# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Das griechische Paradoxon
       
       > Kann wirklich nur die „Nea Dimokratia“ Griechenland retten? Die Griechen
       > können nur an den Euro glauben, weil sie die linke Syriza gewählt haben.
       
       Bereits vor den griechischen Wahlen galt es als ausgemacht, dass nur die
       Nea Dimokratia den Euro retten könne. Wenn er denn nun „gerettet“ und das
       Drohszenario entschärft wurde, lag das tatsächlich nur am Wahlsieg der
       griechischen Konservativen? Man merkt der Frage die Skepsis an.
       
       Ulrike Herrmann schrieb kürzlich in [1][einem sehr schönen Kommentar] in
       der taz, Geld sei nur das, was als Geld akzeptiert werde, Geld sei eine
       „soziale Konstruktion“. Deshalb brauche es Vertrauen: Nur wenn man einer
       Währung vertraue, könne diese funktionieren. Das mit dem Vertrauen ist aber
       eine vertrackte Sache. Da stellt sich die Frage: Wer soll denn Vertrauen in
       den Euro haben, wessen Vertrauen bedarf er: jenem der Märkte oder jenem der
       Bürger, etwa der Griechen? Das ist nicht dasselbe.
       
       Es ist in einem gewissen Sinne sogar das Gegenteil. Denn die Finanzmärkte
       glauben (und das muss man bekanntlich nicht in Anführungszeichen setzen!)
       an die europäische Währung, wenn diese eine Disziplinarinstitution ist –
       ein Medium zur Disziplinierung von Volkswirtschaften. Damit aber die Bürger
       an den Euro glauben, darf dieser eben kein Diktat sein. Für sie kann es
       Vertrauen nur geben, wenn es auch Einspruch gibt.
       
       Ein Effekt der Finanzkrise ist, dass die europäische Währung nicht mehr nur
       durch Vertrauen funktioniert beziehungsweise dass neu definiert wird, was
       Vertrauen bedeutet: nicht nur Affirmation, sondern auch Einspruch, nicht
       nur Zustimmung, sondern auch Skepsis. Wenn Geld eine soziale Konstruktion
       ist, wenn Geld das Medium einer politischen Union ist – und wie sonst
       sollte eine Währung funktionieren? –, dann braucht es nicht nur Vertrauen,
       sondern auch Misstrauen. Durch dieses Paradoxon hat sich so etwas wie eine
       demokratische Dimension der gemeinsamen Währung eröffnet.
       
       Demokratie sei, schrieb der bulgarische Politologe Ivan Krastev, „no
       satisfaction machine“ (auf Deutsch gibt es keine so prägnante
       Formulierung). Sie produziert nicht Zufriedenheit, sondern ist Umgang mit
       Unzufriedenheit. Umgelegt auf das griechische Dilemma bedeutet dies: Wenn
       die Nea Dimokratia massiv gewonnen hätte, wenn die Griechen also die
       „Wahlvorgaben“ der EU erfüllt hätten, dann hätten sie nicht mehr an den
       Euro als „demokratische Währung“, nicht mehr an eine demokratische Union
       glauben können.
       
       ## Ökonomische Klugheit erfordert politische Unvernunft
       
       Nur weil sie auch massiv Syriza gewählt haben, also jene Partei, die im
       Unterschied zur Nea Dimokratia nicht Träger der Marktordnung ist, sondern
       für den Einspruch gegen die „Wahlvorgaben“, gegen das Sparmemorandum steht,
       nur deshalb können sie – vielleicht – noch an den Euro glauben.
       
       Vielleicht ist das in gewisser Weise sogar das bestmögliche Wahlergebnis in
       der gegebenen Situation gewesen. Klaus Hillenbrand hat – ebenfalls in der
       taz – [2][darauf hingewiesen], dass absurderweise die Wahl ebenjener
       Partei, die Ursache der Krise ist, jetzt notwendig sei, um das Drama einer
       Staatspleite abzuwenden. Ökonomische Klugheit erfordert politische
       Unvernunft. Das widersprach all jenen, die meinten, jetzt, wo es eine
       tatsächliche Alternative gäbe, hat Brüssel, hat Angela Merkel, haben die
       Finanzmärkte den Griechen diese wirkliche Wahl genommen.
       
       Das massive Votum für Syriza, diese 27 Prozent, hat diese zwei
       gegensätzlichen Positionen verbunden. Es hat etwas von der Alternative
       offengehalten. Und es hat gezeigt, dass der demokratische Umgang mit
       Unzufriedenheit nicht einfach abreagieren bedeutet. Das ist nicht einfach
       ein Placebo, um die Aufgebrachten ruhigzustellen. Denn das Wahlergebnis hat
       Syriza eine starke Position verliehen. Sie ist jetzt ein politischer
       Machtfaktor, über den man nicht hinweggehen kann. Immerhin.
       
       Nea Dimokratia mag den Euro für die Märkte gerettet haben (zumindest
       kurzfristig), für die Bürger hat die Stärkung der Partei des Einspruchs,
       für die Europäer hat letztlich Syriza den Euro gerettet. Das Misstrauen hat
       sich in Griechenland als das neue Vertrauen in die Währung erwiesen – so
       lautet die paradoxe griechische Lektion.
       
       25 Jun 2012
       
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