# taz.de -- Interview Berliner Integrationssenatorin: „Die Residenzpflicht muss weg“
       
       > Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat unterstützt die Flüchtlinge,
       > die seit Wochen vor dem Brandenburger Tor protestieren – aber nicht alle
       > ihre Forderungen.
       
 (IMG) Bild: Sie wollen mehr Rechte: Lager der Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor.
       
       taz: Frau Kolat, Sie haben vor zehn Tagen zusammen mit Maria Böhmer, der
       Integrationsbeauftragten des Bundes, die Flüchtlinge getroffen, die seit
       über drei Wochen am Brandenburger Tor campieren. Was haben die Gespräche
       gebracht? 
       
       Kolat: Zum einen haben wir uns Sorgen um den Gesundheitszustand der
       Flüchtlinge gemacht. Darum war es uns wichtig, dass sie ihren Hungerstreik
       beenden. Die Flüchtlinge wiederum wollen, dass ihre politischen Forderungen
       gehört werden. Dazu dient der Termin mit Vertretern aller Fraktionen im
       Bundestag, den wir den Flüchtlingen zugesagt haben. Frau Böhmer organisiert
       bis Mitte November diesen Termin im Bundestag. Danach werden wir das auch
       in der Integrationsministerkonferenz der Länder diskutieren.
       
       Können Sie den Forderungen der Flüchtlinge denn überhaupt entgegenkommen? 
       
       Nicht alle Forderungen sind umzusetzen. Ein Bleiberecht für alle
       Asylbewerber wird es nicht geben können, einen generellen Abschiebestopp
       auch nicht. Aber eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für
       Geduldete mit einer Integrationsperspektive ist überfällig. Weitere
       pragmatische Verbesserungen sind möglich und auch nötig. Auch deshalb war
       es bewegend, die Geschichten der einzelnen Flüchtlinge kennenzulernen. Eine
       hat eine schulpflichtige Tochter, die nicht in die Schule gehen konnte,
       weil das Verfahren zu lange dauerte. Sie will die Möglichkeit haben, in die
       Schule zu gehen. Einige wollen Deutsch lernen, andere wollen studieren oder
       arbeiten. Das sind berechtigte Forderungen, die unterstütze ich
       ausdrücklich.
       
       Berlin und Brandenburg haben die Residenzpflicht für Asylbewerber schon
       lange gelockert, auch Frau Böhmer von der CDU hat sie nach dem Treffen als
       „nicht zeitgemäß“ kritisiert. Wie groß ist die Chance, dass sie bundesweit
       entfällt? 
       
       Die Residenzpflicht muss weg. Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht. An
       Berlin sieht man ja, dass es keine negativen Folgen hat. Die Angst, die
       Flüchtlinge würden dann abtauchen, ist unbegründet. Wer abtauchen will, der
       kann das ja auch schon jetzt. Leider sehen das in der Union aber noch lange
       nicht alle so wie Frau Böhmer.
       
       Wird sich Berlin im Bundesrat dafür starkmachen, das
       Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen, wie es Rheinland-Pfalz,
       Schleswig-Holstein und Brandenburg jetzt fordern? 
       
       Das ist noch nicht klar, darüber müssen wir uns erst mit unserem
       Koalitionspartner, der CDU, verständigen. Aber ich trete dafür ein, dass
       Flüchtlinge nur noch ein halbes Jahr darauf warten müssen, dass sie
       arbeiten dürfen. Was übrigens auch von Frau Böhmer befürwortet wird.
       
       Ohne Bundesinnenminister Friedrich wird das kaum gehen. Und der ist beim
       Thema Asyl bekanntlich sehr stur. 
       
       Das mag sein. Aber wir werden ja sehen, ob wir dafür am Ende nicht doch
       eine Mehrheit finden. Ich werde mithelfen, Überzeugungsarbeit zu leisten.
       
       Auch Berlin hat Probleme, die wieder ansteigende Zahl der Asylbewerber zu
       bewältigen. In diesem Jahr werden es 3.500 sein, aber schon jetzt gibt es
       nicht genug Wohnraum für sie und nicht genug Schulklassen für ihre Kinder,
       selbst die Gesundheitsbehörde kommt mit Impfungen nicht nach. Ist die
       Hauptstadt mit diesem Zustrom also schon überfordert? 
       
       Nein. Wir haben jetzt grundsätzlich das Problem, unsere Kapazitäten wieder
       rasch hochzufahren. Aber wir hatten in den neunziger Jahren schon mal
       doppelt so viele Flüchtlinge wie jetzt, und auch das haben wir gut
       bewältigt. Mein Senatskollege Mario Czaja arbeitet mit Nachdruck daran,
       auch die Bezirke in die Pflicht zu nehmen.
       
       Kein Grund zur Panik also? 
       
       Nein. Und als Arbeitssenatorin sehe ich außerdem auch das Potenzial, das
       diese Flüchtlinge mitbringen. Wir haben ja einen steigenden
       Fachkräftebedarf in vielen Branchen.
       
       Bei den Roma aus Osteuropa handelt es sich aber meist nicht um Fachkräfte,
       sondern um Armutsflüchtlinge. Und Arbeit gibt es in Berlin auch jetzt schon
       nicht genug. 
       
       Nicht nur Hochqualifizierte sind Fachkräfte. Diese Menschen kommen legal zu
       uns, dürfen aber nicht hier arbeiten. Das hat die EU so beschlossen, das
       ist Teil der EU-Erweiterung. Erst ab 2014 tritt die
       Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft. Bis dahin haben wir die Situation, dass
       die Roma zur Zielgruppe für Arbeitsausbeutung werden – und das müssen wir
       vermeiden.
       
       Die Bundesregierung hat noch Ende 2011 gegenüber der EU-Kommission erklärt,
       die Roma seien hierzulande gut integriert, deshalb brauche es keine
       nationale Strategie für sie. Sie dagegen haben in Berlin eine
       Steuerungsgruppe, um die Aufgaben aller Berliner Bezirke und Senatsstellen
       mit Blick auf die Roma zu bündeln. Warum? 
       
       Das sind Neuzuwanderer, und die Bundesregierung muss auch hier ihrer
       Verantwortung nachkommen. Nicht nur Berlin, auch andere Städte in
       Deutschland verzeichnen einen verstärkten Zustrom. Deshalb brauchen wir für
       sie neue Strategien. Daran arbeiten wir zurzeit. Aber wir sind auch nicht
       die einzige europäische Stadt, in die Roma aus Osteuropa ziehen. Wir stehen
       da vor den gleichen Herausforderungen wie andere Metropolen, ob London,
       Paris oder Wien. Die Roma sind vor allen Dingen ein europäisches Thema –
       und das seit vielen Jahrhunderten.
       
       Weil viele Roma aus Serbien und Montenegro hierzulande Asyl beantragen,
       will Innenminister Friedrich die Visumpflicht für diese Länder wieder
       einführen. Sind Sie ihm insgeheim dafür dankbar, dass er den Zustrom
       stoppen will? 
       
       Nein, das ist keine Lösung. Man hat sich ja etwas dabei gedacht, als man
       die Visumpflicht für diese Länder aufgehoben hat. Wer die EU will, wird
       auch mit Armutswanderung konfrontiert.
       
       11 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) K. Litschko
 (DIR) D. Bax
       
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