# taz.de -- Renate Künast zur Grünen-Urwahl: „Rot-Grün oder Schwarz-Rot“
       
       > Ihre Partei wird sich weder an einer Ampel noch an Schwarz-Grün
       > beteiligen, sagt Renate Künast. Und Autos möchte sie auch nicht
       > reparieren.
       
 (IMG) Bild: Schon die Urwahl ist kein Blümchen pflücken, die Bundestagswahl wird es erst recht nicht.
       
       taz: Frau Künast, Sie reisen gerade mit 14 anderen Grünen-Spitzenkandidaten
       in spe durch die Republik, um bei der Basis für sich zu werben. Fragen Sie
       sich manchmal, was mache ich hier eigentlich? 
       
       Renate Künast: Nö. Auch wenn es anstrengend ist, zwei Stunden unter
       Beobachtung auf einem Barhocker zu sitzen: Es überwiegt die Freude an der
       Sache.
       
       Worauf genau freuen Sie sich dabei? 
       
       Die Foren sind spannend. Die Mitglieder finden es klasse, dass sie mit
       bestimmen können. Unsere Entscheidung für die Urwahl hat auch mit Mut zu
       tun. Die Piraten reden darüber, wir machen es.
       
       Und kein Mitglied fühlt sich veräppelt? 
       
       Warum? Mitbestimmen ist ein hohes Gut bei uns Grünen.
       
       Weil wir im 21. Jahrhundert ernsthafte Probleme haben und Politiker
       brauchen, die ihren Job können. Und keine Partizipationsillusion. 
       
       Mitglieder, die Ihre Sicht teilen, können sich ja für zwei Profis
       entscheiden. Andere bevorzugen vielleicht Basisvertreter. Entscheidend ist,
       dass wir in einer wichtigen Frage ein breites Angebot an unsere Mitglieder
       machen.
       
       Wir würden unser Auto auch nicht von Ihnen reparieren lassen. 
       
       Ich würde Ihr Auto auch nicht reparieren wollen.
       
       Eben. 
       
       Unsere Regeln gelten für alle Mitglieder. Jede und jeder darf mitmachen.
       
       Neben den Prominenten stehen elf völlig Unbekannte zur Wahl. Alle sind
       Männer. Führt Testosteron zu Selbstüberschätzung? 
       
       Ich besuche gerade viele DAX-Konzerne wegen der Frauenquote. Oft höre ich,
       dass Frauen in ihrem Bewerbungsgespräch für eine bessere Stelle sagen, ich
       muss mir diese oder jene Fähigkeit noch aneignen. Während die Männer sagen:
       Das kann ich. Männer ticken da sportlicher.
       
       Die letzten Wahlkämpfe wurden mit einem Spitzenkandidaten gewonnen – Robert
       Habeck in Schleswig-Holstein, Sylvia Löhrmann in NRW. Warum lernen die
       Grünen nicht daraus? 
       
       Manchmal bietet sich aus Sicht aller eine Person an, manchmal nicht. Die
       Konstellation im Bund ist eine andere als in den Ländern. Und sollen wir
       bei der wichtigsten Wahl ohne eine Frau in der ersten Reihe antreten?
       
       Warum nicht? 
       
       Weil wir es mit der Gleichberechtigung ernst meinen. Und ganz nebenbei: Uns
       wählen mehr Frauen als Männer. In NRW zum Beispiel 13 Prozent der Frauen
       und 11 Prozent der Männer.
       
       Worum geht es bei der Urwahl, wenn nicht um Machtfragen? 
       
       Es geht darum in welcher Konstellation die grünen Mitglieder sich
       vorstellen können, sichtbar, glaubwürdig und erfolgreich zu sein.
       
       Was sind Ihre Qualitäten? 
       
       Ich bin geradeheraus. Mich kann man in Stürme stellen, und ich bleibe
       stehen. Ich habe den Atem für langwierige, anstrengende Prozesse.
       
       Künast, die Steherin. 
       
       Der Wahlkampf wird nicht lustig. Union und FDP haben Angst vor dem
       Machtverlust. Sie sehen doch, wie Schwarz-Gelb die Nebeneinkünfte
       instrumentalisiert, um Steinbrück zu beschädigen.
       
       Für welche Inhalte stehen Sie? 
       
       Zwei Schwerpunkte: Das Land muss gerechter werden, jeder soll teilhaben
       können, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir anders wirtschaften und
       damit unsere Lebensgrundlagen erhalten.
       
       Ah. Und das unterscheidet Sie von den anderen Kandidaten? 
       
       Ich werbe etwa seit Jahren dafür, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Und
       ich traue mich, auch unbequeme Forderungen zu stellen. Ich provoziere auch
       mal, um ein Thema zu setzen. Nehmen Sie die ökologische Agrarwende. Mit ihr
       haben wir gegen massiven Lobbywiderstand einer grünen Idee zum Durchbruch
       verholfen. Das ist mein Gesellenstück.
       
       Claudia Roth bedient das grüne Gewissen, das Dagegensein. Katrin
       Göring-Eckardt bezeichnet die Grünen als Dafürpartei. Sind Sie dagegen oder
       dafür? 
       
       Putzige Frage.
       
       Ja? 
       
       Die Grünen sind gegen das Falsche, wie Atomkraft, immer gepaart mit einer
       starken Vision für etwas, wie 100 Prozent erneuerbaren Strom 2030.
       Dagegenpartei ist doch nur ein Kampfbegriff der anderen gegen uns. Ich
       leite meine Kerninhalte aus klaren Wertvorstellungen ab, wie die
       vollständige Gleichberechtigung von Frauen. Und ich verstehe die Grünen als
       Partei der linken Mitte. Dieses Angebot geht weit über 10 Prozent hinaus.
       
       Sind die Grünen in Baden-Württemberg für Ihre Partei das, was die CSU für
       die CDU ist? Ein etwas anderer Landesverband, aber viel wichtiger? 
       
       Die Wahl in Baden-Württemberg war kein singuläres Ereignis. Die Grünen
       wachsen ja überall. Aber neben den Faktoren Kretschmann, Stuttgart 21 und
       Fukushima haben sich die Grünen dort bemüht, der gesellschaftlichen Mitte
       zu zeigen, dass sie für ihre Interessen Politik machen. Sie haben die
       Alltagsfragen der Menschen ernst genommen und auch dem Mittelstand Angebote
       gemacht.
       
       Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat im Wahlkampf die Machtfrage
       nicht gestellt, Sie haben das in Berlin gemacht. War das ein Fehler? 
       
       Nein. Berlin lief anders als Baden-Württemberg. Kretschmann kämpfte gegen
       eine CDU, die das Land im Zangengriff hatte. Wir konnten nicht sagen, wir
       wollen die Stärksten werden, und gleichzeitig so tun, als würden wir nicht
       die Frage der Hegemonie im linken Lager stellen.
       
       Was war Ihr größter Fehler als Spitzenkandidatin? 
       
       Der größte Fehler war, nicht einfach zu sagen: Ich bin, wie ich bin.
       Geradeheraus, ehrlich, engagiert.
       
       Das war der größte Fehler? 
       
       Ja, ich bin auf Plakaten und in der öffentlichen Darstellung zu sehr auf
       die herkömmliche Erwartung an die Bürgermeisterrolle eingegangen. Statt zu
       sagen: Ich werde das Amt ausfüllen, wie ich es eben ausfülle.
       
       Wo war der Widerspruch zwischen Ihnen und Ihrer Darstellung? 
       
       Wenn ich auf sämtlichen Plakaten einen dunkelblauen Hosenanzug trage, kommt
       nicht unbedingt heraus, dass ich Dinge anpacke. Auch wenn ich diese
       Hosenanzüge besitze. Dabei ging Authentizität verloren.
       
       Hosenanzüge? Mit analytischer Selbstkritik haben Sie es offenbar nicht so. 
       
       Ich habe mich bei unserem Landesausschuss in einer längeren Rede mit einer
       Reihe von Ursachen für das Wahlergebnis, auch mit unseren und meinen
       Fehlern und Schwächen, auseinandergesetzt. Ebenso bei diversen internen
       Treffen. Das sind die richtigen Orte dafür. Mir geht es darum, künftig ein
       paar Dinge besser zu machen. Mehrstündige, öffentliche Vorträge zur
       Fehleranalyse helfen da wenig.
       
       Auf Ihr Versprechen, die Dinge anzupacken, haben die Berliner zwei mögliche
       Antworten gegeben: Wir wollen nicht, dass die Grünen es anpacken. Oder: Wir
       wollen nicht, dass Künast es anpackt. Wie sehen Sie das? 
       
       Die Frage, ob diese Stadt Veränderung will oder nicht, ist ja noch nicht
       beantwortet.
       
       Aber dass sie sie zumindest nicht von Renate Künast will, das ist
       beantwortet. 
       
       Es kann genauso gut sein, dass die Wahl keine Entscheidung über meine
       Person war, sondern das Gefühl ausdrückte: So, wie es jetzt ist, ist es in
       Ordnung.
       
       Nachdem Ihr Machtanspruch und die Neupositionierung der Grünen abgelehnt
       wurde, sind Sie jetzt wieder Mehrheitsbeschafferin der SPD. 
       
       Nein. Die Situation hat sich verändert, ebenso das Verhältnis von Grünen
       und SPD. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen über den Umgang eines
       Kanzlers Steinbrück mit den Grünen. Auch wenn ich 1,64 Meter groß bin und
       er 1,80 Meter, sind wir auf Augenhöhe. Weil wir anders im Geschäft sind als
       vor zehn Jahren.
       
       Was heißt das? 
       
       Damals gingen Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit einem Rotwein in ein
       Zimmer, kamen irgendwann raus und erzählten uns, wie toll der Wein war und
       was sie beschlossen hatten.
       
       Das würden Steinbrück und Trittin nicht tun? 
       
       Beide Parteien würden sich solche Verfahren nicht bieten lassen. Auch das
       Kräfteverhältnis untereinander hat sich geändert. Kretschmann sitzt jetzt
       die ganze Legislaturperiode lang als Ministerpräsident im Bundesrat. Das
       ist ein politischer Dauertatbestand, der Dinge ändert.
       
       Können Sie sich eigentlich Claudia Roth neben Steinbrück am Kabinettstisch
       vorstellen? 
       
       Soll ich jetzt das Spiel spielen: Wer sitzt mit wem am Kabinettstisch?
       
       Es geht um die zwischenmenschliche Psychologie. 
       
       Grün und Rot, das würde funktionieren. Schon allein, weil die SPD sich auch
       verändert hat und sich eine Basta-Politik intern nicht mehr bieten lässt.
       
       Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, ist Steinbrück auf die FDP angewiesen.
       Schließen Sie die Ampel aus? 
       
       Es geht darum, für das zu kämpfen, was man wirklich will: Rot-Grün.
       
       Sie schließen die Ampel aus? 
       
       Die Grünen werden sich im Bund 2013 weder an einer Ampel noch an
       Schwarz-Grün beteiligen. Rot-Grün oder Schwarz-Rot: Nur die beiden
       Möglichkeiten gibt es. Wir wollen die neoliberale Politik von Merkels
       Regierung beenden.
       
       Für Sie persönlich kann doch nur noch Regieren interessant sein? 
       
       Machen Sie sich mal keine Gedanken über mich persönlich.
       
       Berufskrankheit. 
       
       Aha. Regieren ist immer noch schöner als Opposition. Aber so weit sind wir
       noch nicht. Ich will jetzt erst einmal meinen Teil beim Kampf für eine
       rot-grüne Mehrheit beitragen.
       
       Wann haben Sie sich entschieden, noch mal für die Spitzenkandidatur
       anzutreten? 
       
       Wissen Sie was? Ich habe mich in dem Augenblick entschieden, in dem ich
       auch entschied, den Zeitpunkt eines Tages in meine Autobiografie zu
       schreiben. Das ist aber keine Zusage, dass ich sie wirklich schreibe.
       
       Sie wollen es nicht sagen? 
       
       Nein.
       
       Einige Ihrer Parteifreunde haben Sie intern heftigst gemobbt. Was da
       ablief, hätte andere fertiggemacht. 
       
       Richtig ist: Ich habe mit mir gerungen, und auch innerhalb der Partei gab
       es einiges aufzuarbeiten. Zwar 4,5 Prozent gewonnen, aber letztlich
       verloren. Die Aufarbeitung nach so einer Wahl braucht immer Zeit. Die erste
       Phase ist emotional. Da muss man für sich selber durch, und man ist es
       seiner Partei auch schuldig, das auszuhalten. Damit man in die nächste
       Phase kommt, in der es wieder konstruktiv wird. Erst dann kam für mich die
       Überlegung dran, wieder zu kandidieren.
       
       Haben Sie das Stellen der Machtfrage in Berlin denn nun als positiv
       verbucht oder nicht? 
       
       Sagen wir es so: Man kommt im Leben nicht drum herum, auch mal richtig
       anstrengende Dinge zu tun.
       
       Ein Feigling sind Sie jedenfalls nicht. 
       
       Das wäre ja noch schöner.
       
       11 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
 (DIR) Peter Unfried
       
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 (DIR) Katrin Göring-Eckardt
       
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