# taz.de -- Gewalt I: "Sie müssen es selbst wollen"
       
       > Wozu sind Antigewaltmaßnahmen gut, wenn sie neue Taten nicht verhindern?
       > Antigewalttrainer Ulf Kahle-Siegel sagt: Ohne Freiwilligkeit gibt es
       > keine Erfolge.
       
 (IMG) Bild: Antigewalttraining kann Gewalt verhindern: Kerzen Blumen am Alexanderplatz, wo vor zwei Wochen Jonny K. tot geprügelt wurde.
       
       taz: Herr Kahle-Siegel, der Tatverdächtige vom Alexanderplatz, Onur U., hat
       ein Antigewalttraining gemacht und beteiligte sich kurz darauf an der
       Attacke gegen den 20-jährigen Jonny K. Offenbar bringt so ein Training
       herzlich wenig. 
       
       Ulf Kahle-Siegel: Das kann man nicht pauschal sagen. Ich frage mich, was
       durch Antigewalttraining bisher verhindert werden konnte. Durch das
       Training beginnt man, sein Verhalten zu ändern – aber das ist ein langer
       Prozess, den man das ganze Leben lang verfolgen muss.
       
       Wie kann man jemanden umerziehen, der durch Gewalt Anerkennung erfährt? 
       
       Man muss aus den TeilnehmerInnen die Beweggründe für ihr Handeln
       herauskitzeln. Wir reden offen über die Vorteile, die sie haben, wenn sie
       Gewalt anwenden. Sie erfahren dadurch Macht, sie spüren ihren Körper. Dann
       überlegen wir, wie sie diese Gefühle erfahren können, ohne andere zu
       schädigen. Und wir regen dazu an, Empathie für das Opfer zu empfinden. Wenn
       sie zuschlagen, nehmen sie das Opfer nicht mehr als Menschen wahr, nur noch
       als Sache.
       
       Ein Gewaltakt dauert oft nur Sekunden. Wie lässt sich verhindern, dass die
       TeilnehmerInnen spontan in alte Verhaltensmuster zurückfallen? 
       
       Wir helfen ihnen, eine Stoppkarte zu entwickeln. Wenn sie in Fahrt kommen,
       brauchen sie ein Bild vor Augen, das sie von der Tat abhält: Die Mutter,
       die weint. Oder die Polizei, die vor der Tür steht. Die Jugendlichen müssen
       aus dem Film raus und sich selbst die Frage stellen: Will ich wirklich
       zuschlagen oder geh ich lieber einen anderen Weg? Dazu spielen wir
       Situationen nach.
       
       Sie provozieren sie? 
       
       Wir wollen niemanden demütigen und dann wieder aufbauen. Aber wir spielen
       Alltagsszenen nach. Etwa die U-Bahn-Szene: Ein Teilnehmer sitzt neben
       seiner Freundin, sie wird von anderen Jugendlichen angeguckt. Dann fragen
       wir: Warum denkst du, du musst jetzt den Macho spielen?
       
       Sie setzen auf Vernunft. 
       
       Ich glaube an die Stärken der Jugendlichen. Die kitzeln wir aus ihnen
       heraus, indem wir über schwierige Situationen in ihrem Leben diskutieren
       und überlegen, wie sie da früher rausgekommen sind. Dadurch zeigen wir
       jedem Teilnehmer: Du bist stark, du kannst dich verändern.
       
       Und wenn der Kurs vorbei ist? 
       
       Die Menschen im Umfeld müssen einbezogen werden und Verantwortung
       übernehmen, dass der Jugendliche den Weg weitergeht. Das ist eine wichtige
       Bedingung für den Erfolg des Trainings.
       
       Gibt es noch weitere? 
       
       Die Jugendlichen müssen ihr Verhalten selbst ändern wollen, deshalb bieten
       wir das Training auf freiwilliger Basis an. Ich konnte auch erst mit dem
       Rauchen aufhören, als ich selbst überzeugt war. Wenn Antigewalttraining vom
       Jugendrichter vorgeschrieben wird, ist es nicht so leicht, das Verhalten
       des Jugendlichen zu ändern. Aber nichts ist schlimmer, als die Hände in den
       Schoß zu legen und die Jugendlichen wegzusperren.
       
       29 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Maria Amberger
 (DIR) Julia Amberger
       
       ## TAGS
       
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