# taz.de -- Debatte Eurokrise: In die Rezession getrieben
       
       > Mit der Einführung des Euro ging der naive Glauben einher, die
       > Volkswirtschaften würden sich einander angleichen. Das Gegenteil
       > geschieht.
       
 (IMG) Bild: Eine für alle: 17 Länder haben den Euro eingeführt.
       
       „Wir sind ja eine Struktur, die gibt es so auf der Welt nicht“, bemerkte
       Kanzlerin Angela Merkel dieser Tage treffend über die Euro-Zone.
       Mittlerweile seit mehr als 13 Jahren ist der Widerspruch des Euro in der
       Welt: Geschaffen wurde da ein Geld ohne Staat, weil hinter ihm nicht eine
       Regierung, sondern gleich 17 Regierungen stehen. 17 Regierungen, die
       beschlossen haben, ihre Währung zu vergemeinschaften, zugleich aber als
       Nationalstaaten weiter gegeneinander zu konkurrieren wie gehabt.
       
       17 Regierungen ohne eigene Währung – und auf der anderen Seite eine Währung
       ohne hinter ihr stehendem Souverän: Damit dieses Unikum funktionieren
       konnte, wurden allerlei Regeln und Mechanismen in die Welt gesetzt, die
       allen Staaten des Clubs die nötige Disziplin beim Haushalten und
       Schuldenmachen auferlegen sollten.
       
       Da war zum einen der Stabilitätspakt mit seinen strengen Parametern zum
       jährlichen Haushaltsdefizit und zur Gesamtverschuldung. Und da ist zum
       anderen das Statut der EZB, das die Europäische Zentralbank aufs
       Stabilitätsziel festlegt und ihr zugleich untersagt, die Bonds der
       Mitgliedstaaten bei ihrer Emission aufzukaufen.
       
       Auf ein höchst riskantes Spiel hatten sich da die Euro-Staaten eingelassen:
       Geldpolitisch war ihnen jeder autonome Handlungsspielraum genommen,
       zugleich war ihnen das Ventil möglicher Abwertungen innerhalb des
       Euro-Raums auf Dauer verschlossen.
       
       ## Naive Konvergenzerwartung
       
       Versorgt wurden sie vorerst bloß mit einer naiven Konvergenzerwartung: Da
       alle nun mit dem gleichen Geld, im gleichen grenzenlosen Wirtschaftsraum
       operierten, würden sich ihre Volkswirtschaften mit der Zeit aneinander
       angleichen.
       
       Doch das Gegenteil geschah, wie die Handels- und Zahlungsströme zwischen
       den Euro-Staaten bald zeigten. Vorneweg Deutschland – und mit ihm einige
       andere Länder des harten Kerns – erwirtschaftete Jahr für Jahr wachsende
       Überschüsse.
       
       Auf der anderen Seite standen jene Staaten – es sind, keineswegs
       überraschend, diejenigen, die heute als Pleitekandidaten gelten, deren
       Handels- und Leistungsbilanzdefizite im gleichen Rhythmus stiegen. Anders
       gesagt: Deutsche Waren überschwemmten den Euro-Raum, deutsche Anbieter
       drückten ihre Konkurrenten an die Wand, keinerlei Abwertung konnte mehr
       Ausgleich schaffen, wie dies bis 1998 der Fall gewesen war.
       
       „Die ganze Welt will unser Geld“, jammern jetzt in der Euro-Krise deutsche
       Medien. Wahr war zunächst das Gegenteil: Das Geld der anderen floss in
       immer rascherem Tempo nach Deutschland, dessen Überschuss innerhalb des
       Euro-Raums auf über 100 Milliarden Euro pro Jahr kletterte.
       
       ## Von Krediten abgeschnitten
       
       Bis zum Ausbruch der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise schien
       dieses sich zunehmend verschärfende Ungleichgewicht jedoch unerheblich –
       die Überschüsse jener Länder, die von und in der Euro-Zone profitierten,
       flossen als Kredit in die Defizitländer zurück, finanzierten dort
       Immobilienblasen und privaten Konsum oder linderten dank niedriger Zinsen
       die Probleme mit hohen staatlichen Schuldenbergen.
       
       Anscheinend gab es in der Euro-Zone trotz des aufbrechenden Grabens nicht
       Sieger und Verlierer, sondern nur Gewinner. Zum Ausdruck brachte das der
       seinerzeit, vor 2009, minimale Spread: Auch Länder wie Spanien und Italien
       konnten sich zu Zinsen verschulden, die gerade einmal 0,5 Prozent über den
       deutschen lagen.
       
       Dass die Konkurrenzerfolge der einzelnen Euro-Staaten höchst
       unterschiedlich ausfielen, bildete sich jedenfalls in den von ihnen zu
       zahlenden Zinsen nicht ab: Alle genossen als Schuldner an den
       Kapitalmärkten die gleiche Bonität – wenigstens auf diesem Feld schien sich
       die naive Konvergenzerwartung zu bewahrheiten.
       
       Damit ist es seit Ausbruch der Euro-Krise radikal vorbei. Geld ohne einen
       hinter ihm stehenden Staat: Dieses Prinzip kehrte sich zunächst für
       Griechenland, Irland, Portugal, jetzt auch für Spanien und bald womöglich
       für Italien um. Sie finden sich plötzlich als Staaten ohne Geld, als
       Staaten, die vom Kredit abgeschnitten sind – und die über keinerlei
       Instrument verfügen, um über ihre Notenbank an Geld, über eine Abwertung
       der nationalen Währung an bessere Geschäftskonditionen zu kommen.
       
       Jetzt, da die deutschen Überschüsse nicht mehr als Kredit gen Süden
       fließen, da Deutschland vielmehr innerhalb des europäischen
       Zentralbanksystems mittlerweile Forderungen von über 700 Milliarden Euro
       angehäuft hat, brechen die strukturellen ökonomischen Verwerfungen, die
       sich im Euro-Raum seit 1998 entwickelt haben, mit aller Macht auf.
       
       ## Rezept der inneren Abwertung
       
       Wer mag, kann diese Tatsache natürlich auf den Kopf stellen und Länder, die
       in der Folge ihrer Zugehörigkeit zum Euro dem drohenden Ruin ins Auge
       blicken, zu „Pleitestaaten“ erklären, die mit ihrem leichtsinnigen
       Wirtschaften dabei seien, unseren schönen Euro zu ruinieren – die mithin
       nicht bloß ihren ökonomischen, sondern auch ihren moralischen Kredit
       verspielt haben.
       
       Dies ist die Begleitmusik zu jener politischen Asymmetrie, die sich mit
       Ausbruch der Euro-Krise zum ökonomischen Ungleichgewicht gesellt hat: Über
       die Wege aus der Krise entscheidet in der Substanz nur noch Deutschland.
       Und Deutschland denkt unter der Regierung Merkel bisher zuallerletzt
       darüber nach, wie den Krisenstaaten wieder Luft verschafft, wie ihre
       Kreditwürdigkeit wiederhergestellt werden kann.
       
       Stattdessen setzt es auf das Rezept einer „inneren Abwertung“ bei den
       Verlierern: Sie sollen ihre Konkurrenzfähigkeit wiedergewinnen, indem sie
       Einkommen und Sozialleistungen zusammenstreichen – gleichsam als Ersatz für
       das nicht mehr verfügbare Ventil der Währungsabwertung.
       
       Dies wäre, so glaubt man anscheinend in Berlin, dann endlich jener Weg zur
       Konvergenz, die sich über die Einführung des Euro nicht spontan einstellen
       wollte: ein Weg, der die Krisenländer in die Rezession treibt, statt ihnen
       neue Wachstumsperspektiven zu eröffnen. Ein Irrweg mithin, der ihren Status
       als Verlierer innerhalb der Euro-Zone zu zementieren droht. Es bleibt das
       Geheimnis seiner Verfechter, wie ausgerechnet auf diese Weise der
       Zusammenbruch des Euro abgewendet werden soll.
       
       25 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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