# taz.de -- Psychologin zum Betreuungsgeld: „Kleinkinder werden überrollt“
> Viele Eltern wollen ihr Kind erstmal gern zu Hause behalten.
> Bindungsforscherin Karin Grossmann hat Verständnis. Die Krippen seien oft
> zu schlecht.
(IMG) Bild: Oft einfach zu voll: Kita in Frankfurt an der Oder.
taz: Frau Grossmann, laut einer Umfrage meinen 80 Prozent der Deutschen,
dass Kinder unter drei Jahren am besten zu Hause aufgehoben sind. Sie
würden auch ohne „Herdprämie“ aus dem Job aussteigen. Liegen die alle
falsch?
Karin Grossmann: Nein. Aber eine Person allein ist mit dem Kleinkind
überfordert. In der Geschichte gab es immer Helferinnen „am Nest“, die die
Mutter entlasten. Wenn das Kind also mit ein oder zwei Jahren bei einer
guten Tagesmutter untergebracht ist, hat es sicher keinen Schaden. Oft
freuen sich diese Kinder über die Abwechslung.
Den Kitas als Gruppeneinrichtungen misstrauen die Eltern dagegen zu Recht?
Das Problem mit unseren Kitas ist die Qualität. Ich mache Fortbildungen für
Erzieherinnen und höre von manchen schlimmen Zuständen. Eine Erzieherin
soll sich um zehn bis zwölf Kinder kümmern. Es gibt oft keine
Vertretungsregelung für Krankheit oder Urlaub. Vielerorts steckt man
einfach die Zweijährigen zu den Kindergartenkindern, von denen sie
„überollt“ werden. Man sollte das Betreuungsgeld unbedingt in die bessere
Ausstattung der Tagesbetreuung stecken.
Rainer Böhm vom Sozialpädiatrischen Zentrum Bielefeld hat am Freitag in
seiner Stellungnahme für den Bundestag auf die Langzeitstudie NICHD aus den
USA verwiesen. Da stellte sich heraus, dass früh „fremdbetreute“ Kinder ein
negatives Sozialverhalten an den Tag legten.
Andererseits hat man aber in dieser Studie auch gefunden, dass die Kinder
profitieren und kognitiv weiter sind als andere, wenn die Betreuung
qualitativ sehr gut ist. Das heißt: Die Erzieher und Erzieherinnen können
jedes Kind im Auge behalten. Aber diese Bedingungen sind oft nicht gegeben.
Und dann sind die Folgen negativ, da hat Herr Böhm Recht: Ein Kind, das
erlebt, dass die anderen ihm immer etwas wegnehmen und die Erzieherin es
nicht schützt, das immer um Aufmerksamkeit kämpfen muss, solch ein Kind
lernt kein angemessenes Konfliktverhalten.
Je mehr aggressive Konflikte Kita-Kinder erleben, umso aggressiver werden
sie. Sie lernen: nur mit Aggressionen bekomme ich, was ich brauche. Das
zeigt sich bis in die Schulzeit.
Wie kann eine Erzieherin fünf Kleinkinder gleichzeitig auf den Arm nehmen?
Das ist das Problem. Eine Betreuerin dürfte nicht mehr als ein bis zwei
Kinder in diesem Alter in ihrer Betreuung haben. Vielleicht noch ein oder
zwei Ältere dazu. Wenn Einjährige allein ihre Belastungen aushalten müssen,
wenn sie oft angegriffen werden, macht das Stress. Und wer davon viel
aushalten muss, ist psychisch weniger robust. Das ist wirklich eine Gefahr:
Die Kinder sehen dann überall Feinde.
Böhm meint auch, dass Ein- bis Zweijährige noch keine Bildung brauchen, die
der Betreuung in der Kita immer nachgesagt wird.
Jede kognitive Bildung baut zunächst auf einem emotionalen Fundament auf:
Wenn das Kind in seinem Neugierverhalten unterstützt wird, wenn jemand
seine Zweiwortsätze mit einem ganzen Satz beantwortet, dann legt das den
Grundstein für die kognitive Bildung. Es lernt in dieser Zeit auch sich
selbst zu kontrollieren und Frustrationen auszuhalten. All das braucht es
später in der Schule.
Und wenn die nächstgelegene Krippe das nicht erfüllt: Sollen Mütter dann zu
Hause bleiben und sich selbst um die Betreuung kümmern?
Nein. Dann würde ich mir eine Leih-Großmutter suchen. Für Kinder unter drei
braucht man keine lange pädagogische Ausbildung. Für dieses Alter braucht
man Herzensgüte und Aufmerksamkeit.
16 Sep 2012
## AUTOREN
(DIR) Heide Oestreich
## TAGS
(DIR) FDP
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