# taz.de -- Abtreibungsschiff aus den Niederlanden: Solidarität mit Marokkos Frauen
       
       > Ein holländisches Klinikschiff mischt Marokko auf: Es bietet Abtreibungen
       > an. Der Staat blockiert und lässt bei Anlegen des Schiffs den Hafen
       > abriegeln.
       
 (IMG) Bild: Schwangerschaftsabbruch in internationalen Gewässern: Women on Waves – hier 2008 vor Spanien.
       
       MADRID taz | Es ist eine Premiere. Das sogenannte Abtreibungsschiff der
       holländischen Frauenorganisation Women on Waves hat am Donnerstag mit
       Marokko erstmals ein muslimisches Land angelaufen. Kaum hatte das Schiff im
       Jachthafen in Smir nahe der nordmarokkanischen Stadt Tetuan angelegt, zogen
       Polizei und Armee auf.
       
       „Der ganze Hafen wurde von Uniformierten und Zivilbeamten hermetisch
       abgeriegelt“, beschwert sich die Sprecherin der Aktion, Rebecca Gomperts.
       Vor dem Hafen demonstrierten konservative Frauen und Männer mit Fotos von
       blutigen Föten. Schließlich wurde die Crew von einem Kriegsschiff
       gezwungen, ohne die Frauen, die mittlerweile an Land waren, die
       marokkanischen Hoheitsgewässer zu verlassen.
       
       „Nicht einmal unser Anwalt durfte zurück an Bord. Die Mitglieder der
       Mannschaft wurden identifiziert und fotografiert, die Fahnen von Women on
       Waves beschlagnahmt“, berichtet Gomperts. Sie will zusammen mit 20
       holländischen und marokkanischen Aktivistinnen dennoch im Land bleiben. Die
       seit 1999 tätige Organisation wurde von der marokkanischen Alternativen
       Bewegung für Individuelle Freiheiten eingeladen. Women on Waves hatte in
       der Vergangenheit durch ähnliche Aktionen in Irland, Spanien und Portugal
       Aufsehen erregt.
       
       ## Das Verbot thematisieren
       
       „Trotz Repression haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Gomperts. Es sei
       gelungen, das strikte Verbot der Abtreibung in Marokko zu thematisieren.
       „Und wir haben eine Telefon-Hotline eingerichtet, auf der wir Frauen
       informieren, wie sie mit einem völlig legal erhältlichen Medikament selbst
       eine ungewollte Schwangerschaft beenden können“, sagt sie.
       
       Der Plan, Frauen auf dem Schiff außerhalb der Hoheitsgewässer zur
       Abtreibung zu verhelfen, kann nach dem Marineeinsatz nicht umgesetzt
       werden. „Die Demonstration und die Aktion der Sicherheitskräfte soll den
       Eindruck erwecken, wir seien in Marokko unerwünscht“, sagt Gomperts. „Doch
       dem ist nicht so. Außerhalb des Hafens, in Läden und Cafés werden wir
       freundlich empfangen.“
       
       Denn was die Regierung der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und
       Entwicklung am liebsten verschweigen will, ist in Marokko ein trauriges
       Thema. Täglich – so die Angaben der stellvertretenden Vorsitzenden der
       Marokkanischen Vereinigung zum Kampf gegen klandestine Abtreibung (Amlac),
       Salwa Abourizk – werden in dem Land 500 bis 600 Abtreibungen vorgenommen,
       und das trotz strikten Verbots.
       
       ## Erst nach 40 Tagen eine Seele
       
       Die meisten Abtreibungen werden in Marokko ohne jegliche hygienische und
       medizinische Garantien vorgenommen. Denn nur wer 150 bis 500 Euro hat, kann
       eine der Kliniken besuchen, die, am Gesetz vorbei, ungewollte
       Schwangerschaften unterbrechen. Der Rest fällt in die Hände irgendwelcher
       KurpfuscherInnen oder versucht mit brachialen Hausmitteln die
       Schwangerschaft selbst zu beenden. Pro Jahr sollen, so Women on Waves, im
       Marokko 78 Frauen infolge dieser Praktiken sterben.
       
       Die Regierung begründet die harte Linie mit der Religion. „Die Frau hat das
       Recht, über ihren Körper selbst zu bestimmen“, beschwert sich Abourizk. Das
       sei ein universelles Recht. Da selbst namhafte Imame davon ausgehen, dass
       der Fötus erst nach frühestens 40 Tagen eine Seele habe, fordert Amlac eine
       Fristenregelung, die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zehn bis
       zwölf Wochen erlaubt.
       
       Amlac will auch erreichen, dass an Schulen und Universitäten über
       Verhütungsmittel informiert wird. Auch das ist bei konservativer Auslegung
       religiöser Vorschriften nicht möglich. Vorehelicher Geschlechtsverkehr wird
       ebenfalls mit bis zu einem Jahr Haft bestraft.
       
       5 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
 (DIR) Reiner Wandler
       
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