# taz.de -- Do-it-Yourself-Musikerin Justine Electra: Traumverloren, bis der Laster kommt
       
       > Störgeräusche in der Trance: Nach dem hochgelobten Debüt „Soft Rock“
       > arbeitet die Musikerin Justine Electra am Folgealbum, dessen
       > Erscheinungstermin ständig verschoben wird.
       
 (IMG) Bild: Zwischen künstlerischem Anspruch und menschlicher Fehlbarkeit: Justine Electra.
       
       Einen Stapel Zeitungsartikel wuchtet Justine Electra auf ihren Küchentisch.
       „Unglaublich“, sagt die Musikerin, „was alles über meine Musik geschrieben
       wurde!“ Da war vom besonderen Mix aus R & B und Folk die Rede, von einer
       eigenen Vorstellungswelt, weder „material girl“ noch „Bekennerin“
       verkörpere Justine Electra, und sie habe nichts gemein mit den üblichen
       Images von Popsängerinnen.
       
       All die positiven Einschätzungen verdanken sich ihrem 2006 veröffentlichten
       Debütalbum „Soft Rock“. Bald soll Album Nummer zwei erscheinen. Nichts
       einfacher als das, denkt man. In Wahrheit steht Justine Electras Karriere
       auf Stand-by. Wegen des Erfolgs ihres Debüts wurden die Erwartungen an das
       zweite Album immer weiter nach oben geschraubt.
       
       Das allein ist für die gebürtige Australierin kein Anlass zur Sorge.
       Traurig macht sie aber, dass der Erscheinungstermin wieder und wieder
       verschoben wird. Dabei hat sie die Songs längst im Heimstudio ihrer
       Neuköllner Wohnung eingespielt – ihrem Label fehlt nur momentan leider das
       Geld für den letzten Schliff an der Musik. Trübsinn schimmert durch die
       Augen der Wahlberlinerin, während sie sich ein Stück Toast in den Mund
       schiebt und dabei aus dem Küchenfenster in den Innenhof blickt.
       
       Draußen nieselt es. Passend zum Thema. „Das Warten ist frustrierend“, sagt
       sie. Immerhin weiß Justine Electra die Wartezeit zu überbrücken: Eine
       Single mit zwei neuen Justine-Electra-Songs, „Petting Zoo“ und „Denim
       Dreaming“, ist vor kurzem erschienen. Auftritte in Berlin erhielten
       abermals gute Kritiken.
       
       ## Der schönste Song der Welt
       
       „This could be the most beautiful song in the world“, sagte die Künstlerin
       zu Anfang ihres Konzerts im Grünen Salon der Berliner Volksbühne. Kaum legt
       sie los, versetzt ihr Gesang das Publikum in eine Art Trance, so dass der
       Song tatsächlich das Potenzial entfaltet, zum Schönsten auf Erden zu werden
       – wären da nicht laute Klänge aus dem Spielzeuginstrument Muhdose, die ins
       Lied platzen und die Träumerei abrupt beenden.
       
       „Der Song spiegelt das Leben wider“, sagt Justine Electra, „man läuft die
       Straße runter, den Kopf voller schöner Gedanken, und aus dem Nichts
       brettert ein Lkw an einem vorbei.“ Der Alltag sei voller Störgeräusche, die
       einen in die Realität zurückholen. „Wenn ich die Außenwelt nicht in meine
       Musik mit einbeziehe“, fügt sie hinzu, „verliere ich schnell den Zugang zur
       eigenen Kreativität.“
       
       Justine Electra schreibt ständig neue, von einem auch dornenreichen Alltag
       inspirierte Songs. Sie erzählen von Liebeskummer, aber auch von Versöhnung,
       von Ahmed, dem Verkäufer im Spätkaufladen um die Ecke. Oft fußen die Texte
       auf beiläufigen Beobachtungen. Da überrascht es, wenn Justine Electra
       beichtet, ursprünglich wollte sie Anwältin werden: „Ich fand die
       Geschichten der Menschen und die Persönlichkeiten im Gerichtssaal
       spannend!“ Bei einem Praktikum entpuppten sich „das Rumsitzen und die
       Erledigung von Papierkram“ als zu aufreibend, und so studierte sie
       schließlich doch Gesang und Komposition an der Musikhochschule von
       Melbourne.
       
       Mit 20 verschlug es Justine von der anderen Seite des Globus nach Berlin.
       Sie hatte von der internationalen Musikszene Berlins gehört und wollte sie
       selbst in Augenschein nehmen. „Damals war ich noch ein Baby! Im Grunde bin
       ich erst in Berlin erwachsen geworden. Ich spiegele mich an jeder Ecke
       wider“.
       
       ## Heilung per Kinderlied
       
       Manchmal vermisst sie Australien, „das schöne Wetter und das
       Nicht-Ausländer-Sein“. Zumal eine Musiklehrerin in ihrer Heimat besser
       verdient als eine gefeierte Musikerin hierzulande. Doch jedes Mal, wenn sie
       überlegt, zurückzuziehen, erinnert sie sich an die zehn Jahre, die sie
       bereits in Berlin verbracht hat. Und an ihren kleinen Sohn, der hier vor
       zwei Jahren geboren wurde. Ob er dazu beigetragen hat, dass Spielzeugklänge
       und Kinderlieder viele ihrer neuen Songs bevölkern? „Das frage ich mich
       auch“, antwortet sie.
       
       Ihr eigenes Kind hat ihr klargemacht, dass Eltern heute unbeschwerter an
       die Erziehung rangehen können als in den Siebzigern. „In den Ratgebern
       meiner Eltern ging es ausschließlich darum, wie man Kinder unter Kontrolle
       hält, ihnen Grenzen setzt, sie unterdrückt. Viele aus meiner Generation
       sind davon traumatisiert und haben ihr inneres Kind ganz tief vergraben.
       Wenn ich heute Kinderlieder mit moderner Musik aufpeppe, führt das
       vielleicht zur Heilung“.
       
       ## Die menschliche Seite der Künstlernatur
       
       Auch sonst macht sich Justine Electra über ihr Publikum viele Gedanken. Es
       sei ihr wichtig, dass sie nicht nur als perfekte Künstlerin auf der Bühne
       bewundert wird, sondern dass auch die menschliche Seite ihrer Künstlernatur
       deutlich wird. Am liebsten möchte sie erreichen, dass Fans nach ihren
       Konzerten inspiriert bleiben und zu Hause selbst zum Musikinstrument
       greifen.
       
       Von dieser ziemlich einzigartigen Do-it-yourself-Mischung aus
       künstlerischem Anspruch und menschlicher Fehlbarkeit kriegt man bei Justine
       Electras Bühnenshow viel geboten. Im Berliner „.HBC“ rutscht ihr beim
       Auftritt zwischendurch der Spickzettel mit der Setliste unter den schweren
       Flügel. Bei „Petting Zoo“ versagt ihr die Stimme. Sie fängt noch mal von
       vorn an. Bei einem anderen Konzert stimmt sie mitten im Song die Gitarre
       neu und beendet die elektronischen Klangkulissen, die ihre Songs begleiten,
       ein paar Takte zu früh per Knopfdruck. Dabei blinzelt sie ins Publikum, als
       sei sie sich nicht ganz sicher, ob es noch da ist. Solche Pausen überbrückt
       sie gern, indem sie ausführt, was sie da gerade so macht, oder dem Publikum
       vorschlägt, es solle sich doch bitte unterhalten, bis sie wieder bereit
       ist.
       
       Bis zur ersehnten Veröffentlichung ihres neuen Albums jedenfalls kann man
       sich das Warten mit einer zweiten Singleauskoppelung verschönern. In Kürze
       wird „Gr8 sk8 date“ erscheinen, an dem auch der Produzent Robot Koch
       mitgewerkelt hat. „Der Song geht mehr in Richtung HipHop, à la Dr. Dre“,
       freut sie sich, „Die Leute werden überrascht sein!“
       
       15 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elise Graton
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pop
       
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