# taz.de -- Tacheles 2 : Die Gegangenen: Die Kunst ist anderswo
       
       > Die Künstler, die dem Tacheles schon länger den Rücken gekehrt haben,
       > trauern dem Projekt nicht hinterher.
       
 (IMG) Bild: Sicherheitsdienste sind schon länger im Tacheles unterwegs.
       
       Kemal Cantürk rückt seinen Stuhl in die Sonne, schiebt ihn in den weißen
       Sand neben der alten Kaufhalle, die jetzt das Treptopolis ist. Cantürks
       Treptopolis. Der Mann mit den zurückgekämmten grauen Haaren und dem
       Stoppelbart überlegt nur kurz, während er ein Bier aufmacht. Nein, sagt er,
       den Auszug aus dem Tacheles habe er nicht bereut. „Kein bisschen.“
       
       Fast nichts hat dieser Ort vom Tacheles, das Cantürk vor 22 Jahren als
       einer der ersten mit besetzte und vor anderthalb Jahren verließ. Statt an
       der umrauschten Oranienburger Straße liegt das Trepopolis in einer
       Wohngegend in Baumschulenweg. Nur ab und an fährt ein Auto vorbei. Wenn
       Cantürk aus der Tür tritt, blickt er auf einen Kirchturm. Immerhin steht
       vor der Halle ein Metallgorilla, prangt Graffiti an der Fassade. Drinnen
       türmen sich Schrottkunstgebilde, wo früher Einkaufsregale standen.
       
       100.000 Euro bekam Cantürk für seinen Auszug aus dem Tacheles. Von einem
       Anwalt, der von seinem Geldgeber bis heute nur als einem „anonymen
       Investor“ spricht. Fast das gesamte Geld, sagt Cantürk, habe er in die
       Kaufhalle investiert. Für die Bar, die Bühne, den aufgeschütteten Sand
       hinterm Haus, die aufgestellten Palmen. Jetzt laufen in der Halle, die neun
       Jahre lang leer stand, Theater und Goa-Partys. Und draußen schweißt Cantürk
       an seiner Kunst.
       
       Mit Cantürks Auszug im April 2011 war das Ende des Tacheles besiegelt. Denn
       mit dem Metallkünstler ging auch Ludwig Eben, Chef des rauen Konzertcafés
       Zapata. Gingen das Kino im Dach und Olivier Putzbach, der im Hinterhof ein
       kleines Biotop pflegte. Eine Million bekamen alle zusammen, nach acht
       Wochen Verhandlung. Auch andere Künstler ließen sich darauf aus dem
       Tacheles kaufen, für jeweils mehrere zehntausend Euro. Ein Klacks. Gerichte
       taxierten das Tacheles-Gelände bisher auf einen Wert von 35 Millionen Euro.
       Ohne die widerspenstigen Künstler dürfte es nicht weniger werden.
       
       Nein, sagt Cantürk wieder, schlecht habe er sich bei dem Deal nicht
       gefühlt. Er habe ja schon länger weggewollt. „Ich bin 61. Ich will einfach
       nur Kunst machen, nicht den ganzen Stress.“ Vor etwa zehn Jahren sei das
       Tacheles aus dem Ruder gelaufen. Der Streit unter den Künstlern und das mit
       den Touristen. Irgendwann, sagt Cantürk, habe er statt Kunst nur noch „die
       schnellen Sachen“ gemacht, „Mitbringsel“ für die Touris, wie die anderen.
       
       Ludwig Eben sitzt an diesem Abend vor dem Milinski in der Kastanienallee,
       seiner neuen Bar. Drinnen hängt eines seiner Bilder, ein Hund, der die
       Zähne fletscht. Draußen liegen rote Kissen auf Holzbänken, eine Tafel
       bewirbt marinierte Karotten und Crémant. Eben trägt Sonnenbrille, Hemd und
       Sandalen. Das Tacheles, sagt er, sei schon seit Jahren tot, die Kunst nur
       noch „vorgeschoben“. „Die Räumung wird keiner bemerken.“
       
       Eben kam 1990 ins Tacheles, kurz nach der Besetzung. Sein Zapata sollte die
       Kunst mitsubventionieren. Es sei eine einmalige Zeit gewesen, sagt der
       48-Jährige. Anfangs. Dann habe der „Krieg“ begonnen. Eben zerstritt sich
       mit Vereinsvorstand Martin Reiter über Betriebskosten und Miete, wurde vom
       Finanzamt verklagt und von Reiter. Der Auszug, sagt er, sei alternativlos
       gewesen.
       
       Keiner bekam dafür so viel Geld wie Eben: 500.000 Euro. Auch er will von
       dem Geld nicht mehr viel haben. Zwei Drittel, sagt Eben, seien für Schulden
       beim Finanzamt draufgegangen. Nach dem Auszug betrieb er mit anderen zuerst
       das Heinz Minki in Kreuzberg. Er schmiss hin, die Stimmung habe nicht
       gepasst. „Die sahen mich als Lottogewinner.“ Die Idee mit dem Kunsthaus,
       sagt Eben, sei aber immer noch ein „tolles Geschäftsmodell“. Der 48-Jährige
       sichtete verschiedene Gebäude am Ostbahnhof, am Spreeufer – alles zu teuer.
       Dann eröffnete er das Milinski. „Weil’s nah an meiner Wohnung ist.“
       
       ## Nur halb gegangen
       
       Hüseyin Arda, seit 1990 beim Tacheles, heute Metallkünstler im Hinterhof,
       ist nur halb gegangen. In die Warschauer Straße, in den Innenhof eines
       Hostels. Dort steht jetzt ein großer Metallwürfel, drum herum eiserne
       Skulpturen. Das Hostel freut sich über die street credibility, das halbe
       dutzend Künstler um Arda über das Obdach.
       
       Er habe die Tacheles-Idee, „das Selbstverwaltete, Offene“, multiplizieren
       wollen, sagt Arda. Ohne das Tacheles aufzugeben. Auch den 43-Jährigen
       sprach der Anwalt an, bot 330.000 Euro. Arda lehnte das als „unmoralisch“
       ab. Für die Weggänger hat er, heute auch Gastdozent an einer Istanbuler
       Universität, nichts übrig. „Dass sie die Angebote angenommen haben, hat den
       Ort mit plattgemacht.“
       
       Das Ende des Tacheles, es ist auch das Ende einer Ära: die der wilden
       Freiraumeroberungen der Nachwendezeit. Zentrale, zu besetzende Großruinen
       gibt es in dieser Stadt kaum mehr. Die Polizei würde es auch nicht mehr
       dulden. Die Kunst ist längst weitergewandert, in die Kunstwerke etwa, eine
       Straße weiter. Oder ins Radialsystem von Ex-Tacheles-Vorstand Jochen
       Sandig. Und die Party läuft heute entlang des Friedrichshain-Kreuzberger
       Spreeufers.
       
       Arda nennt das Aus des Tacheles dennoch eine „Schande für Berlin“. Es sei
       ja nicht nur ein einmaliger Kunstort, der verloren gehe, sondern auch ein
       „Wirtschaftsfaktor und Tourismusmagnet“. Wenn das Tacheles geräumt wird,
       wird Arda auf seinem Hinterhof einer der wenigen sein, die bleiben dürfen.
       Eingezäunt, wie seit dem Auszug von Eben und Cantürk. Einige vertriebene
       Künstler könnten in der Warschauer unterkommen, sagt Arda. Und künftig
       vielleicht auch auf dem Tempelhofer Feld. Dort will Arda dem Senat
       demnächst ein Künstlerdorf vorschlagen.
       
       Auch Kemal Cantürk plant wieder. Etwas Größeres als das Treptopolis, sagt
       er, nicht weit entfernt. Warum solle nicht Treptow zum Kulturhort werden?
       Neukölln sei um die Ecke, Kreuzberg auch. Cantürk gerät ins Schwärmen, wenn
       er sich die Zukunft dieser „jungfräulichen Ecke“ ausmalt. Und sein
       Treptopolis mittendrin. An diesem Mittag ist er dort noch einziger Gast.
       
       31 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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