# taz.de -- Algorithmus für Nachrichtenproduktion: Mittagspause war gestern
       
       > „Narrative Science" schreibt Geschichten, Kaffepausen braucht er keine.
       > Der Dienst wertet automatisiert Nachrichten aus und produziert daraus
       > neue Texte.
       
 (IMG) Bild: Arbeitsgeräte der Vergangenheit: Der Nachrichtenaggregator braucht weder Kaffee noch Zigaretten – nicht einmal eine Maus.
       
       BERLIN taz | Er schreibt für das US-Finanzmagazin Forbes und amerikanische
       Sportnachrichtendienste. In irrsinnigem Tempo verwandelt er Finanzberichte
       und Sportstatistiken in journalistische Texte, filtert die Essenz aus
       tausenden Twitter-Nachrichten – ohne Kaffeepausen, ohne Krankheitsausfälle
       und zu Preisen, für die Journalisten aus Fleisch und Blut nicht einmal den
       Rechner hochfahren würden.
       
       Doch der Autor „Narrative Science“ ist kein Mensch, sondern ein
       Algorithmus, der darauf trainiert ist, aus großen Datenmengen Texte zu
       schreiben. Und zwar solche, die von durchschnittlichen Fachberichten nur
       schwer zu unterscheiden sind.
       
       Konzipiert wurde der Dienst Narrative Science von Wissenschaftlern aus
       Chicago. Zehn Jahre tüftelten Kristian Hammond und sein Kollege Larry
       Birnbaum an ihrem Konzept für Roboterjournalismus. 2010 gründeten sie ihr
       Start-up und begannen ihren ersten Kunden zu beliefern – einen
       TV-Sportsender, dem der Algorithmus schon Spielberichte zur Verfügung
       stellte, während sich die Spieler auf dem Platz noch die Hände schüttelten.
       Etwa 30 Kunden soll Narrative Science inzwischen haben – Presse, aber auch
       Unternehmen, die sich ihre Statistiken in Fließtexte umwandeln lassen
       möchten. Nicht alle von ihnen machen transparent, dass sie von Computern
       generierte Texte veröffentlichen.
       
       Die Idee ist bestechend: In einer Zeit, in der mehr Daten zur Verfügung
       stehen, als ein Mensch überblicken kann, sollen Maschinen helfen,
       Zahlenkolonnen zu interpretieren und leichter verständlich zu machen. Kein
       Wunder also, dass Narrative Science sich als Erstes die häufig recht
       standardisierten und datenreichen Felder der Sport- und
       Finanzberichterstattung vorknöpfte.
       
       ## Pulitzerpreis in fünf Jahren
       
       Dabei soll es aber nicht bleiben: Nach Zukunftsprognosen für seinen Dienst
       befragt, nimmt Narrative-Science-Geschäftsführer Hammond den Mund gern
       voll. In fünf Jahren würde ein Text seines Algorithmus einen Pulitzer-Preis
       gewinnen, sagt er einmal. Ein anderes Mal kündigte er an, in 15 Jahren
       würden 90 Prozent aller Artikel von Computern geschrieben.
       
       Hört sich nach einer Kampfansage für die schreibende Zunft an: Warum noch
       auf menschliche Journalisten setzen, wenn es Narrative-Science-Algorithmen
       ähnlich gute Texte schneller und preiswerter bieten können? Ist der Dienst
       nicht die Lösung für Redaktionen in Zeiten knapper Kassen? „Narrative
       Science wird Journalisten nicht ersetzen, sondern kann sie von
       Routinetätigkeiten befreien“, sagt die in den USA ansässige deutsche
       Journalistin Ulrike Langer, die sich auf digitale Medien spezialisiert hat.
       Weniger 08/15-Berichte schreiben, mehr Zeit für eigene Recherchen. Und:
       Narrative-Science-Texte sind immer nur so gut, wie dem Algorithmus für
       bestimmte Aufgaben Formulierungen, Regeln, Interpretationen zugefüttert
       wurden – von Programmierern und Journalisten.
       
       Vielleicht kooperieren künftig auch Mensch und Maschine: Der Algorithmus
       wertet Daten aus und schreibt, der Journalist bearbeitet nach. Auch
       Narrative-Science-Geschäftsführer Hammond bemüht sich, den Eindruck vom
       Journalistenjobkiller gegenüber dem Magazin Wired zu zerstreuen: „Niemand
       hat wegen uns einen einzigen Job verloren.“ Und der Wired-Autor Steven Levy
       ergänzt lakonisch: zumindest bisher nicht.
       
       Doch Hammond argumentiert, Narrative Science würde vornehmlich Texte
       produzieren, die andernfalls überhaupt nicht geschrieben würden – etwa über
       Sportevents in unteren Ligen oder Gewinnprognosen für einzelne Unternehmen.
       Im Netz spülen auch solche Nischenthemen den Medienunternehmen Leser auf
       die Newsseiten. Künftig wäre gar denkbar, dass Algorithmenjournalismus
       individuell auf den Leser zugeschnittene Texte liefert.
       
       „Eine Redaktion kann nicht jeden Leser mit einer eigenen Geschichte
       beliefern“, erklärt Journalistin Langer. „Mithilfe eines Datensatzes geht
       das aber – denn der Algorithmus kann die Story je nach Leserinteresse
       entsprechend verändern.“ Diese Vision findet der US-Netzforscher Evgeny
       Morozov gefährlich. Denn sie könne dazu führen, dass Leser, die häufig
       Boulevardmedien lesen, „in einem Teufelskreis landen, nur noch
       Informationsschnipsel konsumieren und nicht wissen, dass es eine andere,
       intelligentere Welt gibt“.
       
       In Deutschland ist der Markt bislang schon allein durch die Sprachbarriere
       vor der digitalen Konkurrenz abgeschirmt: Narrative Science schreibt
       ausschließlich auf Englisch. Journalistin Langer meint dennoch: „Wenn
       Narrative Science erfolgreich ist, dann wird das auch Nachahmer finden.“
       
       17 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Algorithmus
       
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