# taz.de -- Premiere im Schulwesen: Waldorfschule unter staatlichem Dach
       
       > In Hamburg-Wilhelmsburg wollen eine Waldorf-Initiative und eine
       > staatliche Grundschule fusionieren.
       
 (IMG) Bild: Wilhelmsburg wandelt sich. Die Waldorfschule soll verhindern, dass alte und neue Bewohner auseinander driften.
       
       HAMBURG taz | Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ereignete sich in diesen
       Tagen eine kleine bildungspolitische Sensation. Mit 21 zu acht Stimmen
       votierte das Kollegium der Grundschule Fährstraße dafür, einen Schulversuch
       mit dem „Verein für Interkulturelle Waldorfpädagogik“ zu wagen. Wenn alles
       klappt, werden die Klassen dort ab Sommer 2014 von je einem Waldorflehrer
       und einem städtischen Lehrer gemeinsam unterrichtet.
       
       Es soll eine interkulturelle Schule sein, die sich gezielt auch auf Kinder
       von Migranten einstellt. „Es gibt viele bei den Waldorfschulen, die wollen
       raus aus den bildungsbürgerlichen Stadtteilen“, berichtet Christiane Leiste
       vom Waldorf-Verein. Deshalb wollten Lehrer und Eltern bewusst in
       Wilhelmsburg eine Waldorfschule gründen, nach dem Vorbild der
       „Interkulturellen Waldorfschule Mannheim“.
       
       Meist ist die Schülerschaft an Rudolf-Steiner-Schulen überwiegend deutsch.
       In Mannheim dagegen sind es Kinder aus über 30 Nationen und ein
       international gemischtes Kollegium. Es komme den Einwandererkindern sehr
       entgegen, dass es weder Noten noch Sitzenbleiben gebe, berichtet
       Geschäftsführerin Susanne Piwecki. „Die Unterschiede in der Leistung
       gleichen sich über die Jahre aus.“
       
       Im Herbst 2011 beantragte der „Verein für Interkulturelle Waldorfpädagogik“
       bei der Hamburger Schulbehörde die Gründung einer Privatschule in
       Wilhelmsburg. Doch das stieß bei Schulsenator Ties Rabe (SPD) auf wenig
       Begeisterung. Er hatte die Sorge, dass sich die soziale Spaltung weiter
       verschärft, und all jene Eltern aus bildungsbürgerlichen Milieus, die
       inzwischen in den einstigen Arbeiterstadtteil gezogen sind, ihre Kinder auf
       diese Schule geben. „Das hat mich überzeugt. Das ist nicht das, was wir
       wollen“, sagt Leiste, die selbst erfahrene Waldorflehrerin ist.
       
       Doch statt einer Absage kam die Einladung, es zusammen zu versuchen. So
       hatte die Stadt schon 2008 die Gründung einer kirchlichen Privatschule in
       der Nähe abgewendet. Die damalige Elterninitiative ist jetzt
       Kooperationspartner der „Elbinselschule“.
       
       „Wir waren sehr überrascht über dieses Angebot“, berichtet Leiste. Nach
       mehrmonatigen Konzeptgesprächen mit der Schulbehörde gab es nun eine
       gemeinsame Tagung mit den Lehrern der Fährstraße. Die Überschneidung der
       Wünsche, wie man Schule gern gestalten möchte, sei groß, berichtet Leiste.
       Beide Seiten wollten keine Noten, keine Lernstandserhebungen und mehr
       künstlerisch mit den Kindern arbeiten. Und sie würden die Kinder gern bis
       Klasse 8 oder länger behalten.
       
       All dies sind klassische Bestandteile der Waldorfpädagogik, neben den
       bekannten Elementen wie Eurythmie oder Epochenunterricht (siehe Kasten).
       „Das wird keine Eins-zu-eins-Waldorfschule“, sagt Leiste. „Kein Lehrer wird
       gezwungen, Eurythmie zu machen“. Aber es gebe ein paar Grundbedingungen.
       Dazu zähle, die Kinder nicht nach der 4. Klasse zu trennen. „Unser
       Schulkonzept geht bis Klasse 12.“
       
       In dieser Frage gibt es noch Dissens mit der Schulbehörde. „Wir wissen,
       dass die Waldorfinitiative gern Stadtteilschule werden würde“, sagt
       Sprecher Peter Albrecht. Ein solcher Ausbau zur weiterführenden Schule sei
       derzeit jedoch „nicht geplant und nicht zugesagt“. Sie sei aber Gegenstand
       der kommenden Gespräche. Man müsse auch an die „normalen“ Eltern denken,
       die Noten für ihr Kind wünschten oder es nach der 4. Klasse „woanders
       hingeben wollen“.
       
       Auch die Frage pädagogischer Grenzlinien werde noch geklärt. „Es geht nicht
       darum, die Ideologie von Rudolf Steiner in staatliche Unterrichtspraxis zu
       überführen“, sagt Albrecht. Man wolle Elemente von Waldorf-Pädagogik
       integrieren, die „allseits akzeptiert sind“. Als Beispiel nennt er die
       Hamburger Albert-Schweitzer-Schule, die vor 62 Jahren mit einer „starken
       Waldorfausprägung“ an den Start ging und heute nur noch 20 Prozent
       Waldorflehrer hat.
       
       Auch Christiane Leiste versichert, es gehe nicht darum, anthroposophische
       Inhalte zu verbreiten. „Es geht um praktische Pädagogik.“ Esoterik habe
       auch an keiner Waldorfschule im Unterricht etwas zu suchen. „Wenn das so
       ist, läuft dort etwas falsch.“
       
       21 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Privatschule
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Aus für Waldorf-Crossover in Hamburg: Versuch geplatzt
       
       Waldorf-Initiative beendet ihre Mitarbeit an der Grundschule Fährstraße in
       Wilhelmsburg.
       
 (DIR) Das Waldorf-Experiment: Brücken zwischen den Welten
       
       An der Schule Fährstraße geht das erste Schuljahr zu Ende, in dem an einer
       staatlichen Schule offiziell Elemente der Waldorf-Pädagogik zum Einsatz
       kommen.
       
 (DIR) Prüfungs-Debakel beim Abi: Ministerium überprüft Privatschule
       
       Mehr als 1.700 Euro pro Jahr kostet die private Fachoberschule in
       Schweinfurt. Genutzt hat der finanzielle Einsatz wenig. Alle Schüler fielen
       durch beim Abitur.
       
 (DIR) Staatliche Schule mit Waldorfpädagogik: Grundschule mit Astralleib
       
       In Hamburg sollen erstmals Waldorflehrer an einer staatlichen Schule
       unterrichten. Kritiker verweisen auf die esoterischen Wurzeln der
       Pädagogik.
       
 (DIR) Kommentar Waldorfschule: Wenn schon, denn schon
       
       Auch das gemeinsame Lernen von Klasse 1 bis 12 sollte ausprobiert werden