# taz.de -- Antisemitismus in Ungarn: Nazis unter sich
       
       > Ungarn geht zögerlich gegen Nazi-Verbrechen vor. Die wenigen Aktivisten,
       > die dagegen protestieren, werden von Rechtsradikalen bedroht.
       
 (IMG) Bild: Den Rechtsradikalen stellt sich in Ungarn niemand ungestraft in den Weg.
       
       BUDAPEST dpa | Eilig huscht die zierliche Frau durch eine enge Budapester
       Altstadtgasse. Erst als sie einen Boulevard erreicht, atmet Eszter
       Garai-Edler auf, denn hier gibt es Überwachungskameras. Die 49-Jährige muss
       sich vorsehen, denn die Rechtsextremisten haben sie im Visier, seit sie
       gegen den mutmaßlichen Nazi-Verbrecher Laszlo Csatary demonstriert hat.
       
       Es hagelt Drohungen per E-mail und per Telefon - mal von privaten
       Anschlüssen, mal aus Telefonzellen. Von Beruf ist Garai-Edler Redakteurin
       im Kartographischen Institut der ungarischen Akademie. Die Budapester
       Topografie wird für sie jetzt von Angst bestimmt.
       
       Den verbalen Nazi-Terror hat Garai-Edler angezeigt. Die Polizei riet ihr,
       nicht mehr Auto zu fahren, weil es dabei inszenierte Unfälle geben könne.
       Auf Polizeischutz habe sie aber keinen Anspruch, weil die Bedrohung „nicht
       handfest genug“ sei.
       
       Dabei hatte das rechtsextreme Portal kuruc.info ihre Kontaktdaten
       veröffentlicht und für sie ein Kopfgeld ausgelobt - wie auch für andere
       antifaschistische Aktivisten, die den Rechten ein Dorn im Auge sind. Die
       Extremisten machten sogar den Namen von Garai-Edlers Tochter publik, den
       sie wohl mit viel Mühe herausgefunden haben, zumal die junge Frau unter
       einem anderen Familiennamen im Ausland lebt.
       
       ## Massaker von Kosice
       
       Der mittlerweile 97-jährige Csatary dürfte Ungarns schlimmster Nazi-Scherge
       gewesen sein. 1944 soll er als Polizeichef im damals ungarisch besetzten
       slowakischen Kosice federführend die Deportation von nahezu 16 000 Juden
       nach Auschwitz organisiert haben. Dies wirft ihm nun auch die ungarische
       Staatsanwaltschaft vor – aber erst nachdem das Jerusalemer
       Simon-Wiesenthal-Zentrum monatelang Druck gemacht hatte, zuletzt mit Hilfe
       der Medien.
       
       Zudem soll Csatary schon im Jahr 1941 etwa 300 Juden aus Kosice ins
       ukrainische Kamenec-Podolsk geschickt haben, wo die meisten von ihnen von
       den Nazis ermordet wurden. Diesen Anklagepunkt ließ Ungarns
       Staatsanwaltschaft vor kurzem fallen.
       
       Efraim Zuroff, Direktor des Wiesenthal-Zentrums ist darüber empört: „Sie
       haben unsere Zeugin noch nicht einmal angehört“, sagte Zuroff. Die
       84-jährige, aus Kosice stammende Überlebende des Massakers von
       Kamenec-Podolsk lebe in Australien und könne über Csatary aussagen.
       
       1948 war Csatary in der damaligen Tschechoslowakei zum Tode verurteilt
       worden – in Abwesenheit, weil er sich nach Kanada abgesetzt hatte. 1997 zog
       er nach Ungarn, weil die kanadischen Behörden falsche Angaben in seinen
       Papieren entdeckt und mit Ausweisung gedroht hatten.
       
       ## Deportationen auch ohne Befehl
       
       In Budapest lebte Csatary unbehelligt bis Juli dieses Jahres, als ihn die
       Staatsanwaltschaft erstmals verhörte. Dabei leugnete er alle
       Anschuldigungen. Er steht nun unter Hausarrest.
       
       Slowakische Archivdokumente und Zeugenaussagen förderten jetzt neue
       Einzelheiten zu Csatarys Wüten zutage. Er soll nicht nur auf Befehl
       gehandelt, sondern übereifrig sogar Menschen in den Tod geschickt haben,
       die dafür von den deutschen Nazis gar nicht vorgesehen waren.
       
       Diese Punkte waren im Prozess von 1948 noch nicht zur Sprache gekommen.
       Csatary soll zudem persönlich Gefangene misshandelt haben. Darüber
       berichtete auch Arthur Görög, Mitglied des in der Nazi-Zeit
       funktionierenden Judenrats von Kosice in seinen Memoiren, die zuletzt 1991
       in Israel erschienen sind.
       
       Der Fall Csatary ist demnach dem interessierten Lesepublikum seit langem
       bekannt. Und offenbar auch der ungarischen Justiz. Schon im Jahr 1945 sei
       Csatary im südungarischen Pecs wegen seiner Tätigkeit als Nazi-Scherge zu
       20 Jahren Haft verurteilt worden.
       
       Er sei damals dort auch festgenommen worden, habe aber kurz vor seinem
       Prozess fliehen können. Dies schreibt Görög und das gehe auch aus Berichten
       der früheren tschechoslowakischen Nachrichtenagentur hervor, sagte der
       Historiker Zoltan Balassa, der in Kosice (Kassa) lebt.
       
       ## Beistand beim Rabbi
       
       All dies wird nun in einem Land verhandelt, deren rechtsnationale Regierung
       unter Ministerpräsident Viktor Orban „den Antisemitismus legalisiert“, sagt
       die Aktivistin Garai-Edler. Die rechtsradikale Parlamentspartei Jobbik
       zeigte den Direktor des Wiesenthal-Instituts, Zuroff, wegen „falscher
       Anschuldigungen“ im Fall Csatary an. Jobbik ist drittstärkste Kraft in
       Ungarn. Etliche Jobbik-Leute wurden mit Staatsposten bedacht.
       
       Erst vor Kurzem hat eine Groteske in den Reihen der Jobbik vor Augen
       geführt, dass Antisemitismus nicht nur menschenverachtend, sondern auch
       absurd ist: Der Jobbik-Politiker und EU-Parlamentarier Csanad Szegedi
       musste jüngst gestehen, dass er jüdische Vorfahren hat.
       
       Seine Partei warf ihm vor, dass er jemanden bestochen habe, um zu
       verhindern, dass seine jüdischen Wurzeln publik werden. Szegedi trat aus
       der Jobbik aus und suchte Beistand bei einem Rabbiner.
       
       21 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Lauer
       
       ## TAGS
       
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