# taz.de -- sonntaz-Gespräch mit Rainer Hess: „Der Druck nimmt ständig zu“
       
       > Rainer Hess, einer der mächtigsten Männer im Deutschen Gesundheitssystem,
       > geht in den Ruhestand. Er kritisiert Politik und Pharmaindustrie für
       > „unanständige“ Einflussnahme.
       
 (IMG) Bild: „Totale Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung gibt es nicht“, sagt Rainer Hess.
       
       BERLIN taz | Der scheidende Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses,
       Rainer Hess, erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundesregierung und
       Pharmaindustrie. 2010 verlor Peter Sawicki, der Leiter des unabhängigen
       Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG),
       seinen Job. Im sonntaz-Gespräch in der taz-Wochenendausgabe urteilt Hess
       hierzu im Rückblick: „Dahinter standen Teile der Politik, und dahinter
       wiederum die Industrie.“ Leider habe die Kampagne Erfolg gehabt, sagt Hess.
       
       Sawickis Institut prüft im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA),
       ob neue Arzneien einen zusätzlichen Nutzen für Patienten haben. Der G-BA
       entscheidet auf Grundlage dessen, ob die gesetzlichen Krankenkassen die
       Medikamente und medizinischen Leistungen – von der Chemotherapie bis zum
       Rollstuhl – bezahlen.
       
       2010 machten Pharmaunternehmen angeblich Druck, Sawickis Vertrag nicht zu
       verlängern. Zur selben Zeit hielt ein Prüfbericht ihm fehlerhafte
       Dienstabrechnungen vor. Hess hält dies nun für vorgeschoben: "Es ging unter
       anderem um Rasenmäherbenzin, das er versehentlich mit dem Benzin für seinen
       Dienstwagen abrechnete. Das hätte jeder schon bei der Prüfung der
       Abrechnung sehen können. So etwas dann als Vorwand für die Ablehnung der
       Vertragsverlängerung zu verwenden, halte ich fast schon für unanständig."
       Damals war Philipp Rösler (FDP) Bundesgesundheitsminister.
       
       Der 71-Jährige Hess scheidet zu Ende Juni nach acht Jahren aus dem Amt des
       Unparteiischen Vorsitzenden des G-BA. In dem zentralen
       Selbstverwaltungsgremium im deutschen Gesundheitswesen sind Kassen, Ärzte,
       Kliniken und Patienten vertreten. Rund 70 Millionen Kassenpatienten sind
       von seinen Entscheidungen betroffenen. „Der Druck nimmt stetig zu“, sagt
       Hess über die Arbeit des Gremiums. „Totale Unabhängigkeit in der
       Entscheidungsfindung gibt es nicht.“ Aber man könne sich durch einen
       Interessensausgleich der Unabhängigkeit annähern.
       
       Hess plädiert dafür, dessen Arbeitsweise des Gremiums zu verändern. "Wir
       müssen weniger Einzelentscheidungen fällen und mehr Versorgungsprobleme
       lösen", sagt er mit Blick auf Krankheiten wie etwa Depression, bei denen
       falsche Diagnosen und Arztwechsel hohe Kosten verursachen. Auch Wettbewerb
       sei hier keine Lösung. „Meiner Meinung nach hat der Wettbewerb das System
       in Deutschland bisher nur verteuert“, bilanziert Hess.
       
       Im ganzen sonntaz-Gespräch in der aktuellen taz-Wochenendausgabe spricht
       Rainer Hess über seine Erfahrungen mit eingekauften Demonstranten und
       gefälschten Patientenbriefen, erklärt, warum sein Gremium weder aus
       finanziellen Gründen noch aufgrund von ethischen Bedenken entscheiden darf
       und warum er selbst ein unkritischer Patient ist. In der
       [1][Wochenendausgabe der taz vom 30. Juni/1. Juli] – an jedem gutsortierten
       Kiosk, im [2][eKiosk] oder per [3][Wochenendabo] direkt in Ihrem
       Briefkasten.
       
       30 Jun 2012
       
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