# taz.de -- Armut in Deutschland: Schlafsäcke zum Überleben
       
       > Fast 13 Millionen Menschen in Deutschland sind „armutsgefährdet“. Die
       > Bahnhofsmissionen merken das. Es kommen immer mehr Obdachlose.
       
 (IMG) Bild: „Die Menschen rutschen ab, das geht immer schneller“: Missionsleiter Puhl.
       
       BERLIN taz | In der Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten
       stapeln sich Schlafsäcke, daneben lagern Jacken und Pullover. „Wir geben 20
       bis 30 Schlafsäcke pro Abend raus. Ohne die wird das Leben für viele auf
       der Straße zur Überlebensfrage“, sagt Dieter Puhl, Leiter der Mission.
       Schon jetzt werden die Nächte empfindlich kalt. Doch die 500 Berliner
       Notschlafplätze öffnen erst Anfang November. „Und es gibt 2.000 bis 4.000
       Obdachlose in Berlin“, sagt Puhl.
       
       Bundesweit hatten 2010 rund 250.000 Menschen kein Dach über dem Kopf,
       schätzt die Bundesarbeitgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Eine amtliche
       Statistik gibt es nicht. Die Bahnhofsmission ist eine Anlaufstellen für
       Obdachlose. Puhl beobachtet: „Es kommen immer mehr. Vor allem Menschen, die
       früher in gesicherten Verhältnissen lebten. Die rutschen ab, das geht immer
       schneller.“
       
       Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Mittwoch veröffentlichte, geben
       Puhl recht. Demnach sind mittlerweile 15,8 Prozent der Bevölkerung, rund
       12,8 Millionen Menschen, in Deutschland „armutsgefährdet“, sagen die
       Experten. Faktisch sind sie arm. Sie haben, inklusive staatlicher
       Transferleistungen, weniger als 952 Euro im Monat. Die Schwelle zur
       Armutsgefährdung definieren Statistiker bei 60 Prozent des mittleren
       nationalen Einkommens.
       
       Die Quote der Armutsgefährdeten ist gegenüber 2009 nur um 0,2 Prozentpunkte
       gestiegen. Aber blickt man weiter zurück, wird klar: Es geht für immer mehr
       Menschen abwärts. 2005, zu Beginn der Datenerhebung, lag die Quote bei 12,2
       Prozent. Auch deshalb hat die Nationale Armutskonferenz (NAK), ein
       Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Gewerkschaften, am
       Mittwoch vor die Bahnhofsmission geladen. Michaela Hofmann, Vizesprecherin
       der NAK, verteilt eine Sonderausgabe des Berliner Obdachlosenmagazins
       Straßenfeger“. 
       
       „Es ist ein Schattenbericht“, sagt Hofmann – die Ergänzung zum 4. Armuts-
       und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dessen Entwurf vor einem Monat
       bekannt wurde. Auf 20 Seiten berichten in diesem Schattenreport working
       poor, deren Lohn nicht zum Leben reicht – Alleinerziehende, Rentner und
       Obdachlose –, was Armut bedeutet. „Die Perspektive der Betroffenen kommt
       immer zu kurz. Das hier lesen mehr Leute als die Expertenstatements zum
       Bericht der Bundesregierung“, sagt Hofmann.
       
       ## Vermögende höher besteuern
       
       In den nächsten Tagen werden mehrere hundert Obdachlose 20.000 Exemplare
       des Schattenberichts auf Berlins Straßen verkaufen. Für 1,50 Euro pro
       Stück, ihnen selbst bleiben davon 90 Cent. Bundesweit ist der Bericht
       [1][online abrufbar].
       
       Die NAK erhebt auch Forderungen – nach einem Mindestlohn von mindestens
       8,50 Euro, nach Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes und nach Übernahme der
       steigenden Stromkosten. „Und wir brauchen eine höhere Besteuerung der
       Vermögenden“, sagt Hofmann. Die konzentrieren immer mehr Reichtum in ihren
       Händen. So besitzen 10 Prozent der Bevölkerung bereits über die Hälfte des
       gesamten Privatvermögens, sagt die Bundesregierung. „Die Reichen können
       nicht immer weiter auf Kosten der Armen leben“, sagt Hofmann.
       
       Missionschef Puhl kämpft unterdessen darum, dass der Hygienecontainer
       wieder aufgestellt wird, in dem sich Obdachlose bis November 2011 waschen
       und zur Toilette gehen konnten. Die 11.000 Euro im Jahr wollte der Berliner
       Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf dafür nicht mehr aufbringen. „Denken Sie
       an Frauen, die auf der Straße leben. Sie haben ihre Menstruation und können
       sich nicht waschen. Das ist unmenschlich“, sagt Puhl.
       
       17 Oct 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://nationalearmutskonferenz.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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