# taz.de -- Syrien vor den Parlamentswahlen: Der Verschwörung die Stirn bieten
       
       > Am Montag wird in Syrien das Parlament gewählt. Während die westlichen
       > Medien von der Gewalt des Regimes berichten, glauben viele Mittelständler
       > weiter an Assad.
       
 (IMG) Bild: In Staatsmedien sah man das Präsidentenpaar, wie es Hilfsgüter für die Opfer der Terroristen von Homs packte.
       
       BERLIN taz | „Jetzt ist die beste Reisezeit für Syrien, und ich bin
       arbeitslos, eine Katastrophe. Das hätte ich nie für möglich gehalten“ sagt
       Samir Katib. Der Elektroingenieur, der noch in der DDR studierte, arbeitete
       über zehn Jahre für eine staatliche syrische Reiseagentur und erläuterte
       deutschen Kulturtouristen die glanzvolle syrische Historie.
       
       „Bis die Revolution begann, war ich privilegiert. Ich konnte ständig durch
       das Land reisen, wurde gut entlohnt und Trinkgeld gab es in US-Dollar“,
       berichtet Katib. Acht Millionen US-Dollar setzte der Tourismus noch 2010
       um, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Rund 365.000 Menschen und deren
       Familien lebten vom boomenden, meist staatlich organisierten
       Kulturtourismus.
       
       Einige – damals noch im Versteckten kritisch denkende Studenten – sprachen
       schon von einer Gentrifizierung der idyllischen Altstadt von Damaskus, die
       durch zu viele Boutique-Hotels und Hauskäufe durch reiche Ausländer
       entstand. Nun sind fast alle Hotels geschlossen und Tausende arbeitslos,
       die Ausländer und ihre Devisen bleiben weg.
       
       Nahas hat viele Bekannte und Kollegen, die in der Branche arbeiteten. Sie
       befinden sich in einem Zwiespalt: Einerseits sympathisieren sie mit dem
       Aufstand, andererseits sehen sie weder eine Chance, das Regime zu stürzen,
       noch gibt es Pläne für die Zeit nach einem Umsturz. Geschweige denn eine
       Idee, die das Image des Landes und somit den Tourismus wieder aufbauen
       könnte.
       
       ## Korrupt, verlogen und oft am Menschen vorbei
       
       „Dass unsere Politik korrupt, verlogen und oft am Menschen vorbei regiert
       hat, steht außer Frage. Wer aber auf die Idee gekommen ist, dagegen zu
       protestieren, ist einfach dumm. Die Armee ist viel zu stark, als dass die
       Deserteure sie jemals besiegen könnten“, erzählt Katib.
       
       „Natürlich“, fährt der Endvierziger, der mit seinem dicken Schnauzbart fast
       ein wenig wie Saddam Hussein aussieht, fort, habe fast jeder Syrer das
       System schon immer gehasst, doch man habe sich innerhalb der gesetzten
       Grenzen „gut organisieren können, solange man nicht öffentlich auf al-Assad
       schimpfte“.
       
       Den Aufstand betrachtet er jetzt schon als gescheitert, denn solange „sich
       nicht jeder einzelne Syrer organisiert sei und eine eigene Waffe“ habe,
       könne man gegen die hochbewaffnete Armee nichts ausrichten. Er befürchtet
       das langsame Voranschreiten der Massakrierung Andersdenkender, damit die UN
       nicht zu wachsam werde oder gar die Nato interveniere.
       
       Die am 7. Mai anstehende Parlamentswahl interessiere ihn daher, wie auch
       alle anderen Wahlen zuvor, nicht. „Ihr wisst doch wie das in der DDR war,
       das ist hier nicht anders“ erklärt Katib und lacht. „Nur unsere Revolution
       und unser Wiederaufbau wird ganz anders werden, wir haben ja leider weder
       ein Westdeutschland, dass uns hilft, noch eine internationale
       Staatengemeinschaft, die sich ernsthaft für uns interessiert.“
       
       ## Wirtschaftliches Überleben in Zeiten der Revolution ist schwierig
       
       In der aktuellen Lage heißt es für ihn erst einmal, wirtschaftlich zu
       überleben. Als die Revolution im März 2011 ausbrach, war Nahas, der sich
       immer sehr an Deutschland orientiert hat, gerade dabei, eine
       Solarenergiefirma zu gründen. Dadurch, dass Syrien sich wirtschaftlich
       geöffnet hatte, private Banken unter Bashar al-Assad zugelassen wurden und
       durch die Verbreitung des Internets, für die sich der Präsident ebenfalls
       einsetzte, war Nahas zuversichtlich und sah sich auf der Gewinnerseite des
       langsamen, seit 2004 staatlich angeordneten Umbruchs.
       
       Nun harrt er ängstlich der Dinge und versucht, seine Ersparnisse so lange
       wie möglich zu strecken. Das brauchen Mahmoud, Mansour und Dany, drei
       professionelle Partyveranstalter in Damaskus, nicht. Sie verdienen trotz
       der Gewalt im Land weiter Geld – mit ihrer Event- und Hochzeits-Agentur,
       die sie erst nach Beginn der Unruhen gründeten.
       
       Die Eltern der drei Wirtschaftsstudenten arbeiten seit langem
       selbstständig, die Väter sind Geschäftsleute, die Mütter Künstlerinnen und
       Lehrerinnen. Lange versuchten die jungen Präsidentenanhänger, die Gewalt im
       Land als von „ausländischen terroristischen Kräften“ gesteuert zu
       betrachten. Denn eine vom Volk aus kommende Revolution macht in den Augen
       der drei „überhaupt keinen Sinn.“
       
       Den Syrern sei es gut gegangen. Fast alle seiner Bekannten hätten
       Flachbildschirm-TVs, iPhones, konnten für Reisen und ihre Hochzeit sparen.
       Jetzt gehe es allen schlechter, die Preise seien gestiegen, die Leute
       fangen schon an, bei den sonst so pompösen Hochzeitsfeierlichkeiten zu
       sparen.
       
       ## „Die USA wollen den Syrern mit Hilfe der UN an den Kragen“
       
       Zur Information schaut Mahmoud mit seinen Freunden den staatlichen
       Propagandasender ad-Dounia, der über die internationale Verschwörung gegen
       den Präsidenten und nur über von Terroristen ermordete Soldaten berichtet.
       
       Dass die „bekanntermaßen ölgierige“ von den Amerikanern und den Saudis
       gesteuerte UN nun Beobachter nach Syrien entsandt hat, sieht er nur als
       Zeichen, dass es den Syrern an den Kragen gehen soll. „Die Israelis hassen
       uns sowieso, die Amerikaner hassen uns wegen unserer Freundschaft zum Iran
       und wollen unser Öl“, das sei ja wohl „klar“.
       
       Mit ihren Familien werden die drei Twens am kommenden Montag wählen gehen,
       danach freuen sie sich sie auf ein staatlich organisiertes Strassenfest und
       hoffen, dass auch al-Assad sich dort blicken lässt. Ihre T-Shirts mit dem
       Konterfei des Präsidenten werden sie auf jeden Fall wieder tragen, um den
       „imperialistischen Mächten“ und dem „verlogenen Judensender al-Jazeera'“
       die Stirn zu bieten, falls er live aus Damaskus berichten wird.
       
       ## „Die Wahl wird eine Farce, wie es alle Wahlen zuvor schon waren“
       
       Der ehemalige Journalist und Frauenrechtler Abu Mohammed sieht die Lage
       volkommen anders. Seit Beginn der Unruhen arbeitet er noch versteckter als
       vorher. Seiner Interpretation nach wird die Wahl „genau so eine Farce wie
       all die Wahlen zuvor“ werden. Er geht davon aus, dass die Wahlen nur in den
       Stadtzentren stattfinden werden, da das Regime die Macht über viele
       ländliche Gebiete längst verloren hat. Fünf Provinzen, in denen rund 60
       Prozent der Syrer leben, seien „außer Kontrolle“
       
       Er prognostiziert, dass die Wahlen in Vororten und auf dem Land boykottiert
       werden, da die Opposition daran gehindert wurde, Kandidaten aufzustellen.
       „In Dara'a wurde bereits ein Kandidat getötet, viele andere wurden bedroht“
       sagt Abu Mohammed und stellt die Frage: „Wenn die Regierung die Kandidaten
       schon nicht beschützen kann, wer kann dann garantieren, dass es bei den
       Wahlen ehrlich zugehen wird?“
       
       7 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasna Zajcek
       
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 (DIR) Schwerpunkt Syrien
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