# taz.de -- Repression in Russland: Putins Stern sinkt
       
       > Laut einer Studie wächst in Russland die Unzufriedenheit mit der Politik
       > von Präsident Putin. Proteste wie im Dezember 2011 scheinen möglich.
       
 (IMG) Bild: Der russische Oppositionsführer Sergei Udalzow.
       
       MOSKAU taz | Als Topmanager der Nanotechnologie ist Anatoli Tschubais für
       die Nutzbarmachung kleinster Teilchen und deren Effizienzsteigerung
       zuständig. Vor Jahren wurde er beauftragt, der Forschung und schwächelnden
       Wirtschaft durch den Aufbau eines neuen Industriezweiges Auftrieb zu
       verleihen. Tschubais ist jedoch nicht nur ein erfahrener Manager,
       gleichzeitig erfüllt er auch die Rolle des Sündenbocks und Buhmanns im
       postsowjetischen Russland.
       
       Denn in den 90er Jahren drückte er die Privatisierungen der
       Staatswirtschaft durch und galt als Vorzeigeliberaler. Als Manager blieb er
       nach dem Ende des demokratischen Projektes jedoch nicht nur dem neuen
       Kremlchef treu, Wladimir Putin buhlte gar um sein Mitwirken.
       
       Tschubais ist ein Politiker mit einem Nano-Sensorium fürs politische
       Überleben. Wenn er den Kreml öffentlich mahnt, die Anliegen der Opposition
       ernst zu nehmen, dürfte den Machthabern ein Schauer über den Rücken laufen.
       Sie sollten sich angesichts des abnehmenden öffentlichen Protestes keinen
       Illusionen hingeben, erklärte er im Magazin Itogi. Er sei überzeugt, dass
       auf ein paar schlechter besuchte Demonstrationen Proteste folgten, an denen
       mindestens eine halbe Million Menschen teilnehmen würden.
       
       ## Protest verboten
       
       Der Kreml tut unterdessen alles, die Opposition totzureden. Gleichzeitig
       wird jeder Protest mit Repressionen beantwortet. Letzte Woche wurde der
       linke Kreml-Gegner und Chef der Linken Front, Sergei Udalzow, wegen
       vermeintlicher Planung von Massenaufständen angeklagt. Dem Aktivisten, der
       am Dienstag vor dem Untersuchungskomitee erscheinen musste, drohen bis zu
       zehn Jahre Lagerhaft. Auch Udalzows Mitstreiter, Leonid Raswosschajew,
       wurde angeklagt.
       
       Er behauptet unterdessen, am Sonntag vor einer Woche von Mitarbeitern des
       russischen Geheimdienstes in Kiew entführt worden zu sein, wo er
       politisches Asyl beantragen wollte. Gegenüber Menschenrechtlern in Moskau
       sagte er, er sei zwei Tage gefesselt, ohne Wasser und Verpflegung in einem
       Keller von Maskierten festgehalten worden.
       
       Udalzow und Raswosschajew gehören dem neu gewählten 45-köpfigen
       Koordinationsrat der Opposition an, der vorletzte Woche im Internet gewählt
       wurde. Dieses war der erste Schritt in Richtung einer
       Institutionalisierung, die der heterogenen Opposition eine gewisse
       Legitimität verleiht. Aktivitäten der Opposition will der Kreml nun auch
       noch mit einem Hochverratsgesetz zuleibe rücken. Wer Kontakt zu Ausländern
       unterhält, läuft Gefahr, denunziert und wegen Spionage verurteilt zu
       werden.
       
       ## Absurde Realität
       
       All das ist mit klarem Menschenverstand nicht mehr zu begreifen. Absurdität
       ist jedoch ein Teil russischer Realität, die der Kamarilla den Machterhalt
       sichern soll. Noch ist der nicht direkt gefährdet. Eine Studie des Zentrums
       für Strategische Analysen lässt jedoch aufhorchen. Das ZSA hatte 2011 die
       Unruhen im Dezember als einziges Institut vorausgesagt.
       
       Putins Stern sinkt weiter. Setzt sich der Vertrauensverlust fort, werden
       sich 2013 Vertrauen und Misstrauen die Waage halten. Eine überwiegende
       Mehrheit der Befragten hält eine Revolution für möglich und sogar für
       wünschenswert. Noch bei der letzten Untersuchung im Frühjahr wurden diese
       Varianten abgelehnt. Inzwischen hält die Mehrheit Umsturz für den einzigen
       realistischen Weg.
       
       Das beschreibt Stimmungen, nicht die Bereitschaft, gleich auf Barrikaden zu
       klettern. Denn auch die Vorbehalte gegenüber der Opposition existieren
       weiter. Dennoch konnte sie an Legitimität zulegen, was im Konfliktfall
       Massenproteste auslösen könnte. Erstaunlich: die Unzufriedenheit ist nach
       den Mittelschichten auch in anderen gesellschaftlichen Segmenten
       angekommen.
       
       30 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Russland
 (DIR) Opposition
 (DIR) Kreml
 (DIR) Menschenrechte
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) deutsch-russisch
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Russland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Enttarnung von US-Agenten: Moskau im Spionagefieber
       
       Der russische Geheimdienst macht die Identitäten amerikanischer Agenten
       öffentlich. Ob das den Beziehungen der Länder ernsthaft schadet, ist
       unklar.
       
 (DIR) Merkel bei Putin: „Russland schadet sich selbst“
       
       Merkels Russlandbeauftragter Schockenhoff ist im Kreml in Ungnade gefallen.
       Ein Gespräch über Modernisierung, Eliten und Schaum vorm Mund.
       
 (DIR) Deutsch-russische Beziehungen: Gar nicht einer Meinung
       
       In einer Resolution hat sich der Bundestag kritisch zu Putins
       Autoritarismus positioniert. Doch das angespannte deutsch-russische
       Verhältnis hat viele Ursachen.
       
 (DIR) Regierungsumbildung in Russland: Putin feuert Verteidigungsminister
       
       Tochterfirma des Ministeriums soll in Korruptionsskandal verwickelt sein.
       Nachfolger wird der frühere Minister für Katastrophenschutz Sergej Schoigu.
       
 (DIR) Kremlchef erkrankt?: Putins Kreuz mit dem Kreuz
       
       Russlands Präsident scheint gesundheitliche Probleme zu haben. Eine
       Bruchlandung bei einer PR-Aktion könnte der Grund sein. Auslandsreisen hat
       er storniert.
       
 (DIR) Repressionen in Russland: Staatsverräter lauern überall
       
       Die Duma verabschiedet ein neues Kontrollgesetz. In Zukunft können Kontakte
       zu ausländischen Organisationen mit Haftstrafen geahndet werden.
       
 (DIR) Putin-Gegner schließen sich zusammen: Die Ur-Wahl der Opposition
       
       Die russische Oppositionsbewegung hat eine gemeinsame Vertretung gewählt.
       Blogger Alexej Nawalni erhielt die meisten Stimmen, vor Schachweltmeister
       Garri Kasparow.
       
 (DIR) Berufungsprozess im Fall Pussy Riot: Flexible Moskauer Justizwillkür
       
       Das Berufungsurteil bestätigt Haftstrafen für zwei Pussy-Riot-Mitglieder,
       lässt aber eine Frau auf Bewährung frei. Sie hatte an der Protestaktion gar
       nicht teilgenommen.
       
 (DIR) Einweihung von Ostsee-Gasleitung: Zu Putins Geburtstag eine Pipeline
       
       Kaum ist die umstrittene Ostsee-Gasleitung fertig, will Hauptbetreiber
       Gazprom sie erweitern. Zwei weitere Röhren sind in Planung.