# taz.de -- Vom Buch zum Film: Kopfkino ist das schönste Kino
       
       > Literaturverfilmungen scheitern oft, weil man sich beim Lesen alles ganz
       > anders vorgestellt hat. Dabei sind es einfach unterschiedliche
       > Kunstformen.
       
 (IMG) Bild: Menno, so hatte man sich Frodo beim Lesen von „Herr der Ringe“ gar nicht vorgestellt. Oder?
       
       Als ich Michael Endes „Unendliche Geschichte“ im Kino gesehen habe, musste
       ich weinen. Nicht weil Atreus’ Pferd Artax qualvoll im Moor versank,
       sondern weil der Drache Fuchur nichts konnte, außer mit den Ohren zu
       wackeln. Ich war zwar erst sieben Jahre alt, aber trotzdem wahnsinnig
       frustriert von dem, was aus dem großartigen Buch und seinen Figuren
       geworden war, das mir meine Schwester nächtelang vorgelesen hatte.
       
       Die Enttäuschung über Literaturverfilmungen ist eine logische Konsequenz,
       wenn man erwartet, genau das zu sehen, was man zuvor beim Lesen erlebt hat.
       Ein Film kann niemals wie seine literarische Vorlage sein. Ein Buch
       unterliegt anderen dramaturgischen Regeln als ein Film. Bücher können in
       der Handlung abschweifen, sie können sich ausbreiten und einer großen Zahl
       Figuren ausführlich folgen. Die Spannung einer Geschichte entwickelt sich
       nicht notgedrungen aus der Handlung, sondern aus der Sprache und aus den
       Bildern, die durch sie entstehen.
       
       Ein Buch muss nicht unbedingt dazu gedacht sein, am Stück gelesen zu
       werden. Man bestimmt selbst das Tempo. Ein Film dagegen muss in 120 Minuten
       funktionieren. Wenn man eine Romanadaption macht, muss man sich auf das
       Wesentliche konzentrieren, man muss den Kern der Geschichte transportieren.
       Dabei lässt man Handlungsstränge weg oder fasst sie zusammen. Man
       beschränkt sich und nimmt nur das mit, was man für die Reise seines Helden
       braucht.
       
       Das gilt auch für die Protagonisten. Während ein Roman einer großen Anzahl
       von Charakteren folgen kann, muss man für die Filmhandlung genau überlegen
       wer notwendig ist, um die Erzählung voranzutreiben. Dabei fallen Personen
       weg. Ähneln sich Eigenschaften oder Ziele, wird aus zwei Figuren eine
       gemacht. Trotz des ständigen Eindampfens kommt es vor, dass der
       Drehbuchautor eine Figur hinzuerfindet, die es im Roman nicht gegeben hat.
       Man benutzt Figuren wie ein Werkzeug, um Dinge zu verdeutlichen.
       
       ## Das gedruckte Wort ist subtil
       
       In einem Buch kann der Konflikt einer Figur ausschließlich innerlich
       stattfinden. Wir können ihren Gedanken folgen. Uns werden Gefühle und Ziele
       beschrieben, die den Protagonisten umtreiben. Als gedrucktes Wort erscheint
       das subtil. Steht aber in einem Film ein Protagonist auf einem Berg und
       sagt laut zu sich selbst: „Ich bin traurig“, wirkt das in der Regel platt.
       
       Im Kino funktioniert die Innenperspektive anders. Im besten Fall können wir
       Gefühle im Ausdruck und in den Aktionen des Schauspielers ablesen. Wir
       verfolgen Handlungen und Intentionen der Figuren, ohne sie direkt erklärt
       zu bekommen.
       
       Die Frustration des Zuschauers bei der Literaturverfilmung kommt aber oft
       nicht durch Kürzungen und Ergänzungen im Drehbuch – denn wer liest schon
       das Drehbuch. Es ist die Bebilderung dessen, was man sich beim Lesen ganz
       anders vorgestellt hat. Kein Film kann so schön sein wie der, der im
       Kopfkino abläuft. Im Film bleiben einem durch die vom Regisseur gewählten
       Bilder zumindest auf den ersten Blick keine Interpretationsmöglichkeiten.
       Ein guter Film lässt dem Zuschauer hier allerdings genug Spielraum.
       
       Aber wenn Peter Jackson Elija Wood im „Herrn der Ringe“ als Hobbit Frodo
       besetzt, nützt es nichts, wenn man beim Lesen seinen kleinwüchsigen
       Nachbarn vor Augen hatte. Wenn es 1984 technisch noch nicht möglich war,
       dass Fuchur glaubhaft fliegt, verzeiht man das Wolfgang Petersen nicht.
       
       Ist die Stimmung, die man beim Lesen von Süskinds „Parfum“ empfunden hat,
       durch Spielorte, Musik, Kamera und Schnitt in Tom Tykwers Verfilmung nicht
       entsprechend wiedergegeben, ist man enttäuscht.
       
       ## Nicht alles ist produktionstechnisch möglich
       
       Am Ende entscheidet die Subjektivität der Regisseure, was für ein Film
       entsteht. Hinzu kommt, was produktionstechnisch möglich ist. Kann im Roman
       ein Schwein im Weltraum explodieren, so hat der Film vielleicht nicht das
       Budget, das All nachzubauen. Oder die Explosion ist technisch noch nicht
       möglich oder ein Ordnungsamt stellt sich quer, um das Tier zu schützen. Die
       Folge: Das Schwein wird gestrichen.
       
       Eine Literaturverfilmung kann nicht die Fantasie aller Leser befriedigen.
       Man muss sich auf eine Interpretation des geliebten Buches einstellen und
       neugierig auf das sein, was jemand anders darin gesehen hat.
       
       Oft greifen Romanautoren in diese Interpretation ein, werden zu Beratern,
       Koautoren oder machen ihr Buch selbst zum Drehbuch. Doch nicht jeder gute
       Schriftsteller muss auch ein gutes Drehbuch schreiben können. Hat der
       Drehbuchautor Glück, hilft ihm der Romanautor, sein Werk besser zu
       durchdringen. Hat er Pech, sieht er sich einem hysterischen Schöpfer einer
       Geschichte gegenüber, der nichts von dem verändern will, was er zuvor
       mühsam erschaffen hat und was „sowieso nicht anders geht“.
       
       In dem meisten Fällen hält sich der Romanautor aber zurück. Er kann
       schließlich davon ausgehen, dass die Filmemacher zumindest vorhaben, im
       Sinne der Vorlage zu arbeiten. Immerhin ist sie so gut, dass man einen Film
       daraus machen will. Man möchte möglichst viele Leser als Zuschauer
       gewinnen. Und nichts nützt einer Verfilmung weniger als ein unzufriedener
       Romancier. So wie John Irving, der aus Enttäuschung über die Verfilmung
       seines Romans „Owen Meany“ den Produzenten untersagte, den Titel für ihren
       Film zu benutzen.
       
       Vielleicht schließt er deshalb auch diesen Film aus seinem 2000
       erschienenen Buch „My Moviebusiness“ aus. Hier schreibt John Irving über
       seine Romane, die Filme, die daraus wurden, und vor allem über seine Mühen
       bei der Adaption seines eigenen Romans, „The Cider House Rules“. Dieser
       Prozess dauerte 13 Jahre und sah eine unglaubliche Zahl von
       Drehbuchfassungen und Regisseuren – aber Irving bekam schließlich den Oscar
       für das bestadaptierte Drehbuch.
       
       ## Vorlagen sind nie perfekt
       
       Eine perfekte Buchvorlage für einen Film gibt es nicht. Ist ein Filmemacher
       aber inspiriert genug, kann auch aus einem nonfiktionalen Buch wie „The
       Orchid Thief“ von Susan Orlean, das sich im Grunde genommen mit der
       Leidenschaft für Blumen beschäftigt, ein unglaublicher Film wie „The
       Adaptation“ von Spike Jonze werden.
       
       Hier beweist Drehbuchautor Charlie Kaufmann, wozu ein Film in der Lage ist:
       Er zeigt uns das Innenleben von Figuren, er führt den Zuschauer, ohne den
       Faden zu verlieren, von der Realität in Fantasiewelten. Er ist lustig,
       schlau und überraschend. Man kann darüber streiten, ob das Drehbuch eine
       Adaption oder ein Originaldrehbuch ist. Aber am Ende transportiert es den
       Kern der literarischen Vorlage, in dem es um Liebe und Leidenschaft geht.
       
       Spätestens seit ich selber einen Roman adaptiere, sehe ich
       Literaturverfilmungen aus einer anderen Perspektive. Aber selbst wenn man
       nicht selber die Erfahrung gemacht hat, wie schwierig es ist, einem tollen
       Buch gerecht zu werden, sollte man seine Erwartungen an die Medien Buch und
       Film ab und an überprüfen.
       
       Denn Bücher und Filme sind so unterschiedliche Kunstformen wie Fotografie
       und Malerei: Auch wenn sie sich mit demselben Thema beschäftigen, erwartet
       man selbstverständlich ein anderes Ergebnis. Man vergleicht sie nicht. Man
       kann sich aber entführen lassen – und so etwas, was einen bewegt hat, noch
       einmal ganz neu erleben.
       
       7 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Lackmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
       
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