# taz.de -- Kommentar Erbtest für Embryos: Moralkeule gegen Mündigkeit
       
       > Der neue Erbguttest ist ein weiterer Baustein in einer zunehmend
       > personalisierten Medizin. Diese Diagnostik kann ein aufgeklärter Staat
       > seinen Bürgern nicht vorenthalten.
       
       Jeder Schwangeren über 35 wird hierzulande ein Angebot gemacht: Sie darf
       das Baby im Bauch untersuchen lassen. Es wird geschallt, die Nackenfalte
       gemessen, die Fruchtblase punktiert. Wenn sich herausstellt, dass die
       Wahrscheinlichkeit einer Behinderung hoch ist, darf die Schwangerschaft
       beendet werden, notfalls bis kurz vor der Geburt. Das ist gesellschaftlich
       weitgehend akzeptiert.
       
       Jetzt kommt ein neuer Test auf den Markt; einer, der das Erbgut des Embryos
       über das Blut der Mutter analysiert und damit vergleichsweise schonend
       funktioniert. Doch statt den Test anzuerkennen als das, was er ist:
       weiterer Baustein in einer zunehmend personalisierten Medizin, eine
       Diagnostik, die ein aufgeklärter Staat seinen mündigen Bürgern nicht
       dauerhaft vorenthalten dürfen wird, weil diese ein Recht auf Wissen haben,
       um eigene Entscheidungen treffen zu können, greifen Kirchen, Verbände und
       einige Politiker zur Moralkeule: Der Test trage zur weiteren
       Diskriminierung behinderter Menschen bei.
       
       Der ethische Anspruch, der hier mitschwingt, spiegelt sich leider in
       unserer Willkommenskultur für Behinderte im Alltag nicht wider. Wer je
       einem Kind, etwa mit Down-Syndrom, ein Leben ohne Ausgrenzung ermöglichen
       wollte und dann die Bittstellerei bei Ämtern, Krankenkassen, und ja: häufig
       auch ausgerechnet bei konfessionellen Kindergärten und Schulen erleben
       durfte, der fragt sich, wieso ebenjene Institutionen jetzt nicht einfach
       schweigen.
       
       Wer erfahren hat, dass Familien mit behinderten Kindern ein doppelt so
       hohes Armutsrisiko haben, der möchte nicht bevormundet werden in seiner
       Entscheidung für oder gegen eine Untersuchung des Embryos. Wer sich je für
       oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden musste, weiß,
       dass nur Zyniker behaupten, dies sei ein leichtfertiger Entschluss.
       
       Der Bluttest ist der falsche Adressat für die Empörung: Die Gesellschaft
       diskriminiert nicht im Bauch, sondern draußen, im richtigen Leben.
       
       5 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Behinderung
       
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