# taz.de -- Berichte von V-Leuten: Mit dem Nazi beim Kartoffelkauf
       
       > Konzerte, Reisen, Einkäufe: Fast jede Bewegung in Sachsens rechter Szene
       > wurde aktenkundig. Geschadet hat ihr das nicht.
       
 (IMG) Bild: Wohlfühlen in Sachsen: Nazi bei einer Demo gegen die Wehrmachtsausstellung 1998 in Dresden.
       
       Dresden, 20. April 2000. Zwei Mitarbeiter des Landesamtes für
       Verfassungsschutz beginnen eine Observation. Für den Rest des Tages
       verfolgen sie einen dreißigjährigen Nazi auf Schritt und Tritt, in einem
       Überwachungsprotokoll halten die Beamten die Bewegungen der Zielperson (ZP)
       fest. 11.32 Uhr.
       
       „Die ZP betritt das Arbeitsamt auf der Budapester Straße. Um 12.30 Uhr
       verlässt die ZP das Arbeitsamt und fährt mit dem ZPkw auf direktem Weg zur
       SB-Halle“. 13.00 Uhr: Der überwachte Mann verlässt „mit zwei Kästen Sprudel
       die SB-Halle und fährt im Anschluss daran zum Aldi-Markt.“ 14.07 Uhr:
       „Anmerkung: Die ZP hat im Aldi-Markt u. a. einen Sack Kartoffeln und ein
       Bund Möhren gekauft.“ 21.00 Uhr: Ende der Observation.
       
       Geheime Akten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz aus den
       späten 1990er und frühen 2000er Jahren geben nun Einblick in die meist
       wenig spektakuläre Arbeit des Geheimdienstes in dem Freistaat. Zugänglich
       gemacht wurden sie im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des NSU-Terrors.
       
       Hunderte von V-Mann-Berichten, Überwachungsprotokollen und internen
       Vermerken zeigen den Zugang der Verfassungsschützer zur rechtsradikalen
       Szene auf – und die erstaunlich freundliche Haltung von Polizei und
       Bevölkerung gegenüber den Nazis.
       
       ## Die Behörden waren ganz nah dran
       
       Viele der Dokumente stammen aus dem Frühjahr 2000. Da waren die
       Sicherheitsbehörden bereits seit zwei Jahren auf der Suche nach dem
       späteren „NSU“, nach Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die
       rechte Szene in der Region war zu jener Zeit schwer aktiv und die
       Sicherheitsbehörden waren ganz nah an ihr dran. Geburtstagsfeste, Konzerte,
       Fußballturniere: kaum ein Ereignis, das nicht aktenkundig geworden wäre.
       
       Die Verfassungsschützer beobachten ein äußerst mobiles, international
       vernetztes Milieu. Beinahe wöchentlich sind die Rechtsradikalen unterwegs,
       meist zu Nazikonzerten. Dort tauschen sie sich mit anderen Rechten aus,
       tanzen zu rechter Hassmusik und saufen.
       
       Ein Bericht von einem Konzert im Elsass, im Januar 2000: „Es wurde den
       gesamten Abend über wie üblich üppig Alkohol konsumiert und kräftig gepogt.
       Die Stimmung kochte insbesondere über bei dem Judenlied ’six million more‘
       der US-amerikanischen Hammerskin-Band Bully Boys. In dem Lied wird
       sinngemäß gefordert, weitere sechs Millionen Juden zu eliminieren.“ Sobald
       genug Alkohol geflossen ist, skandieren die Nazis gern „Heil Hitler“.
       
       V-Leute, also Nazis, die für Informationen bezahlt werden, sind auf solchen
       Veranstaltungen die Quelle für den Verfassungsschutz. Die V-Männer
       berichten detailliert über Gespräche, Geschäfte, Treffen und Gruppenreisen
       in der gesamten Bundesrepublik, in die USA, die Schweiz, nach Polen,
       Frankreich, Tschechien und in andere Länder. Besucherlisten von Konzerten
       zeigen, dass auch Nazis aus dem Ausland hoch mobil sind. Ob aus Australien,
       Schweden, Kanada, Ungarn, Griechenland, Belgien oder Italien: von überall
       her kommen die Rechten zusammen, feiern und planen.
       
       ## Absurde föderale Struktur
       
       Angesichts dieser Internationalität wirkt die föderale Struktur der
       deutschen Behördenlandschaft absurd. Denn die Kompetenzen der
       Verfassungsschützer enden an der Grenze zum nächsten Bundesland. Während
       der Verfolgung eines Nazis im April 2000 etwa halten die Geheimdienstler im
       Überwachungsprotokoll fest, die Zielperson sei „sehr vorsichtig
       (konspirativ) und höchstsensibel“. Dennoch brechen sie die Observation ab:
       „An der Landesgrenze zu Bayern wird um 16.35 Uhr die Nachfahrt laut
       Absprache Fallführer abgebrochen.“
       
       Die sächsischen Geheimakten zeigen auch, wie unterschiedlich die
       Länderpolizeien mit der Naziszene umgehen. Mancherorts führt man
       Personenkontrollen durch oder löst die Feiern auf. Anderswo begnügt man
       sich mit der Präsenz vor den Veranstaltungsgebäuden. Und manchmal rücken
       die Sicherheitskräfte gar nicht erst an.
       
       Letzteres gilt insbesondere für Sachsen. Dort war die Lage für Nazis Ende
       der neunziger Jahre offenbar spürbar angenehmer als beispielsweise in
       Brandenburg. Sächsische V-Männer berichten von heftigen Beschwerden über
       die angeblich zu rigide vorgehende Polizei im benachbarten Bundesland. Die
       Nazis wissen sich jedoch zu helfen – sie weichen einfach aus.
       
       Ein mit „VS Vertraulich“ gestempelter Geheimdienstbericht hält
       beispielsweise fest, wie rechte Konzertorganisatoren auf Polizeieinsätze in
       Brandenburg im Jahr 1999 reagierten: „Da in der Vergangenheit derartige
       Veranstaltungen von der brandenburgischen Polizei regelmäßig aufgelöst
       wurden, verlagerte man das Skinheadkonzert sehr kurzfristig nach Sachsen.“
       
       ## „Kehrt doch erst mal in euren eigenen Reihen“
       
       Dort wurde dann nicht nur freimütig gefeiert. Mancher Nazi kam sogar ins
       Plaudern mit Polizeibeamten. Ein Nazi berichtet, „dass es ihm am 20.
       November 1999 am Veranstaltungsort gelungen sei, einen Polizisten der Soko
       Rex in ein Gespräch zu verwickeln“.
       
       Diese Sonderkommission hatte das sächsische LKA 1991 zur Bekämpfung des
       Rechtsextremismus eingerichtet. „Er habe diesen Polizisten aufgefordert,
       die Skinheads doch endlich einmal in Ruhe zu lassen. Der Polizist habe ihm
       darauf geantwortet: ’Kehrt doch erst mal in euren eigenen Reihen. So gut
       wie der Verfassungsschutz über euch informiert ist, sitzt bei euch ein
       Spitzel. Dem könnt ihr das verdanken.‘ “
       
       Auch in anderen Bundesländern geht die Staatsmacht erstaunlich freundlich
       mit den Nazis um. So berichtet der Verfassungsschutz im September 1999 von
       einem Konzert bei Dessau in Sachsen-Anhalt: „Bereits vor dem Konzert führte
       die Polizei Fahrzeugkontrollen durch. Sie beschränkte sich jedoch auf die
       Kontrolle der Führerscheine und Fahrzeugpapiere. Die Polizei war
       außergewöhnlich freundlich zu den Konzertteilnehmern. Zum Abschluss der
       Kontrollen wünschte die Polizei den Skinheads noch einen ’schönen Abend und
       viel Spaß‘. Polizeipräsenz während des Konzerts wurde weder vor noch im
       Veranstaltungssaal festgestellt.“
       
       Die Wirte hatten ohnehin ihre Freude an den Nazis. So berichtet ein
       Mitglied des rechtsradikalen und inzwischen verbotenen „Blood &
       Honour“-Netzwerks im Jahr 1999 nach einem Konzert bei Chemnitz, der
       Gastwirt am Veranstaltungsort habe signalisiert „dass er jederzeit wieder
       bereit wäre, sein Lokal für ein derartiges Skinheadkonzert zur Verfügung zu
       stellen“. Die 20.000 DM Umsatz seien für ihn wie ein „warmer Regen“
       gewesen. Nur „die zu Bruch gegangenen Gläser und die gestohlenen Salz- und
       Pfefferstreuer wolle er ersetzt haben“.
       
       ## Hitlergruß und Horst-Wessel-Lied
       
       Mancher Gastwirt sorgte persönlich dafür, dass die Veranstaltung auch ja
       stattfindet. So steht in einem V-Mann-Bericht über ein Nazikonzert in
       Sachsen im Jahr 1998: „Quelle teilte mit, dass der Wirt der Gaststätte die
       anreisenden Skinheads im Vorfeld über die Anwesenheit der Polizei
       informierte.“
       
       Auch jenseits der Geschäftstüchtigkeit Einzelner hält der sächsische
       Verfassungsschutz en passant erstaunliche Szenen fest. Im Januar 1998
       herrscht im bayerischen Auerbach in der Oberpfalz eine bemerkenswerte
       Willkommensstimmung, als 300 Nazis zum Konzert einfallen: „Erstaunlich sei
       gewesen, dass neben der in einem getrennten Saal stattfindenden
       Konzertveranstaltung auch der reguläre Gaststättenbetrieb aufrechterhalten
       wurde. Das dort befindliche Publikum hätte keine Antipathien gegenüber den
       Skinheads geäußert. Im Gegenteil, man sei sogar stellenweise sehr nett ins
       Gespräch gekommen.“
       
       Auch bei Veranstaltungen in Sachsen selbst ist von Widerstand gegen die
       aktive Naziszene kaum die Rede. Eher scheinen die Rechtsradikalen normaler
       Bestandteil der Alltagskultur gewesen zu sein – und bei manchem Bürger gar
       Begeisterung ausgelöst zu haben.
       
       Während eines Konzertes in der Nähe von Dresden im März 1999 „betrat ein
       älterer Dorfbewohner die Bühne. Er ergriff das Mikrofon und teilte den
       Anwesenden mit, dass er im Jahre 1932 geboren sei und dass es in seiner
       Jugendzeit vernünftigere Musik gegeben hätte. Dann riß er den Arm zum
       Hitlergruß hoch und stimmte das Horst-Wessel-Lied an. Die Konzertteilnehmer
       waren davon begeistert und sangen den Text dieses Liedes lauthals mit.“
       
       24 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanno Burmester
       
       ## TAGS
       
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