# taz.de -- Kolumne B-Note: Das Cristiano-Ronaldo-Syndrom
       
       > Alle schimpfen über Ronaldos Spiel, haben aber nur sein Haargel vor
       > Augen. Die, die nörgeln, wollen besonders tiefgründig wirken. Und sind
       > dabei noch alberner.
       
 (IMG) Bild: Mit viel Gel und Hang zu großen Gesten: Cristiano Ronaldo.
       
       Anna Kournikova gilt allgemein als ziemlich mäßige Tennisspielerin, als ein
       Mediendarling, der eigentlich nichts drauf hatte, außer Brüste. Dabei
       gewann sie zwei Grand-Slam-Titel im Doppel und war im Einzel
       Weltranglisten-Achte, was jetzt nicht direkt schlecht ist.
       
       Kournikovas Problem: Sie sah hervorragend aus und das auf eine Art, bei der
       jede Pore ihres Körpers sagte: „Seht her, wie attraktiv ich bin“. Solche
       Menschen müssen sich im Sport doppelt beweisen und permanent gegen den
       Verdacht anspielen, nur wegen ihres Aussehens berühmt zu sein. Sie haben
       das Cristiano-Ronaldo-Syndrom.
       
       Der portugiesische Angreifer ist aktuell unzweifelhaft einer der besten
       Fußballer der Welt, er hat zuletzt 46 Saisontore in der spanischen Liga
       geschossen, auch einen großen Titel holte er schon: 2008 die Champions
       League. Gleichzeitig legt Ronaldo genauso unzweifelhaft viel Wert auf sein
       Aussehen, wird von zahlreichen Menschen attraktiv gefunden und schmiert
       sich Gel ins Haar (was gefühlt 80 Prozent aller unter 30-Jährigen Männer
       und 98 Prozent aller Profifußballer tun, der als besonders unprätentiös
       geltende Wayne Rooney transplantiert sich sogar Haare – aber egal).
       
       Nun scheint Eitelkeit für viele Leute nicht mit Leistungsfähigkeit
       vereinbar zu sein. Bei jedem Fehlschuss, jeder Macke in Ronaldos Spiel
       fühlen sie sich bestätigt: Der Mann ist nichts als Hype. Als ob Ronaldo nur
       auf dem Platz stehen würde, weil die Mannschaftsaufstellung von einem
       Teenagerinnen-Telefonvoting bestimmt wird, und nicht von
       leistungsorientierten Trainern.
       
       Interessanterweise findet man Ronaldokritiker vor allem unter Menschen, die
       sich selbst für reflektiert halten. Das funktioniert so: Weil Ronaldo schön
       sein will, muss er oberflächlich sein. Um zu zeigen, wie unheimlich
       unoberflächlich man selbst ist, bewertet man Ronaldos Spiel besonders
       kritisch. Die Beurteilung von Spielfähigkeiten auf der Grundlage von
       Aussehen wird so zum Ausdruck von Tiefgründigkeit. Bemerkenswert.
       
       Neben der Haargelsache wird übrigens auch Ronaldos Gestik im Allgemeinen
       und sein Freistoßanlauf im Speziellen gern kritisiert. Hierbei macht er
       fünf große Schritte rückwärts, um dann breitbeinig wie ein Cowboy
       stehenzubleiben. Reines Gegockel? Von wegen: Da hat jemand für sich
       herausgefunden, wie der optimale Bewegungsablauf sein muss und es in ein
       Ritual zur besseren Konzentration verpackt. Einen Sami Khedira würde man
       für solche Akribie loben. Ronaldo nicht.
       
       Denn das Narrativ „Ronaldo ist ein überschätzter Schnösel“ hat sich längst
       so tief in die öffentliche Fußball-Wahrnehmung gebrannt wie „Italiener
       können nur mauern” (auch wenn Prandelli gerade das Gegenteil veranstaltet),
       „Deutschland hat immer Losglück” (Todesgruppe, hallo?) und „Engländer
       können keine Elfer” (obwohl, Moment, das stimmt ja wirklich).
       
       Und deswegen ist auch egal, dass Ronaldo bei dieser EM in zwei
       entscheidenden Spielen der beste Mann auf dem Platz war, mit drei Toren und
       vier Aluminiumtreffern. Es braucht nur eine vergebene Großchance, nur ein
       in Superzeitlupengroßaufnahme gezeigter hadernder Blick, nur ein Übersehen
       des besser postierten Nebenmannes von Cristiano Ronaldo – und alle werden
       es mal wieder schon immer gewusst haben. Der Typ ist ne Wurst!
       
       27 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
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