# taz.de -- Kunstmuseum Wolfsburg: Die Kunst des Sammelns
       
       > Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert seine Volljährigkeit und präsentiert zu
       > diesem Anlass einen Teil seiner Bestände. Doch das Weitersammeln wird
       > schwierig.
       
 (IMG) Bild: Die Fotografie erhielt Vorrang vor der Malerei: Untitled Film Still #2, 1977.
       
       WOLFSBURG taz | Zu den hoheitlichen Aufgaben eines Museums gehört das
       systematische Sammeln. Das unterscheidet ein Museum von einem reinen
       Ausstellungshaus, selbst wenn sich Praktiken wie personale oder thematische
       Sonderschauen in beiden Institutionen ähneln mögen.
       
       Das Kunstmuseum Wolfsburg besteht im Mai seit 18 Jahren, wird also
       „volljährig“, wie Sammlungskurator Holger Broeker es ausdrückt. Dies ist
       für das Haus erneut Anlass, einen Teil seiner Bestände zu präsentieren, von
       den allerersten Erwerbungen bis zu kürzlich hinzugekommenen Arbeiten.
       
       Dass das Haus wegen seiner monetären Nähe zu einem Weltkonzern über lange
       Jahre eine stattliche und profilierte Sammlung zeitgenössischer Kunst seit
       1968 zusammentragen konnte, die auch prominente Künstler in mehrteiligen
       Werkkomplexen abbildet, ist nicht überraschend.
       
       Nun bekommt das Haus allerdings auch die Folgen seines eigenen Erfolges zu
       spüren. Denn vielen Künstlern, denen man in Wolfsburg eine umfassende
       Ausstellung bereits in früheren Schaffensphasen widmete, wie beispielsweise
       Andreas Gursky oder Olafur Eliasson, verhalf man damit auch zum
       ökonomischen Durchbruch auf dem Kunstmarkt. Auf einem derzeit entfesselten
       Kunstmarkt allerdings, der mit Rekordergebnissen in seinen Auktionen
       auftrumpft.
       
       Die Ankaufspreise relevanter Werke sind somit auch für Wolfsburger
       Verhältnisse in unerreichbare Sphären abgezogen, kommentiert Direktor
       Markus Brüderlin diese Entwicklung nicht ohne Bedauern. Ein Freundeskreis
       betuchter Bürger springt deshalb seit geraumer Zeit in die Bresche und
       ermöglicht den weiteren Fortschritt der Sammlung, indem er einzelne
       Arbeiten aus den großen Themenausstellungen, wie zuletzt „Die Kunst der
       Entschleunigung“, für das Haus sichert. Und: Es kommen Leihgaben und
       Schenkungen von Künstlern, Galeristen und Sammlern hinzu, das Haus ist
       mittlerweile international renommiert. Aber können diese
       Zufallsakquisitionen eine konzeptionelle Erwerbungsstrategie ersetzen?
       
       Den Kern der Wolfsburger Sammlung prägte das Temperament des
       Gründungsdirektors Gijs van Tuyl, der von 1994 bis 2005 das Haus leitete.
       Van Tuyl gelang in charmanter Umtriebigkeit im Kunstmarkt schon mit dem
       allerersten Ankauf 1993 ein programmatischer Pflock der Sammlung, „Der
       Tisch der Fruchtbarkeit“ von Mario Merz aus dem Jahr 1976 steht forthin
       emblematisch für sie, ist das Sinnbild der sozialen Eingebundenheit des
       Menschen in die Natur. Eine niedrige organische Spirale präsentiert
       saisonales Obst und Gemüse, immer in voller Reife, auch als olfaktorisches
       Ereignis am Übergang zum Verfall.
       
       Mario Merz wurde unter van Tuyl weiter besammelt, Werke von Anselm Kiefer,
       Carl Andre und weiteres kam hinzu. Arte Povera und Minimal Art wurden als
       Nachbeben gesellschaftlicher Veränderungen ab 1968 gelesen, die Künstler
       also nicht unbedingt, um mit Peter Sloterdijk zu sprechen, als
       seismographische „Antennenmenschen“ überschätzt, sondern in ihrer
       Aussagekraft auch eine Weile beobachtet.
       
       Die Fotografie – vom Cindy Sherman, Gilbert & George oder Nobuyoshi Araki –
       erhielt Vorrang vor der Malerei, installative Kunst vor der Plastik. Nach
       sechs Jahren des Sammelns bewertete Gijs van Tuyl das damals Erreichte voll
       Stolz als ein eigenes Kunstwerk: Die Sammlung „hat Struktur, Kohärenz und
       Handschrift“, das Haus gab einen dicken Sammlungskatalog heraus.
       
       Aus diesem Fundus lässt sich nach wie vor ergiebig schöpfen. Die
       augenblickliche Sammlungsausstellung füllt die große Halle, sie zeigt mit
       96 Arbeiten von 34 Künstlern jedoch nur rund ein Viertel des Bestandes.
       Etwas diffus bleibt zwar die thematische Erklärung der Auswahl: Der Mensch
       sei das Zentrum, die Kunst reflektiere die conditio humana als Suche nach
       seiner Orientierung in einer technisierten Welt. Dies ermöglicht aber jede
       Menge eigenständiger Zugänge – nach der mitunter didaktischen Belehrsamkeit
       der Themenausstellungen somit ein entspanntes Sommerprogramm.
       
       Sehr verhalten allerdings scheint derzeit die perspektivische Sicht auf die
       Sammlung auszufallen. Der europäisch-amerikanischen Dominanz des 20.
       Jahrhunderts im Bestand ist Kunst aus Asien, Afrika und Südamerika nicht
       recht nachgefolgt, selbst wenn in der Ära van Tuyl bereits viel exotische
       Verheißungen, wie Fotografie aus Brasilien und China ins Haus geholt
       wurden. Nachhaltige Sammlungsaufforderungen hinterließen sie wohl nicht.
       Nun träumt Direktor Brüderlin zwar von einem „globalen Museum“, da die
       Moderne im 21. Jahrhundert kein exklusives Projekt des Westens mehr ist,
       ein Universalkünstler wie Ai Weiwei weltweit überragend sei.
       
       Welche Ambitionen daraus für die Sammlung folgen sollen – dafür will
       Brüderlin sich jedoch Zeit lassen. Auf Schenkungen, das sollte klar sein,
       kann das Kunstmuseum Wolfsburg bei diesen Provenienzen nicht hoffen.
       
       15 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Analog-Hipster
 (DIR) Fotografie
       
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