# taz.de -- Riesendemonstration in Hongkong: Ein Frust, zwei Systeme
       
       > 15 Jahre nach der Rückkehr steckt die ehemalige Kolonie in einer
       > politischen Krise. Gegen Peking und seine Statthalter demonstrieren in
       > Honkong Hunderttausende.
       
 (IMG) Bild: Massenprotest in Hongkong gegen die Pekinger Regierung.
       
       PEKING taz | Schon die Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des
       Tiananmen-Massackers von 1989 lockte in diesem Jahr mehr als 200.000
       Hongkonger Bürger auf den Victoria Platz und damit so viele wie lange
       nicht. Am Sonntag erlebte die Sieben-Millionen-Metropole mit fast einer
       halben Million Teilnehmer die größte Demonstration seit anderthalb
       Jahrzehnten.
       
       Anlass war der 15. Jahrestag der Übergabe der ehemaligen britischen
       Kronkolonie an die Volksrepublik, zu dem Chinas Staatspräsident Hu Jintao
       höchstpersönlich angereist kam. Es war das erste Mal, dass das chinesische
       Staatsoberhaupt auf so viel Protest im eigenen Land stieß.
       
       „Englands Königin machte uns zur Perle des Orients, die Partei ruiniert
       uns“, stand auf einem Banner geschrieben. „Unsere Eltern sind nach Hongkong
       geflüchtet, um den Kommunisten zu entkommen. Nun liefern wird ihnen unsere
       Kinder aus“, stand auf einem anderen.
       
       „Unsere Rechte sind ernsthaft bedroht“, rief Eric Lai von der Zivilen
       Menschenrechtsfront den Protestteilnehmern zu. Viele der Teilnehmer waren
       in schwarz und weiß gekleidet.
       
       Bereits am Samstag gingen Sicherheitskräfte mit Pfefferspray gegen die
       Demonstranten vor. Sie hatten zu Hunderten vor Hus Hotel protestiert. Als
       einige von ihnen die Absperrungen durchbrechen wollten, setzten die Beamten
       das Spray ein.
       
       15 Jahre nach der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an die
       Volksrepublik China ist der Unmut der Hongkonger groß. Die Politik der
       vergangenen anderthalb Jahrzehnte habe dazu beigetragen, dass Hongkong
       weltweit die Stadt mit dem größten Wohlstandsgefälle ist, schreibt Lee
       Peng-Fei, ehemaliger Chef der Liberalen Partei in der South China Morning
       Post.
       
       Und tatsächlich: Wer kein eigenes Geschäft besitzt oder im Finanzsektor
       arbeitet, büßt deutlich an Lebensqualität ein. Das ärmste Zehntel verdient
       heute 22 Prozent weniger als 1997.
       
       Zugleich machen die derzeit explodierenden Immobilienpreis auch den
       Mittelstand schwer zu schaffen. Sie sind seit 2008 um 80 Prozent in die
       Höhe geschossen.
       
       „Die Menschen haben die Nase voll von einer Politik, die fette Katzen noch
       fetter macht“, schreibt Lee.
       
       Vor allem der letzte Regierungschef der Stadt, Donald Tsang, stand für
       diese Politik. Er ließ sich von der einflussreichen Wirtschaftselite der
       Stadt Reisen auf Jachten und in Privatjets sponsern.
       
       ## Die Korruption blüht wieer auf
       
       Klüngel, Vetternwirtschaft und Korruption – am Ende der britischen
       Herrschaft als überwunden geglaubt – florieren wieder.
       
       In einer Umfrage gaben 87 Prozent der befragten Hongkonger Journalisten an,
       dass sich für sie der Zugang zu Informationen erschwert habe und sie bei
       der Berichterstattung behindert wurden. Das sind 30 Prozent mehr als in
       einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahre 2007.
       
       Besonders unter Beschuss steht derzeit Wang Xiangwei, neuer Chefredakteur
       der einst renommierten South China Morning Post. Gegen den Willen der
       Belegschaft hatte er einen Bericht über die Todesursache des Dissidenten Li
       verhindert.
       
       Die chinesischer Seite behauptet, der Dissident habe sich das Leben
       genommen. Seine Angehörigen hingegen gehen von Mord aus.
       
       ## Angestammte Rechte
       
       Unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ hatte Peking der ehemaligen
       britischen Kronkolonie versprochen, die angestammten Rechte für weitere 50
       Jahre aufrecht zu erhalten. Darunter fällt neben einer eigenen Währung und
       einem eigenen Rechtssystem auch die Presse- und Versammlungsfreiheit.
       
       Chinas Präsident Hu Jintao bekräftigte am Sonntag in seiner Jubiläumsrede,
       dass dieser Status „unerschütterlich“ bleibe. Grundsätzlich werden diese
       Rechte tatsächlich auch eingeräumt. Viele Journalisten beklagen jedoch eine
       zunehmende Selbstzensur der Medienhäuser.
       
       Tsangs Nachfolger Leung Chun-Ying, der am Sonntag offiziell vereidigt
       wurde, versprach, gerade das Problem der explodierenden Immobilienpreise
       angehen und insgesamt für mehr sozialen Ausgleich in der Stadt sorgen zu
       wollen.
       
       ## Der Konkurrent war nicht tragbar
       
       Doch auch seine Ernennung stand unter keinem guten Stern. Er konnte sich
       bei den überwiegend von Peking bestimmten Wahlmännern nur deswegen
       durchsetzen, weil sein zunächst von der Wirtsschaftselite favorisierter
       Konkurrent, der ehemalige Verwaltungschef der Stadt Henry Tang an einem
       Bauskandal beteiligt und damit nicht mehr tragbar war.
       
       Doch steht auch Leung der Regierung in Peking nahe. Wäre er es nicht, hätte
       er gar keine Chance auf den Posten des Regierungschefs gehabt.
       
       2020 sollen in Hongkong erstmals freie Parlamentswahlen stattfinden, 2017
       bereits Wahlen zum Regierungschef. Gelingt es Leung bis dahin nicht, den
       Hongkongern die politische Frust zu nehmen, dürften auch seine Tage gezählt
       sein.
       
       1 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lee
       
       ## TAGS
       
 (DIR) China
       
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