# taz.de -- Berlins Bürgermeister Wowereit im Sinkflug: Der unangenehme Klaus
       
       > Knallharter Machtpolitiker und knuddeliger „Wowi“ – zwei Seiten des
       > Berliner Bürgermeisters. Die Stadt hat sich verändert, Klaus Wowereit
       > nicht. Genau das ist sein Problem.
       
 (IMG) Bild: Am Flughafen geht's hoch und runter. In der Politik auch.
       
       BERLIN taz | Die Opposition rechnet ab mit Klaus Wowereit, und der kichert.
       Er plaudert mit seinem Sitznachbarn, als die Grünen-Fraktionschefin ihm vom
       Rednerpult aus zuruft: „Heute ist der Tag Ihrer härtesten Bruchlandung als
       Regierender Bürgermeister!“
       
       Danach richtet er sich auf und liest gelangweilt eine Antwort vom Blatt:
       Ja, er habe als Vorsitzender an allen Sitzungen des Aufsichtsrates der
       Flughafengesellschaft teilgenommen. Dann legt er das Blatt beiseite,
       verschränkt die Arme vorm Bauch und sagt: „Ich glaube, dass der
       Aufsichtsrat in Gänze hier seiner Verantwortung gerecht geworden ist.“
       
       Kein Brausen erhebt sich in den Stuhlreihen des Abgeordnetenhauses. Nur ein
       Grünen-Abgeordneter ruft in die Stille hinein: „Unglaublich!“ Danach geht
       alles seinen gewohnten Gang im Parlament Berlins. In jener Stadt, die kaum
       noch weiß, welches Desaster sie gerade beklagen soll.
       
       Es gibt ja genügend. Fast 63 Milliarden Euro Schulden drücken die
       wirtschaftsschwache Metropole. Die zweithöchste Arbeitslosenquote der
       Republik. Die S-Bahn fährt seit Jahren auf Notbetrieb. Und jener Klaus
       Wowereit, der vor elf Jahren als Lösung der vielen Probleme antrat, ist
       selbst zum Problem geworden.
       
       Anlass, nicht Ursache ist die Schönefeld-Pleite. Weniger als vier Wochen
       vor der geplanten Eröffnung des Großflughafens am 3. Juni müssen die
       Verantwortlichen einräumen, dass daraus nichts wird. Kurz darauf treten
       Wowereit und sein Aufsichtsratsvize, Brandenburgs Ministerpräsident
       Matthias Platzeck (beide SPD), vor die Presse. Sie verkünden, der
       Großflughafen komme mehr als 300 Tage später als geplant, und feuern den
       Planungschef.
       
       ## Der alte DDR-Hauptstadtflughafen
       
       Schon jetzt ist klar: Allein der Bau wird mindestens 500 Millionen Euro
       mehr kosten als geplant. Hinzu kommen vermutlich mehrere hundert Millionen
       Euro Kosten aufgrund der Verzögerung der Eröffnung. Dem ohnehin armen
       Berlin drohen weitere Schulden. Und der Regierende Bürgermeister ulkt in
       der ZDF-Sendung „Markus Lanz“: „Wir haben jetzt sogar zwei Flughäfen“,
       nämlich den in Tegel und den alten DDR-Hauptstadtflughafen Schönefeld. „Wir
       hätten sonst nur noch einen gehabt.“ Früher hätte das Studiopublikum über
       „Wowis“ Chuzpe gelacht. Heute lacht nur noch Wowereit selbst.
       
       Erstmals seit Jahren verliert der sonst so Populäre seinen Rückhalt in der
       Bevölkerung. Auf der Beliebtheitsskala Berliner Landespolitiker kommt er
       nur noch auf Platz drei. Dabei hat sich nicht der mittlerweile 58-Jährige
       verändert, sondern die Welt um ihn herum. Die Charaktereigenschaften, die
       zum Aufstieg des Sohns einer alleinerziehenden Mutter aus
       Berlin-Lichtenrade beitrugen, sind dieselben, die seine bislang schwerste
       politische Krise jetzt verschärfen. Alte Weggefährten wissen darüber mehr,
       als ihnen lieb ist.
       
       Weniger als zwei Kilometer trennen das Rote Rathaus vom Bundestagsbüro von
       Wolfgang Wieland. Und doch scheint hier, im ruhigen Arbeitszimmer des
       Grünen-Abgeordneten, seine turbulente Vergangenheit in der Landespolitik
       weit weg zu sein. Wenn der 64-Jährige mit rauchiger Bassstimme erzählt, wie
       er im turbulenten Sommer 2001 mit Wowereit und der SPD einen kurzlebigen
       Senat bildete, dann klingt noch immer Erleichterung durch.
       
       Erleichterung nicht übers Mitregieren, sondern über das frühe Ende. Die PDS
       übernahm den Job der Grünen. Ein PDSler scherzte gegenüber Wieland damals:
       „Na, ihr habt ja ein richtiges Trauma hinter euch.“ „Ja“, antwortete er,
       „aber wir haben’s hinter uns.“
       
       ## Demütigung als stärkste Waffe
       
       „Das ist immer Wowereits stärkste Waffe gewesen“, sagt der Grüne, „das
       Demütigen möglicher oder tatsächlicher Partner.“ Ein ehemaliger SPD-Senator
       formulierte es so: „Er tritt dir auf den Fuß und strahlt dich gleichzeitig
       an.“ Der knallharte Machtpolitiker und der knuddelige „Wowi“ – das waren
       stets zwei Seiten desselben Charakters. Die Mischung aus Jovialität und
       Brutalität hat zu Wowereits Erfolg beigetragen.
       
       Wer außer ihm hätte es geschafft, 2002 eine Koalition mit den Parias von
       der PDS zu bilden, ohne einen Aufstand des alten Westberlin auszulösen? Wem
       sonst hätte die SPD verziehen, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer
       Regierungschef erstmals seit Jahrzehnten radikal spart und die aufgeblähte
       Verwaltung verkleinert?
       
       Stets folgten ihm seine Partei, der jeweilige Koalitionär und die
       öffentliche Meinung. In den ersten Regierungsjahren schienen Zeitgeist und
       Wowereit eins zu sein. „Wowi“ wurde zum weltweit bekannten Symbol eines
       liberalen, toleranten, feierfreudigen und kreativen Berlin. Das war einmal.
       
       „Zum ersten Mal hat Wowereit richtig Probleme“, sagt Wieland. Damit meint
       der Grüne nicht den Umstand, dass Berlin noch immer überwiegend durch
       Bundes- und EU-Mittel finanziert wird. Auch die demonstrative Amtsmüdigkeit
       des Regierenden hat dessen Macht nicht ins Wanken gebracht.
       
       ## „Holiday on Ice“
       
       Als im eisigen Winter 2010/11 die Bürgersteige zu Rutschbahnen wurden, weil
       sich niemand um die Schneeräumung kümmerte, sprach Wowereit flapsig von
       „Holiday on Ice“. Und fügte hinzu: „Ja, das ist genau das Phänomen, dass
       keiner verantwortlich ist.“ Er, der Regierungschef, anscheinend auch nicht.
       Jetzt aber kriegt Wowereit erstmals echte Probleme mit seiner Machtbasis:
       der SPD.
       
       Am kommenden Samstag wählen die Berliner Sozialdemokraten einen neuen
       Landesvorstand. Die Partei, die seit 1989 in wechselnden Koalitionen
       mitregiert, muckt überraschend auf. Es gibt einen Gegenkandidaten zum
       langjährigen Vorsitzenden und Wowereit-Vertrauten Michael Müller: den
       38-jährigen Verwaltungsrichter Jan Stöß.
       
       Die Chancen stehen 50 zu 50. Auf den ersten Blick ist es ein Kampf zwischen
       Parteilinken und dem Establishment: hier Stöß aus dem als links geltenden
       Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg, dort der Zentrist Müller. Doch
       beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, das gesamte Spektrum der Partei
       abzudecken. Und Vertreter beider Seiten murren über Wowereits Entscheidung,
       der 2011 ein Bündnis mit der verhassten CDU einging. Die Partei wollte eine
       Koalition mit den Grünen. Doch der Regierende ließ die Gespräche platzen –
       mit tätiger Hilfe der Grünen. Hinter der Wowereit-Dämmerung steckt aber
       noch etwas: ein Mentalitätswandel.
       
       ## Millionendorf Berlin
       
       Seit dem Mauerfall ist die Stadt eine andere geworden. Rund die Hälfte
       ihrer Bewohner lebte vor 20 Jahren noch nicht hier. Es sind Leute wie
       Herausforderer Stöß, der in der Nähe von Hildesheim aufwuchs. Ihnen ist der
       alte Berliner Klüngel fremd, diese Mischung aus Trägheit, Ignoranz und
       Postengeschacher, die im Millionendorf im Schatten der Mauer so gut gedieh
       – auch und gerade in den Parteien. Wowereit galt einst als Überwinder
       dieser Mentalität. Heute ist er ihr prominentester Teil.
       
       Stefan Liebich hat diesen Wandel nicht nur mitgestaltet, man sieht ihn dem
       39-Jährigen an. In weißem Polohemd und Chucks sitzt der
       Bundestagsabgeordnete vor einer Latte macchiato. Über das schicke Café in
       Liebichs Wahlkreis Pankow donnert eine Air-Berlin-Maschine: Landeanflug auf
       den innerstädtischen Flughafen Tegel, der nun noch länger für Lärm sorgen
       wird. Für die überalterte Linke sitzt der jungenhafte Mann im Parlament.
       2001 führte Liebich, gerade zum PDS-Landesvorsitzenden gewählt, seine
       Partei in Koalitionsverhandlungen mit Wowereits SPD. Liebich sagt: „Er kann
       sehr, sehr unangenehm sein.“
       
       „Damals traf Wowereit das Gefühl der Stadt“, sagt Liebich. „Und er war
       mutig. Bei Gegenwind wird er ja nicht weggepustet, sondern stärker.“ Auch
       nach durchfeierten Nächten saß der „Regierende Partymeister“ morgens frisch
       und informiert am Verhandlungstisch. Eine Rossnatur. Aber das ist lange
       her. Spätestens seit Berlins Versuch, vor dem Bundesverfassungsgericht
       weitere Finanzhilfen einzuklagen, der 2006 scheiterte, ist die Luft raus im
       Senat.
       
       ## „Wo ist die Mohrrübe?“
       
       „Wo ist jetzt die Mohrrübe, hinter der man herläuft?“, fragt Liebich. Je
       mehr der Elan schwand, desto zahlreicher wurden die Geschichten über
       Wowereits Brutalität. Mehr noch als die PDS litt die SPD. Nach einer
       parteiinternen Sitzung, so Liebich, kam ein SPD-Senator auf ihn zu und
       fragte entnervt: „Habt ihr Aufnahmeanträge?“ Am Flughafendebakel zeigen
       sich Wowereits Grenzen. Angesichts von bis zu einer Milliarde Euro weiteren
       Schulden stünde dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der nicht genügend
       beaufsichtigte, etwas Reue gut zu Gesicht. Aber dazu ist er nicht fähig.
       
       Der wahre Wowereit macht Ende Mai einen Besuch in seiner alten Heimat, dem
       Südwesten Berlins. Vor dem „Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und
       Verwaltung“ steht die Frittenbude Schaschlik Tommi („Derzeit keine
       Fleischspieße vorrätig“). Drinnen warten Lehrer und Schüler aufgeregt auf
       den hohen Gast. Polierter Linoleumfußboden, rosa Seidenimitat auf
       Stehtischen. Wowereit kommt zur Umbenennung in die
       „Louise-Schröder-Schule“. Eine Lehrerin ermahnt ein paar Halbwüchsige: „Und
       nich’ im Weg rumstehen, sondern sagen: ’Herzlich willkommen.‘ Freundlich!“
       Auftritt Wowereit.
       
       Ein paar nette Worte über die Namensgeberin („starke Frau“, „schwere
       Zeiten“), dann weicht er vom Manuskript ab. „Wenn man diesen erotischen
       Namen schon hört: ’Oberstufenzentrum für …‘“. Das Publikum lacht befreit.
       So ist er, unser Wowi. Später lässt sich der Regierende fotografieren. „Ich
       war gerade in Delhi und in Mumbai“, sagt Wowereit, als er mit zwei
       Lehrerinnen plaudert. „Wer wissen will, wie ’n richtiger Stau aussieht.“
       Hier ist Wowereit noch, was er immer sein wollte: die Nummer 1. Hier gehört
       er hin. Eigentlich war er nie woanders.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
       
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