SLPP (Sierra Leone People's Party) an, die das
       Land nach der Unabhängigkeit zunächst regiert hatte.
       
       Die RUF selbst hatte sich nach Ende des Bürgerkrieges 2002 in eine
       politische Partei namens RUFP (Revolutionary United Front Party) verwandelt
       und war dann in der Versenkung verschwunden. Aber tot ist sie nicht. Unter
       Führung eines einstigen RUF-Sprechers, Eldred Collins, eröffnet sie jetzt
       landesweit neue Parteibüros und setzt auf die Unzufriedenheit der Jugend.
       Collins lobte die RUF kürzlich in einem Interview als „Freiheitskämpfer“.
       
       26 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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 (DIR) Kriegsverbrechen
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