# taz.de -- Vorwürfe im Transplantationsskandal: Jetzt auch in Hamburg
       
       > Ärztepräsident Montgomery wirft einer Klinik vor, eine Transplantation
       > regelwidrig vorgenommen zu haben. Auch in Hamburg gibt es einen
       > Verdachtsfall.
       
 (IMG) Bild: Kliniken in Hamburg und München werden unter die Lupe genommen.
       
       BERLIN taz | Die Zahl der Vorwürfe wegen Unregelmäßigkeiten bei der
       Organvergabe an deutschen Transplantationszentren steigt. Nach Göttingen,
       Regensburg und München gibt es nun einen Verdacht, dass auch am
       Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf (UKE) bei Lebertransplantationen
       bewusst gegen die Regeln der Bundesärztekammer verstoßen worden sein soll.
       Eine entsprechende Anzeige gegen den Direktor der Klinik für
       Transplantationschirurgie sei vor Wochen anonym bei der Staatsanwaltschaft
       Hamburg eingegangen, sagte ein Sprecher am Sonntag der taz: „Wir prüfen
       derzeit, ob es einen Anfangsverdacht gibt, der Ermittlungen rechtfertigt.“
       
       Dem UKE wird laut Anzeige vorgeworfen, zwischen 2008 und 2010 in mehreren
       Fällen Spenderlebern, die der Klinik von der Stiftung Eurotransplant
       bereits für bestimmte Patienten zugewiesen worden waren, tatsächlich
       anderen Patienten verpflanzt zu haben. Die Lebern seien nach entsprechender
       Wartezeit für den betreffenden Patienten bewusst als nicht transplantabel
       eingestuft worden. Damit habe das UKE sie anderen Patienten geben dürfen.
       Und der Patient, der eigentlich an der Reihe gewesen wäre, hätte aufgrund
       seiner Dringlichkeit wenige Tage später eine neue Leber angeboten bekommen.
       So habe das UKE die Zahl seiner Transplantationen steigern können.
       
       Der Vorwurf kursiert in der Transplantationsszene seit Monaten, das UKE hat
       ihn stets zurückgewiesen. Am Sonntag war die Universtiätsklinik zunächst
       für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auch die Prüfungskommission bei
       der Bundesärztekammer, die bereits im September entsprechende
       UKE-Patientendaten anhand von Stichproben überprüft hatte, hatte ihn nicht
       bestätigen können.
       
       ## „Nur eine Stichprobe“
       
       Uwe Heemann, der Leiter des Transplantationszentrums am Münchner Klinikum
       rechts der Isar, das seit voriger Woche unter Manipulationsverdacht steht,
       kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Prüfer in Hamburg „bislang nur
       eine Stichprobe“ von etwa 30 Fällen untersucht hätten. Auch an der Berliner
       Charité, wo die Prüfungskommission Daten nachvollzog, ohne auf
       Auffälligkeiten zu stoßen, basiere das Prüfurteil lediglich auf einer
       Stichprobe. „Wir in München dagegen haben sämtliche 163 Fälle von 2007 bis
       2012 offengelegt“, sagte Heemann der taz. Da sei eine höhere Trefferquote
       logisch.
       
       Die Leitung des Klinikums rechts der Isar wies zudem neue Vorwürfe des
       Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, zurück. Danach
       sollen die Münchner Ärzte unter anderem einem Tumorpatienten, der aufgrund
       seiner fortgeschrittenen Erkrankung gar nicht mehr hätte transplantiert
       werden dürfen, trotzdem eine Leber verpflanzt haben. Gegenüber
       Eurotransplant habe das Klinikum das tatsächliche Ausmaß der
       Tumorerkrankung verschwiegen. Der Patient soll kurze Zeit später verstorben
       sein.
       
       Das Klinikum rechts der Isar bestätigte die Transplantation, erklärte aber,
       diese habe „nach den vorläufigen Ergebnissen unserer Untersuchung“ durchaus
       den Richtlinien der Bundesärztekammer entsprochen. Lebern werden nach den
       medizinischen Kriterien der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht vergeben. Ist
       ein Patient so krank, dass die Aussicht sehr gering ist, dass er die
       Operation nicht oder nur kurze Zeit überlebt, dann darf er nicht
       transplantiert werden. Bei dieser Abwägung gibt es jedoch
       Ermessensspielräume.
       
       ## Vier Regelverstöße
       
       Weiteren Streit gibt es um die Zahl der Verdachtsfälle in München. Während
       die Bundesärztekammer von neun Auffälligkeiten spricht, beziffert das
       Klinikum rechts der Isar die Zahl der Regelverstöße auf lediglich vier,
       „jedenfalls nach derzeitigem Stand“, sagte der Ärztliche Direktor des
       Klinikums, Reiner Gradinger, der taz. Alle Fälle stammten aus den Jahren
       2010 und 2011. Und: In allen vier Fällen bekamen aufgrund der Falschangaben
       gegenüber Eurotransplant Patienten eine Spenderleber, die ihnen aufgrund
       ihrer Position auf der Warteliste zu diesem Zeitpunkt – wären sämtliche
       Laborwerte und Angaben zur Dialyse korrekt gemeldet worden – noch gar nicht
       zugestanden hätte.
       
       „Wir haben Fehler gemacht“, räumte Gradinger ein, „aber Fehler sind eben
       nicht unmittelbar gleichzusetzen mit kriminellem Handeln“. Von
       vorsätzlicher Datenmanipulation oder bewusster Bevorzugung von Patienten
       könne „derzeit keine Rede“ sein.
       
       Gradinger und Heemann machten zudem konkrete Angaben zur Art der Verstöße:
       In einem Fall seien veraltete Laborwerte an Eurotransplant gemeldet worden,
       obwohl neuere vorlagen, die belegten, dass der Patient tatsächlich gesünder
       war. Demnach hätte er keine Leber bekommen dürfen.
       
       ## Übersehen oder verwechselt
       
       In einem anderen Fall hatte der behandelnde Arzt gegenüber der für die
       Organvergabe zuständigen Stiftung Eurotransplant angegeben, der Patient
       hätte nicht nur eine kaum noch funktionierende Leber, sondern sei
       zusätzlich dialysepflichtig, brauche also eine Blutwäsche der Nieren. Wer
       gleichzeitig an zwei lebenswichtigen Organen erkrankt ist, dessen
       Transplantationschancen steigen enorm. Dumm nur, dass der leberkranke
       Patient in Wirklichkeit gar keine Nieren-Dialyse, sondern nur eine
       Leber-Dialyse brauchte. Der zuständige Arzt habe diesen Unterschied auf dem
       Fragebogen an Eurotransplant übersehen oder verwechselt.
       
       In zwei weiteren Fällen geht es ebenfalls um leberkranke Patienten, über
       die angegeben wurde, sie bräuchten zusätzlich eine Nieren-Dialyse. In
       diesen beiden Fällen, so Gradinger, sei aber höchst fraglich, ob die
       Dialysen tatsächlich jemals stattgefunden hätten. Dem Klinikum jedenfalls
       fehlten die Unterlagen hierüber. Klarheit in einem solchen Fall kann im
       Grunde nur die Klinikverwaltung schaffen: Sie kann nachsehen, ob die
       vermeintlichen Dialysen gegenüber der Krankenkasse abgerechnet wurden.
       
       Aus dem Umfeld ehemaliger Beschäftigter des Klinikums rechts der Isar
       erfuhr die taz, dass die Praxis, leberkranke Patienten zugleich für
       dialysepflichtig zu erklären, obwohl sie dies gar nicht waren, angeblich
       gang und gäbe und eine beliebte Form der bewussten Manipulation unter
       mehreren Transplantationschirurgen gewesen sein soll. „Rechts der Isar
       wurde über Jahre betrogen, dass sich die Balken bogen", sagte ein
       Ex-Mitarbeiter der taz. „Es ist relativ einfach, Dialysebögen im Nachhinein
       zu fälschen.“
       
       ## Nicht erklärbar
       
       Anders seien Erfolg und Aufstieg des Münchner
       Lebertransplantationsprogramms in den vergangenen Jahren nicht erklärbar.
       Der Vorwurf, die Zahl der Transplantationen aufgrund absichtlich
       gefälschter Daten gesteigert zu haben, richtet sich insbesondere gegen
       einen ehemaligen Oberarzt, der das Klinikum rechts der Isar aber
       mittlerweile verlassen hat und an einem anderen Krankenhaus in Bayern
       arbeitet, wo es keine Lebertransplantationen gibt. Der Ärztliche Direktor
       soll hierüber bereits 2008 in einem Brief durch Mitarbeiter informiert
       worden sein, habe aber nicht reagiert, verlautete aus dem Klinikumfeld.
       
       Gradinger sagte der taz, die Vorwürfe - auch gegen den ehemaligen Oberarzt
       – seien bekannt. Er habe noch am Donnerstag, als der Manipulationsverdacht
       öffentlich wurde, mit ihm gesprochen und gehe nach diesem Gespräch davon
       aus, „dass er nicht vorsätzlich manipuliert hat“. Ob bei den jetzt
       identifizierten Regelverstößen immer ein- und derselbe Arzt die Angaben
       gegenüber Eurotransplant gemacht habe, werde nun geprüft.
       
       Die Bundesärztekammer hat mit diesen Prüfungen, die sich aufgrund der
       Komplexität der Patienten- und Verwaltungsakten über Wochen hinziehen
       dürften, unter anderem den scheidenden Mainzer Chirurgieprofessor Gerd Otto
       beauftragt. Otto gilt als Glückswahl für diesen Job: er ist nicht nur
       ausgewiesener Lebertransplantationsspezialist, sondern wird demnächst
       emeritiert – hat also aufgrund wie auch immer gearteter
       Untersuchungsergebnisse weder Mobbing durch Kollegen noch einen
       Karriereknick zu befürchten.
       
       Anmerkung der Redaktion, 2. Oktober 2012: 
       
       Das Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf (UKE) muss nicht mit
       Ermittlungen wegen bewussten Verstoßes gegen die Richtlinien bei
       Lebertransplantationen rechnen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hamburg
       teilte am Montag mit, die Prüfungen, ausgelöst durch eine anonyme Anzeige,
       seien beendet. Die Angaben hätten für einen Anfangsverdacht nicht
       ausgereicht. Das UKE hatte die Vorwürfe stets bestritten. Auch
       Überprüfungen durch die Bundesärztekammer hatten keine Auffälligkeiten
       ergeben. (taz)
       
       30 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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