# taz.de -- Musikalische Improvisation: „Wir sind über die Musik gereift“
       
       > Das Album „Silfra“ ist ein Experiment: von Geigerin Hilary Hahn und
       > Pianist Volker Bertelmann alias Hauschka. Er spricht er über Minenfelder
       > und tektonische Platten.
       
 (IMG) Bild: Hatten keine Angst vor Spannungen: Hauschka und Hilary Hahn.
       
       taz: Sie haben Ihr gemeinsames Album nach Silfra benannt, einer unter
       Wasser vor der Küste Islands gelegenen Felsspalte. Warum hält die Natur als
       Albumtitel her? 
       
       Volker Bertelmann: Unser Album ist in Island entstanden, was die
       Mittellinie der beiden tektonischen Platten Europa und Nordamerika
       markiert. Unabhängig von mir hat Hilary Hahn in Island Valgeir Sigurdsson
       kennengelernt. Er ist ein guter Produzent, hat ein tolles Studio und einen
       guten Überblick über unser musikalisches Schaffen. Als wir in Island
       gelandet waren, sahen wir eine uns fremde Kargheit. Hilary ist in der
       Silfra-Spalte getaucht und war beeindruckt von ihrem abgeschlossenen
       Charakter, was die Weltabgewandtheit dieser Natur noch verstärkt.
       
       Bei tektonischen Plattenverschiebungen denkt man an Reibung. Wie würden Sie
       Ihre Zusammenarbeit beschreiben? 
       
       Es gab viele Auseinandersetzungen, geprägt davon, dass wir in
       unterschiedlichen musikalischen Welten beheimatet sind. Letztendlich haben
       wir aber doch vom Aufeinanderprallen unserer unterschiedlichen
       Arbeitsroutinen profitiert.
       
       Hilary Hahn ist eine Geigenvirtuosin. Sie sind in der elektronischen
       Musikszene zu Hause. Wie haben Sie eine gemeinsame Sprache gefunden? 
       
       Wir wurden von einem gemeinsamen Freund einander vorgestellt und waren uns
       sympathisch. Hilary Hahn hat für sich entschieden, dass Platz für ein
       Projekt wäre, das über ihre Arbeit hinausreicht. Mich interessiert
       klassische Komposition schon länger, ich bin allerdings kein gelernter
       Musiker, und so habe ich mich beim Kollaborieren bisweilen gefühlt, als
       ginge ich über ein Minenfeld.
       
       Wie ging die gemeinsame Arbeit vonstatten? 
       
       Wir haben uns über einen Zeitraum von zwei Jahren regelmäßig getroffen,
       ausschließlich zum Zwecke des Musikmachens. Im Abstand von drei, vier
       Monaten haben wir jeweils für ein paar Tage gespielt: Mikrofone
       angeschlossen und improvisiert. Anfängliche Unsicherheit wich bald einer
       Spielfreude.
       
       Die Rede ist von Minimal Music als Einflussgröße für „Silfra“. Mir kamen
       beim Anhören eher Anklänge an die Romantik in den Sinn. 
       
       Man benutzt das Wort „Romantik“ nur ungern, weil sofort festgefügte
       Assoziationen an das Weiche und Sentimentale erfolgen. Romantik ist in
       ihrem Kern aber eine Epoche voller Widersprüche gewesen, Komponisten waren
       auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Würde man diese Definitionen von
       Romantik anwenden, so entsprächen sie der Musik auf „Silfra“ durch und
       durch.
       
       Und Minimal Music? 
       
       Die drängt sich eher durch das wiederkehrende Muster der Repetition auf.
       Ansonsten eröffnen unsere Stücke in zwei, drei Minuten mehrere Klangwelten.
       Die eine ist komponiert, die andere wird am Computer kreiert.
       
       Können Sie etwas zur melancholischen Anmutung des Stücks „Krakow“ sagen,
       bei dem besonders Hilary Hahns Geige Kaffeehausstimmung verströmt? 
       
       Vielleicht kommt da der romantische Gedanke wieder mit rein, dass ein
       Gefühl Anhaltspunkte findet. Das ist auch ein Ansatzpunkt zwischen uns
       beiden als Künstler. Wir sind keine Menschen, die im Schaffen das
       Nachsinnen über Veränderung, Sehnsucht und dergleichen aussparen.
       
       „Silfra“ strahlt tiefe ortlose Einsamkeit aus. 
       
       Für mich spielt nicht der lokale Aspekt eine Rolle, sondern der
       Zwischenmenschliche. Beim Aufeinandertreffen einander fremder Musiker kann
       es zu intensiven Begegnungen kommen, weil man sich in dem Moment eine neue
       Welt kreiert, die abgeschlossen ist. Man fühlt sich dann wie unter einer
       Glasglocke. Ich komme ursprünglich aus einem Dorf im Siegerland, wo Enge
       existiert, Ausweglosigkeit, Beschränktheit, aber auch Offenheit. Für mich
       waren die USA eine unheimliche Befreiung. Die Aufbruchstimmung, der Wille,
       etwas zu verändern, an Dinge zu glauben, auch wenn sie einem alle ausreden
       wollen. Hilary Hahn sagt auch: just do it. Ich will voranschreiten und mir
       immer neue Herausforderungen suchen, daran hat mich in den USA – anders als
       in Deutschland – niemand gehindert.
       
       Eine Zusammenarbeit mit umgekehrten Vorzeichen: Wenn die Alte auf die Neue
       Welt trifft, dann repräsentiert sie zumeist die Hochkultur. Im Falle von
       „Silfra“ war es umgekehrt. 
       
       Alt und neu ist für mich schwierig zu unterscheiden. Bei unserem Projekt
       sind beide Merkmale zusammengekommen, wir haben etwas Neues gemacht, mit
       alten Komponenten.
       
       Gab es in Ihrer Zusammenarbeit typische Rollenverteilungen? 
       
       Natürlich bleiben Rollenmuster des Alltags auch nicht vor der Tür eines
       Aufnahmestudios. Ich will das gar nicht auf eine geschlechterspezifische
       Bedeutung reduzieren. Mir hat an der Zusammenarbeit mit Hilary Hahn
       imponiert, dass es überhaupt keine Bestrebungen gab, Rangordnungen
       herzustellen. Sie hat durchaus Argumente vorgebracht, die eine solche
       Ordnung hätten plausibel erscheinen lassen.
       
       Rangordnung ist im Kern jeder Beziehung.
       
       Es hat damit zu tun, dass man sich sowohl die schlechten als auch die guten
       Seiten anschaut und den Schmerz aushält, der damit verbunden ist. Als
       Musiker hatten wir keine Angst vor diesen Spannungen. Unsere erste
       Unterhaltung erzeugte Zündstoff für Weiteres.
       
       Weil Sie gefeierte Künstler jenseits dieses Projekts sind? 
       
       Ja, wir sind über die Musik gereift. Mit 18 hätte ich so eine Kollaboration
       noch nicht geschafft. Der beim Reisen entstandene Erfahrungsschatz hat mir
       geholfen. Dadurch bin ich offener geworden. In Deutschland werden die
       Künstler gerne klein gehalten. Die einzige Möglichkeit ist, über den Umweg
       des Auslands, nach draußen zu gehen und verändert wieder zurückzukommen.
       Das, finde ich, ist ein Qualitätsmerkmal.
       
       1 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
 (DIR) Julian Weber
       
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