# taz.de -- Kriegsverbrechen im Kongo: Aufklärung? Mission Impossible!
       
       > Der Kongo ist voller Opfer von Kriegsverbrechen – doch wer darüber
       > aussagt, kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein. Ein kaum zu
       > lösendes Problem.
       
 (IMG) Bild: Die Milizen haben mindestens 242 Frauen, darunter auch 20 Kinder, vergewaltigt und misshandelt.
       
       GOMA taz | Das Armeehauptquartier in Nord-Kivus Hauptstadt Goma liegt
       inmitten eines Slums aus grünen Zelten. Hier hausen die Frauen und Kinder
       der Soldaten. Es stinkt. Das große steinerne Gebäude des
       Militärgerichtshofs sticht vor wie eine Festung.
       
       Militärstaatsanwalt Oberst Bin Marten Baseleba studiert an seinem
       Schreibtisch handgeschriebene Dokumente. Sein Laptop neben ihm hat mal
       wieder keinen Strom. Daneben türmen sich Bücher über Kriegsverbrechen. Auf
       dem Schrank stapeln sich Kalaschnikows.
       
       Der alte Mann kräuselt die Stirn: Der Hauptangeklagte im Prozess wegen
       einer Serie brutaler Massenvergewaltigungen ist gerade in Untersuchungshaft
       gestorben, „Todesursache unbekannt“, liest Baseleba laut vor und zuckt mit
       den Schultern. „Damit können wir dieses Verfahren auch ad acta legen.“
       
       Schade. Das Verfahren wegen der Massenvergewaltigungen in Siedlungen rund
       um das Dorf Luvungi im Sommer 2010 begann 2011 in der Distrikthauptstadt
       Walikale. Militärrichter, Ankläger, Anwälte, Täter, Zeugen und Opfer waren
       da – eine Sensation. In aller Öffentlichkeit wagten die Frauen, gegen die
       Täter auszusagen. Ein Meilenstein. Aber er führt jetzt zu nichts.
       
       In kaum einem Land ist es so schwer, Kriegsverbrechen aufzuklären, wie im
       Kongo. Die Siedlung Busurungi, wo die FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009
       laut deutscher Anklageschrift 96 Zivilisten massakrierte, liegt fast einen
       Tag Fußmarsch von der nächsten Straße entfernt, die nur in Friedenszeiten
       passierbar ist, weil dort die FDLR Wegezölle erhebt. Kein Ausländer kann in
       FDLR-Gebiet eindringen, ohne Bescheid zu geben.
       
       ## Wer fragt, fällt auf
       
       Die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission im Kongo (Monusco) fliegt ihre
       Ermittler per Helikopter ein. Doch vorher werden Sandsäcke und Stacheldraht
       angekarrt, damit der Helikopter sicher landen kann. Blauhelmsoldaten
       kommen, um die Ermittler zu schützen. Das fällt auf.
       
       Die taz begleitete vergangenes Jahr eine UN-Ermittlungsmission, die den
       Berichten über die Massenvergewaltigungen bei Luvungi nachgehen wollte –
       unweit des damaligen FDLR-Hauptquartiers. Zwei zivile UN-Ermittler kamen,
       um in Luvungi mit Polizisten, Dorfvorstehern und vergewaltigten Frauen zu
       sprechen. Man sollte meinen, diese Gespräche fänden in vertraulicher
       Atmosphäre statt. Doch der weiße UN-Hubschrauber war noch nicht einmal
       gelandet, als sich die ganze Dorfgemeinschaft auf dem Fußballplatz
       versammelte.
       
       Als die UN-Delegierten die Hauptstraße entlanggingen, sammelten sich
       weitere Neugierige am Wegrand. Anwohner kamen aus den umliegenden
       Siedlungen angelaufen. Auf dieser 48-Stunden-Kurzmission interviewten die
       Ermittler auch Opfer – mitten im Dorf, auf einer Holzbank unter einem Baum.
       
       Auch die taz sprach damals mit vergewaltigten Frauen in Luvungi – in einer
       dunklen Hütte. Die taz nannte ihre Hauptzeugin damals Marie. Marie war
       tapfer, sie erzählte ihre Geschichte. Sie war wütend über die
       Straflosigkeit in ihrem eigenen Land. Sie hatte von dem Prozess gegen die
       FDLR-Führung in Deutschland gehört und bot an: „Wenn noch Zeugen benötigt
       werden, bin ich gerne bereit auszusagen.“ Ermittler des Internationalen
       Strafgerichtshofs machten sich nach der taz-Berichterstattung auf die Suche
       nach Marie. Die Ergebnisse sind nicht bekannt.
       
       ## Racheaktionen
       
       Man kann nur hoffen, für Marie und ihre fünf Kinder, dass sie niemals
       öffentlich vor Gericht aussagen wird. Luvungi liegt mitten im
       FDLR-Territorium. Zur Zeit des Besuchs waren die Kämpfer wenige Stunden
       Fußmarsch von dem Dorf entfernt. Die Bewohner bestätigen, dass die FDLR
       überall ihre Spitzel habe. Dass die UN eingeflogen kam, dass Marie befragt
       wurde, haben sie sicher weitererzählt. Würde Marie eines Tages aus Luvungi,
       wo jeder jeden kennt, verschwinden und Wochen später zurückkommen, dann
       ließe sich leicht erraten, wofür. Und die FDLR ist berüchtigt für
       Racheaktionen.
       
       Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist ebenso wie die deutsche
       Bundesstaatsanwaltschaft bei der Suche nach Zeugen auf sogenannte
       Mediatoren angewiesen. Das sind in der Regel lokale
       Nichtregierungsorganisationen, die Zeugen finden, betreuen, nach Europa
       begleiten und nach der Rückkehr beschützen. Würde Marie aussagen, müssten
       solche Mediatoren mit ihr über Jahre hinweg regelmäßig in Kontakt stehen.
       
       In Luvungi wäre dies nicht möglich: Es gibt gar kein Mobilfunknetz. Also
       müsste Marie mit ihren fünf Kindern und dem Mann umziehen – am besten nach
       Goma, wo sie in der Millionenstadt anonym leben kann. Doch dazu müsste sie
       ihren Acker und damit ihre Lebensgrundlage im Stich lassen. Auch ihre
       gebrechliche Mutter und ihre kranke Tante müssten mit. Und wer würde ihr
       Wohnung und Nahrung in Goma bezahlen – ein Leben lang?
       
       Um in Stuttgart oder Den Haag auszusagen, würde Marie einen Reisepass
       benötigen. Doch dazu muss man im Kongo den Behörden erklären, wo man
       hinwill und warum. Die FDLR hat Spitzel überall in Kongos korruptem
       Behördenapparat.
       
       Die taz konnte das Original-Spitzelnetzwerk des FDLR-Geheimdienstchefs
       besichtigen, aufgezeichnet auf einem großen Poster, mit Namen und
       Telefonnummern der Informanten: Bis in die Präsidentschaft in Kinshasa, die
       Migrationsbehörde und in die Krankenhäuser reichten die Seilschaften – vor
       allem in Goma, wo FDLR-Kommandeure in Immobilien und Firmen investieren.
       
       Ein zentrales Problem ist, dass die Namen der Nichtregierungsorganisationen
       oder deren Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden
       können. Dies macht es schwer, deren Interessen zu überprüfen. Das ist in
       den Prozessen in Den Haag immer wieder Thema.
       
       In der Regel sind es örtliche Menschenrechtsorganisationen, doch sie
       sprechen nur ungern über ihre Methoden. Auf jeden Fall machen sie es wohl
       nicht wie die Bundesanwaltschaft, als sie nach Goma kam, um in Sachen FDLR
       zu ermitteln. Damals verweigerten manche UN-Angestellte die Zusammenarbeit.
       „Sie kommen in großen Delegationen in Anzug und Krawatte – wenn man sich
       mit ihnen im Restaurant treffen würde, weiß gleich die ganze Stadt
       Bescheid“, erinnert sich ein Augenzeuge an die Deutschen.
       
       ## Kulturelles Verständnis
       
       Wie man die Glaubwürdigkeit von Zeugen prüft, ist ein gut gehütetes
       Geheimnis der lokalen NGOs. Jede Offenlegung könnte bedeuten, dass man in
       Zukunft falschen Zeugen auf den Leim geht. In Stuttgart ging aus abgehörten
       Telefongesprächen der FDLR-Führung hervor, dass sie überlegte, FDLR-Kämpfer
       in Busurungi als Bauern zu verkleiden, um Falschaussagen zu machen.
       
       Für Interviews mit Zeugen ist interkulturelles Verständnis vonnöten. Nur
       selten können Menschen aus abgelegenen Dörfern ein konkretes Darum nennen.
       Sie orientieren sich an Erntezeiten, am Beginn des Schulsemesters, sie
       kennen Markttage und Tage des Kirchgangs.
       
       Opfer- wie Täterzeugen sind in der Regel außerdem stark traumatisiert. Dies
       kann dazuführen, dass Abfolgen durcheinanderkommen oder dass entscheidende
       Ereignisse verdrängt werden. Zu genaue Angaben lassen eher darauf
       schließen, dass die Zeugen etwas vorher auswendig gelernt haben. Zentral
       ist auch, was der Zeuge selbst gesehen hat und was er nur vom Hörensagen
       weiß. Dies wird oft nicht sofort ersichtlich.
       
       Wichtig ist, Zeugen einen Raum zu geben, in welchem sie sich wohlfühlen.
       Einen ehemaligen Kämpfer aus dem Busch in einem noblen Vier-Sterne-Hotel
       voller Geheimdienstler zu befragen – das scheint ebenso fragwürdig wie ein
       leerer Raum mit einer für das kongolesische Opfer ungewohnten Videokamera,
       deren Schaltung nach Stuttgart führt.
       
       22 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
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 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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