# taz.de -- Ende des Tacheles: Erinnerung an eine Ruine
       
       > Das Verschwinden des Kunsthauses Tacheles wird Berlin verändern. Die
       > Frage ist nur wie? Ein letzter Rundgang und ein Blick zurück.
       
 (IMG) Bild: Blick auf das Tacheles: Wie lang ist das Jetzt?
       
       BERLIN taz | Wer von Osten kommt, kann die Brandwand des Tacheles schon von
       Weitem sehen. Großformatig ist das schemenhafte Gesicht einer Frau
       aufgemalt. Darüber ist zu lesen: „How long is now?“
       
       Berlin-Mitte. Touristen schlendern die Oranienburger Straße entlang. Sie
       haben Zeit fürs Jetzt. Sie verweilen und machen Fotos. Man sieht es ihnen
       an: Sie sind fasziniert vom Kunsthaus Tacheles. Ein bisschen unaufgeräumt,
       aber bunt. Leicht ruinös, aber lebendig. So stellt man sich überall auf der
       Welt Berlin vor. Bald aber wird es vorbei sein mit diesem Symbol. Der Strom
       im ganzen Haus ist abgeschaltet. Am Dienstag sollen Teile des Gebäudes
       geräumt werden. Die Frage ist längst: Was wird vom Tacheles in Erinnerung
       bleiben?
       
       Von Osten kommen auch Clemens Wallrodt, Leo Kondeyne und ihre Freunde. Am
       Mittag des 13. Februar 1990 halten sie mit einem alten Feuerwehrauto vor
       dem letzten Rest des ehemaligen Passagenkaufhaus. An dessen Rückseite ist
       zu sehen, dass die Sprengmeister der DDR präzise gearbeitet haben. Das Gros
       des weitläufigen Komplexes mit der großen Kuppel inmitten der verglasten
       Passage, die zur Friedrichstraße führte, haben sie ausradiert. Jetzt blickt
       man in offene Räume, die mitten entzweigeschnitten wurden. Die Fassade an
       der Straße ist noch intakt. Vom Dach ihres Autos klettern die Besetzer
       durch ein Fenster im ersten Stock.
       
       ## Nachts wurde Sprengstoff geklaut
       
       Sie besetzen das Haus zur rechten Zeit. Vor den Wahlen im März und vor dem
       Sprengtermin im April. Tagsüber stecken die Bauarbeiter Sprengstoff in die
       Bohrlöcher, nachts holen die Besetzer ihn wieder heraus. Seitdem wird um
       das Haus gerungen und um die riesige Brache, die es umgibt. Wer heute die
       Reste des Skulpturenparks im Hof des Tacheles sehen will, muss einen großen
       Umweg nehmen.
       
       Der Besucher wird durch eingezäunte Passagen geschleust, die an die
       Architektur von Checkpoints in Krisenregionen erinnern. Was der Tourist
       nicht sieht, sind die Securityleute der HSH Nordbank. Sie kontrollieren
       schon seit geraumer Zeit den Keller, die ehemaligen Räume des Kinos und des
       Café Zapata. Eine internationale Kampagne hat sich formiert. Im Netz kann
       man sehen, dass Topmodel Eva Padberg ein Herz fürs Tacheles hat: „I support
       Tacheles.“
       
       Es scheint, dass das Haus international mehr Freunde hat als in der Stadt
       selbst. Für die Berliner ist das Tacheles ein Ort aus einer längst
       vergangenen Zeit. Selbst Tacheles-Veteranen reagieren zwiespältig auf das
       mögliche Ende des Projekts. Zu ermüdend waren die ewigen Machtkämpfe
       zwischen den verschiedenen Fraktionen im Haus. Zu viel Kunsthandwerk wurde
       betrieben.
       
       Die Zeit, als aus dem Haus kulturelle Impulse in die Stadt hinausstrahlten,
       sind lange vorbei. Aber auch diese Klage ist fast so alt wie das Haus
       selbst. Schon 1992 meinten Leute: Das Tacheles ist ein potemkinsches Dorf
       geworden. Bis heute zieht das Haus dennoch immer wieder junge Künstler an,
       die in die Stadt kommen. Von Mitte aus hat sich Berlin nach dem Fall der
       Mauer rasant zu einem kreativen Hotspot entwickelt. Seitdem strömen junge
       Leute nach Berlin, um zu feiern, um als DJs in den Clubs zu spielen, um
       Startups zu gründen oder Kunst zu machen.
       
       ## Gelebt wird in der Gegenwart
       
       Wie lang ist jetzt? Das ist eine Frage, die den Geist der Berliner
       Nachwendezeit griffig zusammenfasst: Jetzt ist immer, gelebt wird in der
       Gegenwart. Man muss sie genießen, solange es geht. Das verstehen die
       Touristen, die das Tacheles besuchen, intuitiv.
       
       In den Neunzigern kauft die Fundus-Gruppe des Investors Anno August
       Jagdfeld das Gelände. Eine kulturelle Nutzung des denkmalgeschützten
       Kunsthauses wird auf Dauer festgeschrieben. Für die symbolische Miete von
       einer D-Mark erhält das Kunsthaus einen Vertrag über zehn Jahre. Fundus
       leiht sich Geld für das ehrgeizige Projekt, Geschäftshäuser und Wohnungen
       rund um das Tacheles auf die Brache zu setzen. Gebaut wird aber nie, das
       Unternehmen gerät in finanzielle Schwierigkeiten.
       
       Grundstück und Kunsthaus werden unter die Zwangsverwaltung der HSH Nordbank
       gestellt, die selbst mit Steuergeld vor dem Ruin gerettet werden muss. Der
       Trägerverein des Tacheles kopiert darauf die juristischen Verkehrsformen
       des Kapitals und entzieht durch eigene Insolvenz der Bank den
       Ansprechpartner. Nun ist die Bank gezwungen, sich mit jedem einzelnen
       Untermieter ins Benehmen zu setzen. Dabei geht es mitunter rabiat zu. Für
       eine Million Euro lassen sich die Betreiber von Café und Kino rauskaufen.
       Eines Tages besetzt eine ganze Security-Kompanie das Haus und sperrt die
       Künstler aus. Fakten sollen geschaffen werden. Per Gerichtsbeschluss und
       mit Hilfe der Polizei werden die Schergen der Bank hinausexpediert.
       
       In Berlin wird derzeit viel über Gentrifizierung gesprochen, was man
       übertrieben finden kann in einer Stadt, in der die Mieten immer noch
       vergleichsweise günstig sind. Eben dieser Umstand hat in den vergangenen
       Jahren aber zu einem Run auf zentrale Quartiere geführt. Berliner
       Immobilien erfreuen sich unter Skandinaviern und Italienern großer
       Beliebtheit. Die Preise für Eigentumswohnungen und die Mieten sind in
       bestimmten Vierteln deutlich angezogen.
       
       ## Es ist nur temporär
       
       In Mitte ist die Sanierung der durch die realsozialistische Stadtplanung
       vernachlässigten Altbausubstanz inzwischen weit vorangeschritten, viele
       Brachen sind unter ambitionierten Neubauten verschwunden. Das einstige
       Kernland der Besetzer, das den Touristen als „Scheunenviertel“ verkauft
       wird, ist heute durch schicke Bars, Restaurants und Boutiquen geprägt.
       Lokalpolitiker echauffieren sich über den „Remmidemmitourismus“ auf der
       Oranienburger Straße. Dort gebe es zu wenig Qualität. Der Kampf zwischen
       Künstlern und Spekulanten spiegelt den Kampf um das Bild, das sich die
       Stadt von sich selbst macht.
       
       In seinem sehenswerten Dokumentarfilm „Aufgestanden in Ruinen“ von 1992
       erzählt Klaus Tuschen die Frühgeschichte des Kunsthauses. Er zeigt, wie
       sich der Übergang von einer offenen Kommune zum Betrieb einer sozialen
       Plastik zur Institution vollzieht. In einer Einstellung kommt eine Gruppe
       Australier, Briten und Amerikaner zu Wort, die den Keller des Tacheles vom
       Schutt befreien, damit hier die Ständige Vertretung, einer der ersten Clubs
       von Mitte entstehen kann.
       
       „Wir könnten das weder in London machen noch in irgendeiner anderen Stadt,
       aus der wir kommen. Deswegen passiert es jetzt in Berlin“, sagt ein Brite.
       Sein amerikanischer Kollege meint: „Nichts, was wir hier tun, ist für die
       Ewigkeit gemacht. Egal was du im Leben tust, es ist nur temporär.“ Das
       Tacheles sei aber mehr als ein besetztes Haus: „Es ist ein Monument der
       Hausbesetzerbewegung der DDR.“ Heute verstehen die Besucher aus aller Welt,
       dass sie im Tacheles das Gefühl des Aufbruchs nach der Wende nachvollziehen
       können.
       
       ## Wunde des Krieges
       
       Die Besonderheit des Tacheles und der das Haus umgebenden Brache liegt aber
       auch darin, dass hier eine alte Wunde offengehalten wurde. Wer 1989
       Ostberlin betrat, sah sich in die unmittelbare Nachkriegszeit katapultiert.
       Man musste nicht wissen, dass sich in dem 1909 errichteten Kaufpalast an
       der Oranienburger Straße ein Organisationsbüro der Deutschen Arbeitsfront
       und die SS-Dienststelle Zentralbodenamt befanden, dass unter dem Dach
       französische Kriegsgefangene schufteten. An den Brachen und den von
       Maschinengewehren vernarbten Fassaden in Mitte konnte man nachvollziehen,
       was es heißt, einen Krieg zu verlieren. Geschichte war nicht nur eine Frage
       der Repräsentation. Sie war präsent.
       
       „Die Ideale sind ruiniert, retten wir die Ruine“, hat jemand nach der
       Besetzung des Tacheles auf ein Transparent geschrieben. Man kann den Spruch
       als Kommentar auf die deutsche Geschichte verstehen. Man kann ihn aber auch
       als hellsichtige Beschreibung der Besetzergesellschaft lesen. Mit der
       Bebauung der Tacheles-Brache wird in Mitte die Nachkriegszeit vorbei sein.
       
       2 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
       ## TAGS
       
 (DIR) 1990
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Gesichter des Umbruchjahrs 1990: Alles teilt sich blitzschnell mit
       
       Wir sind das Volk? Wir sind ein Volk. Der Band „Das Jahr 1990 freilegen“
       ist eine faszinierende Materialsammlung aus dem Jahr der Transformation.
       
 (DIR) Tachelianer bleiben: Die letzten Aufrechten von Mitte
       
       Trotz Räumung des Tacheles verharren immer noch ein Dutzend Künstler auf
       dem Hinterhof - und dürfen dort noch ein paar Wochen bleiben.
       
 (DIR) Atelier verliert Prozess: Tacheles wird endgültig kunstfrei
       
       Auch das letzte Atelier des früheren Kunsthauses verliert vorm Landgericht
       und muss nun gehen. Die Zukunft des Tacheles bleibt weiter offen.
       
 (DIR) Räumung des Tacheles in Berlin: Am Ende bleibt es still
       
       „Irgendwann haben sich die Leute verschlissen“, sagt ein ehemaliger
       Besetzer des Berliner Tacheles. Nach 22 Jahren ist die Bauruine geräumt
       worden.
       
 (DIR) Räumung des Tacheles in Berlin: Leises Ende einer Ära
       
       Am Dienstagmorgen war es soweit: Das Berliner Kunsthaus Tacheles wurde
       unter friedlichem Protest geräumt. Wie es dort weitergeht, ist unklar.
       
 (DIR) Kino mal anders: Illegaler Rave für Cineasten
       
       Kein Vorhang, keine Werbung, kein Popcorn. Dafür ein bisschen Abenteuer.
       Unterwegs mit einem echten Off-Kino
       
 (DIR) Tacheles 2 : Die Gegangenen: Die Kunst ist anderswo
       
       Die Künstler, die dem Tacheles schon länger den Rücken gekehrt haben,
       trauern dem Projekt nicht hinterher.
       
 (DIR) Tacheles 1: Die Gebliebenen: Der Kampf ist aus
       
       Er macht am Ende das Licht aus: Martin Reiter, der letzte Vorstand des
       Tacheles-Vereins, will sich nicht mehr wehren.
       
 (DIR) Kunsthaus Tacheles: Eine Idee geht auf Reisen
       
       Mit mobilen Ateliers wollen Tacheles-Künstler neue Freiräume und ein
       Netzwerk für die Szene schaffen.
       
 (DIR) Tacheles Festival: Die unverblümte Tanzerei
       
       „Kommt, lasst uns tanzen.“ Das Kunsthaus Tacheles lud dazu ein, gemeinsam
       für den Erhalt zu tanzen – beim „Psychedelic Kitchen“ Festival.
       
 (DIR) Kulturprojekt bleibt in Berlin: Dahin, wo der Pfeffer wächst
       
       Die Entscheidung ist gefallen: Das umstrittene "BMW Guggenheim Lab" soll in
       Pankow stattfinden - allerdings drei Wochen später als geplant.
       
 (DIR) Kommentar zum Tacheles-Abschluss: Jetzt wirds todlangweilig
       
       Seit Donnerstag ist klar: Nur noch ein Wunder kann das Kunsthaus in Mitte
       retten. Damit wird die Oranienburger Straße endgültig zur Ödnis.
       
 (DIR) Streit ums Tacheles: Kunst kommt an eine Grenze
       
       Die Künstler im Tacheles in Mitte befürchten, dass der Zwangsverwalter
       einen Zaun um das Haus aufbauen will, um sie auszusperren.