# taz.de -- Jüdisches Museum zeigt Kitaj: Jenseits von Religion und Nation
       
       > Eine umfassende Retrospektive in Berlin zeigt, wie der amerikanische
       > Maler R. B. Kitaj seine jüdische Identität entdeckte.
       
 (IMG) Bild: R.B. Kitaj, Marrano (The Secret Jew), 1976
       
       Wird man als Jude geboren? Wird man zum Juden gemacht? Oder erklärt man
       sich selbst dazu? Dieser spannenden Frage ließe sich am Leben und am Werk
       von R. B. Kitaj nachgehen, dem das Jüdische Museum Berlin derzeit eine
       opulente Retrospektive widmet.
       
       Wegen seiner leuchtenden Farben, den comicartigen Formen und der flächigen
       Malweise wird Kitaj gern als „vergessener Pop-Artist“ gelabelt. Und doch
       steckt nichts weniger als ein waghalsiges Identitätsexperiment hinter
       diesem komplexen, zugleich aber auch populären Oeuvre.
       
       Das Jüdische war dem 1932 in Cleveland, Ohio geborenen Künstler zwar in die
       Wiege gelegt. Seine Mutter Jeanne Brooks war die Tochter russisch-jüdischer
       Emigranten. Und seinen Künstlernamen hat der als Ronald Brooks Geborene von
       dem Wiener Juden Walter Kitaj, der 1938 in die USA emigrierte und Jeanne
       Brooks heiratete.
       
       Im Bewusstsein des jungen Mannes spielte das aber noch keine Rolle, als der
       17-Jährige 1949 als Matrose durchbrannte und danach in Wien, London und
       Oxford Kunst studierte. Sondern eine ganz andere Grunderfahrung: Eines
       seiner ersten Bilder hatte Kitaj 1960 „Homage to Hermann Melville“ genannt
       und wertete es fast 30 Jahre später als Bekenntnis zum „heimatlosen Leben“.
       Daraus speist sich, was er später zu einer Art Weltanschauung namens
       „Diasporismus“ verdichten sollte.
       
       ## Der Pop-Vergleich greift zu kurz
       
       Es ist Eckart Gillen zu verdanken, dass nun erstmals nach der großen
       Retrospektive der Londoner Tate 1994 das Werk des Künstlers, der im Jahr
       2007 durch Suizid aus dem Leben schied, so umfassend zu sehen ist. Der
       Berliner Kurator, bislang wiederholt als virtuoser Exeget der
       deutsch-deutschen Bilderwelten hervorgetreten, konnte Kitajs Nachlass in
       seinem Atelier in Los Angeles sichten. Und was er da nach monatelanger
       Arbeit in neun Stationen präsentiert, macht schnell klar, dass der
       Pop-Vergleich viel zu kurz greift.
       
       Von dem amerikanischen Pop-Artisten Robert Rauschenberg schaute sich Kitaj
       zu Beginn seiner „Karriere“ zwar die Collagetechnik ab. Gehörte dann aber
       mit seinem Freund David Hockney, den er während des Studiums kennenlernte,
       zusammen mit Francis Bacon und Lucian Freud zu den Wegbereitern der neuen
       Figuration der „London School“. 1976 kuratierte er selbst eine Ausstellung
       mit dem programmatischen Titel „The Human Clay“.
       
       Kitajs flächige, lasierende Malweise, meist ohne Vorzeichnung direkt auf
       die Leinwand gebracht, verweist auf den Pop. Dafür steckt dann aber wieder
       zu viel (Kunst-)Geschichte in seinen Bildern. Ein Ölbild aus dem Jahr 1960
       etwa greift den Mord an Rosa Luxemburg auf. Oft konstruiert er seine Werke
       nach Vorbildern aus der Renaissance oder aus dem Mittelalter. Und mit den
       Kommentaren, mit denen er fast alle seine Bilder versah, wollte der
       obsessive Bibliomane Bild und Schrift in einer ganz neuen Ästhetik
       aufheben.
       
       ## Teil der „London School“
       
       Kitaj gab die Collagen bald wieder auf. Aber selbst die Bildräume seiner
       expressionistischen Spätphase blieben aperspektivisch und dreidimensional.
       Und orientierten sich an den fragmentierten Verfahren, die Walter Benjamin
       als das Kennzeichen des Films beschrieben hatte. Dem deutschen
       Geschichtsphilosophen, für Kitaj der Urtyp des „Diasporisten“, setzte er
       mit dem Bild „The Autumn of Central Paris“ von 1972/73 ein Denkmal als
       „Büchersammler, Flaneur und Großstadtkreatur“.
       
       Die Geschichte des Künstlers Kitaj ist aber vor allem die Wiederentdeckung
       der jüdischen Identität. Auslösendes Moment war die Lektüre von Hannah
       Arendts Artikelfolge „Eichmann in Jerusalem“ Anfang 1963 im New Yorker. Der
       Sechstagekrieg 1967 tat sein Übriges. 1970 schlüpfte die „junge Raupe mit
       universalistischem Anspruch an die Kunst“, wie Kitaj im Rückblick schrieb,
       „als jüdischer Schmetterling“.
       
       Als Schlüsselbild wertet Gillen das Bild „Marrano (The Secret Jew)“ aus dem
       Jahr 1976. Auf dem demonstriert ein Mann in modischen Shorts und mit
       nackten Beinen Modernität und Exzentrik. So verschwörerisch, wie er jedoch
       in einen Telefonhörer flüstert, verweist das auf das Klandestine der
       verborgenen jüdischen Existenz.
       
       Der konvertierte spanische Jude des 15. Jahrhunderts, nach dem er das Bild
       benennt, wird zur Metapher für das Leben zwischen Nonkormität und
       Anpassung. Wer die drei Manifeste des „Diasporismus“ durchforstet, die
       Kitaj ab 1988 veröffentliche, wird keine klare Antwort auf die Frage
       finden, was die jüdische Kunst ausmachte, von der der Künstler träumte.
       Immer wieder beklagte Kitaj, die Juden hätten keinen Giotto oder Matisse
       hervorgebracht.
       
       ## Jüdischsein mit Widersprüchen
       
       Einen „jüdischen Stil, ähnlich dem ägyptischen Figurenstil“, vermochte aber
       auch er nicht zu kreieren. Zum Glück wurzelte Kitaj immer in der Moderne.
       Sein ideologisches Jüdischsein war nicht frei von Widersprüchen. Das
       Diasporische, das er zu dessen Kennzeichen erhob, hatte Berührungspunkte
       mit dem Klischeebild des Juden als ruhelosem Ahasver. Seine schon 1994
       gestorbene Frau Sandra verehrte Kitaj am Ende seines Lebens wie eine
       weibliche Gottheit. Und er verstieg sich in die Kabbala.
       
       Dennoch ging es ihm immer darum, das Jüdische als kulturelles Lebensgefühl
       zu (re-)konstruieren – jenseits von Religion und Nation. Und in Kitajs
       obsessiv gepflegtem Selbstbild vom Künstler als zerrissener Existenz,
       „internationalistisch und partikularistisch zugleich“ (1. Manifest),
       dürften sich auch die Kunstnomaden von heute wiedererkennen.
       
       ## R. B. Kitaj, 1932 - 2007, Obsessionen. Die Ausstellung im Jüdischen
       Museum Berlin läuft noch bis zum 27. Januar 2013.
       
       9 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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