# taz.de -- Politische Ästhetik Alfredo Jaars in Berlin: Blenden mit dem Licht der Aufklärung
       
       > Drei Kunstinstitutionen zeigen eine umfassende Retrospektive des
       > chilenischen Künstlers Alfredo Jaar. Darin wird das Verhältnis von
       > Ästhetik und Widerstand verhandelt.
       
 (IMG) Bild: Präsenz des Unsichtbaren: „Rwanda Rwanda“ aus dem Jahr 1994.
       
       BERLIN taz | Picassos „Guernica“, Franz Kafkas „Schloß“ und die
       Tempelanlagen von Angkor Wat: die Spur der Kunst zieht sich wie ein roter
       Faden durch Peter Weiss’ legendäre „Ästhetik des Widerstands“. Den
       namenlosen Arbeiter, der sich durch diesen voluminösen Entwicklungsroman
       bewegt, quält stets dieselbe Frage: Welche Potenziale bietet die Kunst für
       Emanzipation und Widerstand?
       
       Den Titel hat die große Retrospektive, die derzeit in drei Berliner
       Kunstinstitutionen zu sehen ist, nicht zufällig mit dem Referenzwerk der
       politischen Ästhetik gemein. Denn Alfredo Jaar, dessen Oeuvre die Neue
       Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), die Alte Nationalgalerie und die
       Berlinische Galerie ausrollen, schätzte Peter Weiss. Doch statt auf eine
       Welt hinter der Welt wird man bei dem 1956 geborenen Chilenen immer wieder
       auf die real existierende Realität verwiesen, auf ihre Schattenseiten,
       versteht sich.
       
       Denn was sagen die goldenen Rahmen, die in der Alten Nationalgalerie vor
       Gemälden Max Liebermanns und des bayerischen Realisten Wilhelm Leibl
       ausliegen? In Jaars Werkgruppe „1+1+1“, die schon 1987 auf der Documenta 8
       zu sehen gewesen war, stehen hinter den akanthusgeschmückten Sinnbildern
       für das Kunstsystem drei auf den Kopf gestellte Aufnahmen des
       Fotojournalisten Steve Cagan. Auf ihnen sind, sepiagetönt, die Beine von in
       Armut lebenden Straßenkindern zu sehen.
       
       Das Triptychon hat die minimalistische Präzision, die alle Arbeiten Jaars
       auszeichnet. Und für die achtziger Jahre mag diese Art der
       Repräsentationskritik ihre Bedeutung gehabt haben. Heute wirkt das
       einengend. Denn der dritte, mit einem Spiegel gefüllte Rahmen, in dem das
       Foto plötzlich richtig herum auftaucht, soll ja wohl besagen, dass Kunst
       die Realität abbilden, einbeziehen soll.
       
       Wer die Ausstellung des Moralisten und Interventionisten auf der Suche nach
       brauchbaren Ansätzen politischer Kunst durchstreift, die mehr zu bieten
       haben als die Fusion von Occupy Now und Museum, die diesen Kunstsommer
       dominierte, sieht sich ebenfalls enttäuscht.
       
       Immerhin zeigt die von Frank Wagner hervorragend kuratierte Ausstellung,
       dass Jaar schon mal weiter war, wie eine seiner öffentlichen Interventionen
       zu Beginn der achtziger Jahre, die in der NGBK zu sehen sind, belegt. Gegen
       die Brutalität der Diktatur wirkt Jaars überall im Lande plakatierte Frage
       „Es usted feliz? – Sind sie glücklich?“ – geradezu unverhältnismäßig
       subtil: Kunst als kollektive Gesprächstherapie in einem Land des
       verordneten Schweigens.
       
       Pinochets Putsch samt dessen Folgen hat den jungen Künstler stark geprägt.
       Jaar war 17 Jahre alt, als Salvador Allende am 11. September 1973 beim
       Sturm auf den Präsidentenpalast La Moneda ums Leben kam. „September 11,
       1973“ nannte er eine Arbeit ein Jahr später. Auf einem Jahreskalender des
       Jahres 1973 tragen plötzlich alle Tage, die dem 11. September folgen, die
       Zahl elf.
       
       Die tausend kleinen Nationalflaggen, die er 1982 in den Strandsand steckte,
       sollen an die Ermordeten erinnern, die die Junta von Flugzeugen aus ins
       Meer werfen ließ. „Chile 1981, before leaving“ hieß die Arbeit nicht
       umsonst. Kurz darauf siedelt Jaar als Architekt nach New York um, wo er
       heute noch lebt.
       
       Das Grundstürzende dieser politischen Erfahrung mag das Plakative befördert
       haben, das man in seinen Arbeiten auch findet: etwa wenn er in „Searching
       for K“ von 1984 auf einer Serie politischer Fotografien den Kopf von Henry
       Kissinger – Pinochets wohlwollendem Unterstützer im Zentrum des
       amerikanischen Imperiums – mit einem roten Kreis markiert, oder wenn er
       1994 im norwegischen Malmö 400 Fotolithografien in Werbeständern aufhängen
       lässt, um mit den Mitteln der kommerziellen Werbeästhetik den
       (unbestreitbaren) Skandal anzuprangern, wie die westliche
       Staatengemeinschaft den Völkermord in Ruanda verdrängt hatte.
       
       Immer geht es Jaar darum, Mechanismen, Lenker und Leerstellen des globalen
       Bilderregimes offenzulegen. Sehr viel mehr als Betroffenheit stellt sich
       nicht ein, wenn man in der Videoinstallation „Sound of Silence“ von 2006
       mit Lichtblitzen an die Geschichte des südafrikanischen Fotojournalisten
       Kevin Carter erinnert wird, der mit dem Bild von einem halb verhungerten
       Kind im Sudan, hinter dem ein Geier lauert, den Pulitzerpreis gewann.
       
       Das Licht der Aufklärung, das an Jaars Arbeiten gerühmt wird, leuchtet oft
       genug als Blendscheinwerfer. Und die Weiss’sche „Ästhetik des Widerstands“
       gibt bei ihm nicht viel mehr als eine Kulisse her. So wie er den Berliner
       Pergamonaltar, Schauplatz gleich zu Beginn des Weiss-Romans, zur
       Jahreswende 1993/94 schon einmal für eine Installation gegen die
       Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nutzte.
       
       Ganz anders ist das bei einer seiner besten Arbeiten. Drei Wochen nach dem
       Genozid an den Tutsi in Ruanda 1994 reiste der Künstler in das afrikanische
       Land, fotografierte Überlebende und schrieb ihre Geschichten nieder. Doch
       „Real Pictures“, die Arbeit, die ein Jahr später daraus hervorging, zeigt
       keines dieser Bilder. Sie sind in 372 schwarzen Archivboxen verschwunden,
       die, im Dunkeln aufeinandergestapelt, an Skulpturen des Minimal oder
       Grabsteine erinnern. Auf jeder Box steht eine kurze Geschichte zu jedem der
       Fotos. Bildverweigerung als Widerstand, aus dem mehr als das Sichtbare
       erwächst: Jeder soll sich sein eigenes Bild machen.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
       
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