# taz.de -- Israelische Siedlungspolitik: Erst Sperrgebiet, dann Siedlerland
       
       > Neun kleinen Dörfern im Westjordanland droht der Abriss durch Israels
       > Armee. Die beansprucht das Land für Militärübungen. Die betroffenen
       > Hirten wollen aber bleiben.
       
 (IMG) Bild: Mahmud Nouaja und Familie vor ihrem Wohnzimmer.
       
       SUSSIYA taz | Mahmud Nouaja beschreibt mit dem Zeigefinger einen Bogen.
       „Von dort hinten“, sagt er und deutet auf einen Stall, „bis hierher soll
       alles abgerissen werden“. Nouaja steht vor dem von einer Steinmauer gegen
       Wind geschützen Eingang zu einer Höhle.
       
       Gleich daneben ist das von der gesamten Großfamilie genutzte Außenklo,
       nicht viel mehr als ein von vier Wänden umgebenenes Loch. Fließendes Wasser
       gibt es hier nicht. Insgesamt 25 Häuser, darunter Höhlen, Zelte und mit
       Wellblechplatten zusammengezimmerte Ställe, sind vom Abriss bedroht, weil
       sie ohne Baugenehmigung errichtet wurden.
       
       Das Land im Süden von Hebron, der Heimat von ein paar tausend
       palästinensischen Hirten, ist karg und steinig. Sussiya gehört zu den
       wenigen Ortschaften, die noch mit dem PKW erreichbar sind. Für den Weg zu
       den anderen braucht man Vierradantrieb oder einen Esel. Seit zwei Monaten
       genießt Sussiya offiziell den Status eines Dorfes. Regierungschef Salam
       Fayyad schickte mit dieser zunächst nur formalen Aufwertung auch ein Signal
       an Israel. Die Ortschaften bilden fortan einen regionalen
       Verwaltungsbereich. Fayyad kündigte einen Entwicklungsplan an.
       
       „Er wird doch nichts für uns tun können“, meint Nouaja desillusioniert und
       erinnert an den Abriss eines Hauses in einem der Nachbardörfer. Der hagere
       33jährige mit dunklen Locken, einem Dreitagebart und sonnenverbrannter
       Haut, steckt in Trainingshosen und Plastiklatschen. Sechs Kinder muss er
       ernähren und seine beiden Ehefrauen. Der neunjährige Mohammed sitzt neben
       ihm und bearbeitet mit einer Zange eifrig den Deckel einer Colaflasche, bis
       ihm sein Vater das Werkzeug aus der Hand nimmt, damit sich der Junge nicht
       verletzt. Momente später schnappt er sich einen Schraubenzieher und
       „repariert“ eine kleine Plastikkiste.
       
       ## Kaum Optimismus
       
       Fayyad habe selbst mit Hand angelegt, um das abgerissene Haus
       wiederaufzubauen, trotzdem hätten es die Israelis einen Monat später erneut
       dem Erdboden gleichgemacht. Auch Mahmuds Bruder Nasser ist nicht sehr
       optimistisch. „Als Dorf steht uns der Anschluss an das Strom- und
       Wassernetz zu“, sagt er, doch dazu würden die Israelis „niemals ihre
       Zustimmung geben“.
       
       Trotzdem hofft Nasser, dass mit internationaler und israelischer
       solidarischer Hilfe der Abriss seines Dorfes verhindert werden kann. „Wenn
       ich heute schreie, dann hört man meine Stimme an vielen Orten.“ Eine der
       Organisationen, die sich für die Hirten einsetzen, ist medico
       international, die mit Hilfe deutscher Steuergelder Solaranlagen
       aufstellte, die genug Strom für Fernseher, Kühlschränke und Buttermaschinen
       liefern.
       
       Nach jüngster Urteilssprechung droht außer Sussiya acht weiteren Dörfern
       der Abriss. Allesamt liegen sie in der sogenannten C-Zone, der Region im
       Westjordanland, die bis heute unter ziviler israelischer Verwaltung steht.
       Die Armee, so die Begründung, braucht das Land, das als „Feuerzone 918“ auf
       den Karten verzeichnet ist, für militärische Übungzwecke.
       
       Schuld an der Misere, so meint Guy Inbar, Sprecher der Zivilbehörde, seien
       die Palästinenser, die „durch großflächige, illegale Bauten in der
       geschlossenen Zone versucht haben, den Status Quo zu durchbrechen und ihre
       eigene Position zu verbessern“. Seit gut zehn Jahren dauert der
       Rechtsstreit schon an. Damals entschied der Oberste Gerichtshof in
       Jerusalem zum ersten Mal über eine Räumung.
       
       „Die große Mehrheit der lokalen Anwohner“, so begründet die Zivilverwaltung
       die geplanten Räumungen, sei im Besitz von Haushalten in Yata, einer
       nahegelegenen größeren Ortschaft. „Es gibt Leute, die Wohnungen in Yata
       haben“, räumt Nouaja ein, „aber zu denen gehören wir nicht“. Außerdem sei
       in Yata kein Platz für die Tiere. Der junge Hirte zweifelt nicht, dass das
       Land seiner Vorfahren den Siedlern zukommen soll. „Zuerst wird es
       militärische Sperrzone, dann Bauland für die Juden.“ Niemals werde er
       aufgeben. „Ich komme immer wieder“, sagt er. „Und wenn nicht mehr da ist
       als ein Baum, dann komme ich und setze mich unter ihn.“
       
       19 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Israel
       
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