# taz.de -- Debütalbum Laurel Halo: Halbleiter und Harakiri
       
       > Synthesizer sind auch nur Menschen: Die New Yorkerin Laurel Halo
       > konfrontiert auf ihrem Debütalbum „Quarantine“ elektronische Musik mit
       > außerirdischem Gesang.
       
 (IMG) Bild: Laurel Halo ist ein Mensch, genauer gesagt eine US-Amerikanerin namens Ina Cube.
       
       Die Zukunft bietet zumindest eine Verlässlichkeit: Sie bleibt immer bis zu
       einem gewissen Grade unvorhersagbar. Diese prognostische Unsicherheit kann
       sich bei dem einen oder der anderen mitunter bis zur Angst steigern – aus
       der potenziell bedrohlichen Ungewissheit zukünftiger Ereignisse schlägt
       auch die Science-Fiction einen beträchtlichen Teil ihres Kapitals. Wobei
       man sich in den literarischen oder filmischen Inszenierungen von
       Futurophobien oft bei sehr elementaren menschlichen Fragen wiederfindet:
       Was ist Realität? Was ist Identität? Was ist der Mensch?
       
       Laurel Halo ist ein Mensch, genauer gesagt eine US-Amerikanerin namens Ina
       Cube. Die 25-jährige Musikerin, derzeit wie ihr Freund, der US-Musiker
       Daniel Lopatin, wohnhaft in Brooklyn, mag Science-Fiction. Und sie mag
       elektronische Musik, in gewisser Hinsicht die klingende Folie aller neueren
       Utopien und Dystopien.
       
       Schon Techno bewegte sich auf diesem schmalen Grat zwischen Optimismus und
       Pessimismus gegenüber technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Und
       Techno ist eine der Inspirationen für die in Ann Arbor, der Heimatstadt von
       Iggy Pop, geborenen Laurel Halo.
       
       Auch wenn man auf ihrem Debütalbum „Quarantine“ wenig Techno und schon gar
       keinen Beat hört. Mit Techno hat sich Laurel Halo, die zum ersten Mal mit
       16 Jahren in Berührung kam, auf früheren Alben beschäftigt, insbesondere
       auf ihrer zweiten EP „Hour Logic“ vom vergangenen Jahr. Auch ihre unter dem
       Pseudonym King Felix im Frühling erschienene dritte EP, passenderweise
       „Spring“ betitelt, kombinierte Techno simultan mit diversen anderen,
       rhythmisch weniger geradlinigen Spielarten von Clubmusik.
       
       ## Diffuse Schwebeklänge
       
       Das nun beim britischen Bassmusik-Label Hyperdub erschienene „Quarantine“
       hingegen empfiehlt sich mit seinen ausgearbeitet diffusen Schwebeklängen
       als eines der seltsamsten Popalben des Jahres. Einen gut Teil ihrer
       Fremdartigkeit verdankt die Musik dem Gesang, mit dem Laurel Halo an ihre
       Anfänge zurückkehrt und diese zugleich deutlich weiter entwickelt.
       
       Angefangen hatte sie auf ihrer ersten EP mit Synthiepop, der zwar
       Basslinien und Beat kannte, trotzdem aber eine gewisse Entrücktheit
       transportierte, in der so gar nichts von den unter ihren Kollegen beliebten
       Anleihen bei den Achtzigern zu erkennen war. Mit „Quarantine“ hat Laurel
       Halo wieder Songs mit Synthesizern eingespielt, doch diesmal scheinen
       Vorbilder noch schwerer auszumachen. Ein gut Teil der stilistischen
       Unschärfe von „Quarantine“ hat mit der besonderen Konfrontation von Stimme
       und Elektronik zu tun.
       
       Während viele ihrer nichtmenschlichen Klänge sich in der Regel als
       verwaschene, zu Stilkonzentraten verdichtete Mobiles präsentieren, legt
       sich die Stimme meistens als unbearbeitetes, rohes Objekt darüber, das
       weniger auf Wohlklang als auf Direktheit abzielt. Zum Verhältnis von Gesang
       und Instrumenten sagt Laurel Halo selbst, dass ihr die Stimme viel
       unmenschlicher vorkomme als die synthetischen Klänge auf „Quarantine“.
       
       ## Künstliches Paradies
       
       Was überhaupt keinen Widerspruch bedeutet. Elektronische Musik hat immer
       etwas von einem künstlichen Paradies. Dabei sind die Welten, die man mit
       einer Gitarre oder einem Klavier entstehen lässt, im Grunde kein bisschen
       weniger künstlich als die auf Halbleiterbasis entstandenen musikalischen
       Gebilde.
       
       Synthesizer und Konsorten tragen ihre eigene Artifizialität lediglich
       offensichtlicher im Namen. Die Spannung zwischen unmenschlichem oder
       außermenschlichem Gesang und humanoider Elektronik nutzt Laurel Halo zur
       performativen Illustration ihres Science-Fiction-Ansatzes. Denn für die
       begeisterte Leserin von Sci-Fi-Klassikern wie Philip K. Dick verläuft die
       Grenze zwischen menschlich und technisch ähnlich fließend wie in den
       Geschichten ihrer bevorzugten Autoren: „Impostor“ (Hochstapler) von Philip
       K. Dick etwa schildert die Festnahme eines Wissenschaftlers, der an einem
       Forschungsprojekt zur Verteidigung der Menschheit gegen Aliens arbeitet.
       
       Ihm wird vorgeworfen, nicht er selbst zu sein, sondern ein Roboter der
       Aliens, der den Wissenschaftler getötet und dann vollständig imitiert habe.
       Mit dem Unterschied, dass der Roboter eine eingebaute Bombe enthält, die
       sich nur durch die Vernichtung des Roboters entschärfen lässt.
       
       Diese Reibung von vertraut und fremd, anheimelnd und unheimlich durchzieht
       das gesamte Album. Auch ihre Texte bewegen sich in einer Grauzone zwischen
       intimer Gefühlsschilderung – in „Years“ singt sie „I will never see you
       again“ – und heraufziehender Gefahr: „Hurricanes always coming / so take
       cover or run“, heißt es in „MK Ultra“, benannt nach einem ehemaligen
       geheimen Forschungs- und Menschenversuchsprogramm der CIA zur Erprobung von
       Bewusstseinskontrolle.
       
       ## Japanische Schülerinnen im Manga-Stil
       
       In anderen Tracks sind die Worte bis zur Unkenntlichkeit entstellt. So
       versteht man in „Carcass“ (Kadaver) wenig mehr als den Titel. Sogar das
       Cover illustriert die fast schon hinterhältige Ambivalenz von „Quarantine“
       in makabrer Form. Zu sehen sind japanische Schülerinnen im Manga-Stil in
       bunten Farben, viele lächeln in ihren Schuluniformen naiv vor sich hin.
       Doch jedes der Mädchen hat ein Samuraischwert im Anschlag, mit dem es sich
       den Bauch aufschlitzt, zur eigenen Enthauptung ansetzt oder nach getaner
       Arbeit leblos am Boden liegt.
       
       „Harakiri Schoolgirls“ heißt das Gemälde des japanischen Künstlers Makoto
       Aida, das in seiner Wirkung zwischen anziehend, abstoßend und verstörend
       oszilliert. „Quarantine“ mag anfänglich ebenfalls mehr verstörend als
       eingängig scheinen. Allerdings wäre es kein Popalbum, wenn es zwischen den
       Extremen keine Balance gäbe. Am Ende siegt die unter der ganzen Irritation
       und den gelegentlichen Dissonanzen ruhende Schönheit. Man sollte das Album
       am besten im Schlaf hören.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pop
 (DIR) London
       
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