# taz.de -- Der Abgang Oskar Lafontaines: Der linke Rechthaber
       
       > Mit Oskar Lafontaine verlässt der letzte deutsche Politiker alten Schlags
       > die politische Bühne. Der Volkstribun und Egomane hat viele fasziniert
       > und noch mehr enttäuscht.
       
 (IMG) Bild: Der Politiker Oskar Lafontaine hat viele fasziniert, viele abgestoßen, egal war er niemandem (Foto von 1987).
       
       BERLIN taz | Es ist ein heißer Sommernachmittag in Saarbrücken-Burbach.
       Oskar Lafontaines Gesicht funkelt vor Begeisterung, als er das
       Wahlkampfzelt der Linkspartei betritt, umringt von Fans, Kameras,
       Journalisten. Er steht im Mittelpunkt, wie immer. Es ist Wahlkampfzeit
       2009. Er brüllt, höhnt, greift an. Er polemisiert gegen gekaufte Renten-
       und Finanzexperten, „die wie Michael Schumacher Werbung auf ihren Anzügen
       tragen sollten, von den Banken und Versicherungen, die sie bezahlen“. Er
       zitiert Ludwig Erhard, den Säulenheiligen der CDU, als Kronzeugen für
       seinen Angriff auf den Neoliberalismus. Die überraschende Volte, mit der
       der Gegner nicht rechnet, das ist seine Stärke. Lafontaine wird auch mal
       nachdenklich und setzt leise Töne, aber nur um am Ende umso glanzvoller
       über seine Gegner zu triumphieren. Niemand kann ein paar hundert Leute mit
       einer politischen Rede so verzücken wie er. Diese Erhitzung bringt kein
       Seehofer, kein Steinbrück und kein Westerwelle zustande. Nur er.
       
       1995 putschte Lafontaine in Mannheim den überforderten SPD-Chef Scharping
       mit einer einzigen Rede weg. Normalerweise werden solche Machtwechsel lang
       vorbereitet und mit feingesponnenen Intrigen ins Werk gesetzt. Lafontaine
       brachte die Machtarchitektur der SPD in einer halben Stunde zum Einsturz.
       Ein Volkstribun, ein wortgewaltiger Magier.
       
       Mit Oskar Lafontaine verlässt der letzte Charismatiker die Bühne. Einer wie
       Franz Josef Strauß oder Joschka Fischer. Einer, der politische
       Leidenschaften und Hoffnungen wecken und enttäuschen konnte wie kein
       Zweiter. Er war mit 29 Jahren der jüngste Oberbürgermeister einer deutschen
       Großstadt – in seiner Heimatstadt Saarbrücken. Er war der jüngste
       Ministerpräsident. Er war das Wunderkind der Sozialdemokraten und bis zum
       Mauerfall der Lieblingsenkel von Willy Brandt.
       
       Damals, 1990, als er Kanzlerkandidat gegen Kohl war, trat ein typischer
       Wesenszug von Oskar Lafontaine zutage: eine Mischung aus hellsichtigem
       Scharfsinn und Rechthaberei, aus blitzgescheit und blind. Lafontaine sah
       klarer als der Rest der politische Klasse, dass die Einheit teuer wird und
       die schnelle Währungsunion die Industrie in der DDR vernichten würde. Er
       behielt recht. Was er nicht sah, war, dass recht haben nicht reichte –
       schon gar nicht in dieser welthistorischen Umbruchszene. Was Lafontaine
       nicht sah, war, dass westdeutsche Linke seiner Generation ein untaugliches
       Desinteresse an der DDR ausstrahlten. Man verstand sich doch als
       postnational, proeuropäisch, die Wiedervereinigung hielt man eigentlich für
       etwas Vorgestriges. Und die Idee, nicht mehr in die Toskana, sondern ins
       Erzgebirge zu reisen, war ein Graus. Im Sommerurlaub 1990 fuhr Lafontaine
       zum Maffay-Fest auf Mallorca.
       
       ## Nie bis ganz nach oben
       
       Oskar Lafontaine ist der talentierteste Politiker seiner Generation
       gewesen. Aber bis ganz nach oben hat er es nie geschafft. Nicht wegen eines
       Mangel an Machtinstinkt. Sondern weil er manches Richtige überscharf sah
       und dabei das Ganze aus dem Blick verlor. Als Linkspartei-Chef hat er nach
       2005 die schroffe Abgrenzung gegen die SPD forciert. Er hat bis zum
       Ermüdungsbruch gegen Hartz IV polemisiert. Doch nach 2009, als die SPD in
       der Opposition war und andere Töne anschlug, hat er das rhetorische
       Trommelfeuer nicht reduziert. Anti-SPD ist aber kein Daseinszweck für eine
       Partei. Was Lafontaine fehlt, ist der Sinn für das rechte Maß.
       
       Bisweilen hat man ihn als geifernden Ideologen beschrieben. Zu Unrecht. Er
       hat, wie Angela Merkel, Physik studiert und verstand sich durchaus auf
       kühle Kalkulation. Er war ruppig in seinen Mitteln, aber nicht der böse
       Demagoge. Politisch äußerst biegsam, hat er sich des Öfteren neu erfunden.
       In den 80er Jahren legte er sich als SPD-Reformer frontal mit den
       Gewerkschaften an, als Ministerpräsident im Saarland verhöhnte er Beamte
       als Sesselfurzer und als SPD-Linker Helmut Schmidt als autoritären
       Charakter. Er hat sich, auch ungewöhnlich, politisch von seinen Frauen
       beeinflussen lassen. Von Christa Müller hat er den Neokeynesianismus
       gelernt, von Sahra Wagenknecht – ja was?
       
       Dies ist nicht sein erster großer Abgang. Kein Politiker ist so oft
       schmollend und auch im Innersten verletzt abgetreten. Sein spektakulärster
       Rücktritt geschah 1999, als Finanzminister der rot-grünen Regierung und als
       SPD-Chef. Das sah damals für viele frustrierte Sozialdemokraten aus wie
       Flucht. Aber das war es nicht. Lafontaine sah damals, mal wieder schlauer
       als der Rest, dass die Deregulierung der Finanzmärkte fatale Konsequenzen
       haben würde. Er ging, weil er seiner Entmachtung nicht zusehen wollte.
       
       1999 war sein Rückzug ein Drama für die SPD. Der Abgang 2012, der wohl sein
       letzter sein wird, ist hingegen eine Farce, in der seine dunkle Seite
       sichtbar wird. Das Egomane. „Passt mal auf, Kinder, ich erkläre euch das.“
       Das hat er am letzten Dienstag dem Parteivorstand und den Landeschefs der
       Linken gesagt, als er sein Angebot, noch einmal Parteichef zu werden,
       erläutern sollte. „Oskar“, stellte ein Reformer schon 2009 ernüchtert fest,
       „hat uns nie ernst genommen.“
       
       ## Verborgene Volte
       
       Viele haben gerätselt, welcher Trick hinter seinem Angebot steckt, nur Chef
       zu werden, wenn niemand gegen ihn antritt. Unvorstellbar schien, dass
       Lafontaine, der Profi, sich davon abhängig macht, dass sein
       innerparteilicher Rivale Dietmar Bartsch einfach aufgibt. Es musste doch
       eine verborgene Volte geben. Aber die Wahrheit ist banal. Lafontaine
       verspürt schon länger einen Zwiespalt. Einerseits langweilt er sich im
       Saarland, dem politischen Exil – aber der Thrill der Politik und der Macht
       hat für ihn an Glanz verloren. „Als ich jung war, war ich stolz, von
       Kameras und Blitzlichtgewitter umgeben zu sein. Das ist heute nicht mehr
       so“, erzählte er der taz vor einem Jahr in einem Saarbrücker Restaurant.
       „Ich brauche nicht jeden Tag das Bad in der Menge“, hat er gesagt und seine
       „innere Distanz“ zu dem Betrieb beschrieben. Das war nicht kokett, es klang
       müde und ehrlich. So redet niemand, der es unbedingt noch mal wissen will.
       
       Entweder zu meinen Bedingungen oder gar nicht, das war sein Angebot. Er hat
       gar nicht mehr mehr gemerkt, welche tiefe Verachtung für seine Partei
       daraus sprach. Er hat wohl auch geahnt, dass 2013 seine Anti-SPD-Polemik
       nicht mehr zünden wird. Er hätte gewirkt wie jemand, der aus der Zeit
       gefallen ist.
       
       Was hat er erreicht? Die Linkspartei wird von Fliehkräften zerrissen.
       Lafontaine hat nichts getan, um diese zu bändigen, im Gegenteil. Viele
       Ostgenossen haben in Lafontaines herrischem Stil die Wiederkehr der
       autoritären Parteiräson aus SED-Zeiten gesehen. Auf den Fluren haben sie
       Witze über ihn gerissen. Zum Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen
       Ratzinger und Lafontaine? Ratzinger ist nur der Stellvertreter.“ Lothar
       Bisky hat einmal den „Stalinismus durch die Hintertür“ in der Partei
       beklagt. Ein schiefes Bild. Was Lafontaines rüde Truppe tat, war eher
       westsozialdemokratisches Mackertum, bei dem die Vordertür eingetreten wird.
       Umgekehrt hat Lafontaine, desinteressiert an ostdeutschen Erfahrungen, in
       den PDS-Reformern nur Wiedergänger der Neue-Mitte-Sozialdemokraten erkennen
       wollen, sich selbst abgeschottet.
       
       Der Politiker Oskar Lafontaine hat viele fasziniert, viele abgestoßen, egal
       war er niemandem. Ist er gescheitert? Unvollendet auf jeden Fall.
       
       23 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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