# taz.de -- Kälteschutz für Obdachlose: Rappelvolle Notschlafstellen
       
       > Wo finden Obdachlose Schutz, wenn die Kälte kommt? In Rostock ist bereits
       > ein Mann erfroren. Sozialverbände fordern eine bundesweite Strategie.
       
 (IMG) Bild: Wenn es richtig kalt wird, ist „Platte machen“ eine gefährliche Option
       
       FRANKFURT/MAIN taz | Peter ist seit über zehn Jahren wohnungslos. Manchmal
       kommt der 59-Jährige bei Freunden unter oder in Notunterkünften,
       zwischendurch macht er „Platte“, er schläft auf Parkbänken oder in
       Hofeinfahrten. Seit einem Monat wohnt Peter nun in der Weser5 im
       Frankfurter Bahnhofsviertel. Die Unterkunft für Wohnungslose, betrieben vom
       Diakonischen Werk, bietet vierzig stationäre und acht Notschlafplätze an.
       „Doch schon im letzten Winter gab es in Frankfurt Probleme, alle Leute
       unterzubringen“, sagt die Leiterin der Weser5, Renate Lutz.
       
       In Deutschland gibt es 248.000 Wohnungslose, also Menschen, die über keinen
       mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügen. 22.000 von ihnen leben auf
       der Straße. Diese Angaben beruhen auf Schätzungen der
       Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) von 2011; eine von
       Sozialverbänden seit Langem geforderte amtliche Statistik gibt es nicht.
       Nachdem die Zahlen seit Mitte der neunziger Jahre gesunken waren, steigen
       sie seit 2008 wieder an. „Die Zahl der Wohnungslosen wird sich weiter
       erhöhen“, prognostiziert Thomas Specht, BAGW-Geschäftsführer.
       
       Sichtbar ist die Not besonders in Großstädten. In Berlin zum Beispiel seien
       die Heime für Wohnungslose bereits jetzt, zu Beginn der kalten Jahreszeit,
       „rappelvoll“, sagt Ekkehard Hayner von der Wohnungslosenhilfe GeBeWo. Auch
       Renate Lutz beobachtet in Frankfurt am Main immer mehr Wohnungslose.
       
       ## Noch erheblicher Nachholbedarf
       
       Peter ist froh, er hat noch einen der begehrten Plätze in der Weser5
       bekommen. Er wünscht sich eine eigene Wohnung und einen Job. „Früher“,
       erzählt er, „habe ich viel Geld verdient, ein Haus gebaut und Familie
       gehabt. Doch dann ist alles kaputtgegangen.“ Seine Ehe ging zu Bruch und er
       machte Schulden, dann waren auch die Wohnung und der Job weg. Peter landete
       auf der Straße. „Im Vergleich zu anderen Einrichtungen ist das hier echt
       gut“, sagt er über die Weser5.
       
       Dass es bei der Qualität von Obdachlosenheimen noch erheblichen
       Nachholbedarf gibt, weiß Thomas Specht von der BAGW: „Obwohl sich schon
       einiges getan hat, sind manche Unterkünfte immer noch menschenunwürdig.“
       Aber in der Notversorgung seien „die Kommunen insgesamt recht gut
       aufgestellt“. Die BAGW beanstandet, dass die Hauptursachen von
       Wohnungslosigkeit nicht bekämpft werden: „Das sind die zunehmende Armut
       sowie der immer knapper werdende bezahlbare Wohnraum“, sagt Specht.
       
       Im Juli dieses Jahres fasste die BAGW ihre Forderungen in einem
       Positionspapier zusammen, das anschließend dem Bundesministerium für
       Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) präsentiert wurde. Darin fordert
       die BAGW eine „nationale Strategie“ zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit,
       die etwa Förderprogramme zur Wohnbaupolitik sowie mehr Schutz der Mieter
       vor einer Zwangsräumung umfasst. „Doch der zuständige Staatssekretär Jan
       Mücke hat alle Forderungen vom Tisch gefegt“, berichtet Specht.
       
       Auf Nachfrage der taz sagte Ministeriumssprecherin Britta Rohde, das BMVBS
       begrüße „Initiativen auf diesem Gebiet“; allerdings seien die Länder für
       soziale Wohnraumförderung zuständig, und außerdem sei die Zahl der
       Wohnungslosen „in den letzten zwanzig Jahren deutlich zurückgegangen“.
       
       Schon gibt es das erste Todesopfer. In der vergangenen Woche ist in Rostock
       ein 54 Jahre alter Mann erfroren. Die BAGW befürchtet, dass es im
       beginnenden Winter weitere Kältetote geben wird. „Es darf erst gar nicht so
       weit kommen, dass Menschen wohnungslos werden“, sagt Renate Lutz.
       
       5 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timo Reuter
 (DIR) Timo Reuter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Obdachlosigkeit
 (DIR) Kälte
 (DIR) Schwerpunkt Armut
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Obdachlose in Hamburg: Von SPD und Bahn verjagt
       
       Die SPD vertreibt mit Hilfe der Bahn Wohnungslose aus der Hamburger
       Innenstadt. Doch in den Unterkünften fehlen noch Eintausend Schlafplätze
       für Obdachlose.
       
 (DIR) Zu wenig Schlafplätze in Hamburg: Für Obdachlose wird es eng
       
       In Hamburg soll niemand erfrieren, sagt der Sozialsenator und stellt 252
       Schlafplätze bereit. Der tatsächliche Bedarf dürfte erheblich höher liegen,
       sagen Experten.
       
 (DIR) Armut in Deutschland: Schlafsäcke zum Überleben
       
       Fast 13 Millionen Menschen in Deutschland sind „armutsgefährdet“. Die
       Bahnhofsmissionen merken das. Es kommen immer mehr Obdachlose.
       
 (DIR) Kommentar Wohnungsmarkt: Zum Scheitern verurteilt
       
       Das Problem ist, dass Wohnen nicht als Grundrecht begriffen wird, sondern
       als beliebiges Produkt in der freien Marktwirtschaft. So kann das nicht
       funktionieren.
       
 (DIR) Prag mit Obdachlosen entdecken: Sehenswürdigkeiten eines Sammlers
       
       In Prag bieten Obdachlose Stadtführungen an. Statt klassischer Prachtbauten
       zeigen sie Besuchern ihre eigene Wirklichkeit der Stadt.