# taz.de -- Wahlkampf in Georgien: Präsident unter Druck
       
       > Zehntausende Georgier ziehen gegen Amtsinhaber Saakaschwili auf die
       > Straße. Selten war ein Wahlkampf so polarisiert und aggressiv.
       
 (IMG) Bild: Herausforderer Bidsina Ivanischwili: Der Milliardär will der nächste georgische Präsident werden.
       
       TIFLIS taz | Auf dem Rustaveli-Prospekt, der Hauptstraße der georgischen
       Hauptstadt Tiflis, ist an diesem Samstag kein Durchkommen mehr.
       Zehntausende schieben und schubsen sich in Richtung Freiheitsplatz. Viele
       von ihnen tragen himmelblaue T-Shirts mit der Aufschrift „Georgischer
       Traum“ und schwenken gleichfarbige Fahnen oder die georgische
       Nationalflagge. Überall werden stapelweise CDs mit den Reden und Auftritten
       von Bidsina Ivanischwili verteilt. Alle hier wollen ihr Idol sehen – den
       Oligarchen und politischen Hoffnungsträger.
       
       Erst im vergangenen Herbst war der 56jährige, der laut den
       US-Wirtschaftsmagazin Forbes mit einem geschätzten Vermögen von 4,8
       Milliarden Euro einer der reichsten Männer der Welt ist, in die Politik
       gegangen. Nun hat er mit seiner neugegründeten Oppositionspartei
       „Georgischer Traum“ gute Chancen, die Regierungspartei „Vereinigte
       Nationale Bewegung“ (UNM) von Präsident Michail Saakaschwili ihre Mehrheit
       streitig zu machen. „Georgien, Georgien!“, skandiert die Menge. Familien
       mit Kindern sind ebenso dabei wie ältere Menschen, Arme und Wohlhabende.
       
       Dann tritt Ivanischwili ans Rednerpult. „Niemand kann Georgien von der
       europäischen Zivilisation trennen, einer Zivilisation, in der die Menschen
       sich nicht mehr fürchten müssen“, schallt es aus den Lautsprechern. Und:
       „Unser Sieg wird der Sieg unseres Volkes sein.“ Die Menge klatscht und
       jubelt. Und wieder: „Georgien, Georgien!“ „Ich bin nicht nur hierher
       gekommen, um Ivanischwili zu hören“, sagt eine Frau, „Das Wichtigste ist,
       aller Welt zu zeigen, wie viele Bürger gegen Gewalt sind.“
       
       Es ist die letzte große Machtdemonstration von Ivanischwili und seinen
       Anhängern vor den Parlamentswahlen an diesem Montag. Selten war ein
       Wahlkampf in Georgien so polarisiert und so aggressiv. Einen wahren Aufruhr
       in der Bevölkerung lösten Videos aus, die zwei oppositionelle TV-Sender am
       16. September ausstrahlten. Auf ihnen ist zu sehen, wie Gefangene in einem
       Tifliser Gefängnis gefoltert und mit Besenstilen vergewaltigt werden. Zwei
       Minister wurden gefeuert, dennoch gingen eine Woche lang tausende Studenten
       in mehreren Städten gegen die brutale Behandlung von Häftlingen auf die
       Straße. Dennoch – der Schock sitzt tief und seitdem ist es für
       Saakaschwili, der 2003 an die Macht kam und vom Reformer zum Autokraten
       mutierte, noch enger geworden.
       
       ## Hartes Vorgehen gegen Kritiker
       
       Um den drohenden Verlust der Mehrheit zu verhindern, zog die Staatsmacht in
       den vergangenen Wochen daher alle Register. Unterstützer und Aktivisten der
       Opposition wurden überfallen und zusammengeschlagen, 60 von ihnen
       festgenommen und zu Haftstrafen zwischen 10 und 40 Tagen verurteilt.
       Staatsbedienstete mussten Listen mit Namen und Adressen von
       Familienangehörigen und Freunden übergeben, die für die UNM stimmen werden.
       Am 24. September verfügte die Zentrale Wahlkommission, dass Medienvertreter
       nur 10 Minuten lang und aus einer Entfernung von drei Metern den Wahlprozeß
       filmen dürfen. Danach wird ihnen vom Leiter der örtlichen Kommission ein
       bestimmter Ort zugewiesen, um Aufnahmen zu machen.
       
       „Der Wahlkampf war extrem ungleich und unfair. Wir haben in den vergangenen
       Wochen erheblich mehr Gesetzesverstöße festgstellt, als bei den Lokalwahlen
       2010 und das sowohl auf Seiten der Regierungspartei als auch der
       Opposition“, sagt Tamar Tschugoschwili, die Vorsitzende der „Vereinigung
       junger georgischer Anwälte“ (GYLA). Die GYLA ist eine von drei
       Organisationen, die den Wahlkampf begleitet haben. Sie wird am Wahltag mit
       300 einheimischen Beobachtern in 35 Distrikten präsent sein. Auch bei der
       eigentlichen Abstimmung rechnet Tschugoschwili mit zahlreichen Fälschungen.
       Zudem gebe es Ankündigungen, wonach sich sowohl Anhänger der
       Regierungspartei als auch der Opposition vor den Wahllokalen einfinden
       wollen. „Gewaltsame Zusammenstöße sind da durchaus möglich“, sagt sie.
       
       Die hält auch Sandro Tsagareli nicht für ausgeschlossen. Der 21jährige
       Soziologiestudent war einer der Hauptorganisatoren der jüngsten
       Studentenkundgebungen. Am vergangenen Dienstag wurde er nach einer
       Protestaktion kurzzeitig festgenommen – angeblich wegen Widerstandes gegen
       die Polizei. Obwohl sein Vergehen nicht bewiesen werden konnte, wurde er zu
       einer Geldstrafe von 400 Lari (umgerechnet 200 Euro) verurteilt.
       
       „Mit unseren Protesten haben wir die Gesellschaft aufgerüttelt und wir
       werden weiter auf die Straße gehen“, sagt er. „Jetzt leben wir in einem
       autokratischen System und dieses System muss zerstört werden. Was kommt,
       wissen wir nicht, aber es gibt das erste Mal eine wirkliche Chance auf
       Veränderung.“
       
       30 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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