# taz.de -- Debatte Italienische Justiz: Aggressive Richter und Staatsanwälte
       
       > Schon wieder haben in Italien Staatsanwälte und Richter das Versagen der
       > Regierung ausgebügelt. Dabei gehen sie auch gegen „linke“ Parteigänger
       > vor.
       
 (IMG) Bild: Mit der Verfassung unterm Arm protestieren Richter und Staatsanwälte gegen Berlusconi.
       
       ROM taz | Das größte Stahlwerk Italiens, die Megafabrik ILVA in Tarent,
       steht womöglich vor dem Aus. Wenn die Eigentümer nicht schnell und radikal
       umrüsten, darf die Giftschleuder, die über Jahrzehnte eine ganze Stadt mit
       Dioxin, Feinstaub, Schwermetallen verseucht hat, ihren Betrieb nicht
       fortsetzen.
       
       Doch es waren keineswegs die staatlichen Umweltbehörden, die den Stopp
       verfügten. Sie hatten jahrelang zu- oder besser: weggesehen. Aktiv wurde
       hingegen die Justiz.
       
       Das ist durchaus typisch für Italien. Dass Staatsanwälte und Richter des
       Landes den Konflikt auch mit Mächtigen nicht scheuen, weiß die ganze Welt
       spätestens seit den zahlreichen Prozessen gegen den Exregierungschef Silvio
       Berlusconi, der sich immer wieder wegen Korruption, Steuerhinterziehung
       oder Bilanzfälschung verantworten musste und auch jetzt wieder wegen
       Nötigung im Amt vor Gericht steht: Mit Anrufen bei der Polizei soll der
       Expremier die Freilassung einer minderjährigen Prostituierten, die an
       seinem Hof verkehrte, erwirkt haben.
       
       Weniger bekannt im Ausland ist die Tatsache, dass der Konflikt zwischen
       Justiz und Politik sich keineswegs in der Person Berlusconi erschöpft. In
       der näheren Vergangenheit gab es eine ganze Reihe von Fällen, in denen sich
       verschiedenste Gerichte und Staatsanwaltschaften mit großkalibrigen Gegnern
       anlegten.
       
       So wurde auf Sardinien im Jahr 2011 die Beschlagnahmung des größten – auch
       von der Nato genutzten – Schießplatzes des Landes verfügt, weil die Fahnder
       überzeugt sind, dass dort Uraniumgeschosse zum Einsatz kamen, mit
       verheerenden Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen im
       Umland; das Verfahren läuft.
       
       So verurteilte im Juli das Kassationsgericht 16 Spitzenbeamte der
       italienischen Polizei, weil sie während des G-8-Gipfels von Genua im Jahr
       2011 den Sturm auf die Gipfelgegnern als Schlafstätte dienende Scuola Diaz
       geleitet hatten; in der eben erst veröffentlichen Urteilsbegründung wirft
       das Gericht der nationalen Polizeiführung vor, sie habe „Italien in den
       Augen der Weltöffentlichkeit diskreditiert“.
       
       Sie trage die Verantwortung dafür, dass unschuldige Demonstration
       zusammengeschlagen, gedemütigt und mit konstruierten Vorwürfen verhaftet
       wurden.
       
       ## CIA-Agenten verurteilt
       
       Und so erregte das Kassationsgericht mit einem Urteil im September erneut
       Aufsehen. Diesmal legten sich die Richter gleich mit der CIA an, verhängte
       sieben bis neun Jahre Haft über 23 US-Agenten, weil sie im Jahr 2003 in
       Mailand einen ägyptischen Imam entführt hatten.
       
       Aber auch die eigene Regierung kam schlecht weg: Das von ihr in dem
       Entführungsfall verhängte Staatsgeheimnis, so hieß es im Urteil, könne
       nicht dafür herhalten, beteiligte italienische Geheimdienstler zu schützen
       – ihnen wird nun ein neuer Prozess gemacht.
       
       ## Über Parteienpolitik erhaben
       
       Und so beschäftigt gegenwärtig ein weiterer brisanter Konflikt die
       italische Öffentlichkeit. Die Staatsanwälte von Palermo ermitteln gegen
       diverse frühere Minister und Polizisten. Ihr Verdacht: Die hätten in den
       Jahren 1992–1993 hinter den Kulissen Verhandlungen mit der Cosa Nostra
       geführt – jener Cosa Nostra, die im Mai 1992 gerade den Staatsanwalt
       Giovanni Falcone ermordet hatte und sich anschickte, auch dessen Kollegen
       Paolo Borsellino aus dem Weg zu räumen (im Juli 1992 gelang dies auch –
       doch die Verhandlungen gingen weiter, wenn man den Aussagen diverser
       Mafiosi glauben darf).
       
       Bei ihren Ermittlungen hörten die Fahnder auch diverse Telefonate eines der
       Expolitiker mit Italiens gegenwärtigem Staatspräsidenten Giorgio Napolitano
       sowie dessen juristischem Chefberater ab. Ein Unding, fand Napolitano – und
       rief das Verfassungsgericht an, das nun entscheiden muss, denn die
       Palermitaner Staatsanwälte rücken nicht von ihrer Position ab, dass sie
       rechtens gehandelt hätten.
       
       ## Falsche Behauptungen
       
       Eines macht diese Aufzählung hinreichend deutlich: Berlusconis über Jahre
       vorgebrachte Schutzbehauptung, die Justiz sei halt „rot“, durchpolitisiert,
       auf einem Auge blind, ist unhaltbar.
       
       Egal ob der größte Stahlproduzent des Landes (und an dessen Seite auch der
       gegenwärtige Umweltminister aus der Technikerregierung unter Mario Monti),
       ob Armee oder Polizei, ob die CIA oder der italienische Geheimdienst, ob
       der rechte Berlusconi oder der von der Linken stammende Napolitano –
       Italiens Justiz tritt so auf, wie es das Bild der römischen Göttin Justitia
       mit der Waagschale in der Hand und den verbundenen Augen will: ohne Ansehen
       ihres Gegenübers.
       
       Dies handelt ihr gern einen zweiten Vorwurf ein: Es sei der ungehemmte
       „Protagonismus“ vor allem der Staatsanwälte, der immer wieder auch
       Verfahren gegen die Mächtigen produziere. Der Subtext ist nicht schwer zu
       entschlüsseln – karriere- und mediengeile Ermittler seien da am Werk.
       
       ## Und jetzt zur Eitelkeit
       
       Es stimmt durchaus, dass Staatsanwälte in Italien weit stärker öffentliche
       Figuren sind als etwa in Deutschland; viele geben Interviews, sie nehmen an
       TV-Debatten, ja selbst an politischen Veranstaltungen teil.
       
       Doch gerade ein Gutteil derer, die im Zentrum der brisantesten Verfahren
       stehen, entziehen sich diesem Spiel: Die Untersuchungsrichterin etwa, die
       die Beschlagnahmung des ILVA-Stahlwerks verfügte, lässt nur ihre Beschlüsse
       sprechen.
       
       ## Justiz ist unabhängig
       
       Und es stimmt durchaus auch, dass Ermittlungen gegen hochrangige
       Persönlichkeiten in Italien der Karriere in der Regel zumindest nicht
       schaden. Dies nämlich ist der wohl entscheidende Punkt: Italiens Justiz ist
       so unabhängig wie keine andere in den westeuropäischen Demokratien.
       
       Zwar hat das Land ein Justizministerium – doch der Minister hat recht wenig
       zu sagen. Beförderungen, Versetzungen, Disziplinarmaßnahmen: Alle diese
       Fragen regelt die Justiz in vollkommen autonomer Selbstverwaltung, über den
       „Obersten Rat der Magistratur“.
       
       Es ist diese strukturelle, in der Verfassung festgeschriebene
       Voraussetzung, die erst den Staatsanwälten und Richtern jene Freiheit
       verschafft, ohne politische Opportunitätserwägungen, ohne Ansehen der
       Person oder der Institution ihre Ermittlungen voranzutreiben, ihre Prozesse
       zu führen, ihre Urteile zu fällen – und damit oft die Politik und die
       öffentliche Meinung erst wachzurütteln – wie zuletzt im Fall des
       ILVA-Werkes in Tarent.
       
       9 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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