# taz.de -- Bericht des UN-Weltklimarats: Apokalypse auf Akademisch
       
       > Rechtzeitig zur Klimakonferenz schwarz auf weiß: der Nordpol im Sommer
       > eisfrei, der Golfstrom kälter, Monsunregen länger, dafür kaum noch
       > Permafrostböden.
       
 (IMG) Bild: Ob Wetterphänomen oder schon Klimawandel ist für die Betroffenen unerheblich
       
       BERLIN taz | Die kalte Dusche für jede ambitionierte Klimapolitik steht auf
       Seite 13. In staubtrockenem technischen Englisch präsentieren die klügsten
       Köpfe der Klimawissenschaften dem internationalen Nichthandeln beim
       Klimaschutz die Rechnung: Wenn die Treibhausgasemissionen mehr oder weniger
       so weitergehen wie bislang, zeigen ihre Modelle, sei es „zumindest
       wahrscheinlich, dass bis 2100 die Erwärmung zwei Grad Celsius übersteigt“.
       
       Und schlimmer noch: Selbst beim extrem ambitionierten und damit politisch
       kaum umsetzbaren Best-Case-Scenario „RCP 2.6“, das eine massive Reduktion
       von Klimagasen annimmt, stehe die Chance, den Klimawandel auf zwei Grad zu
       begrenzen, nur 50:50.
       
       Das steht nicht irgendwo, sondern im aktuellen Berichtsentwurf des
       UN-Klimarats IPCC mit dem Titel „Klimawandel 2013: Die
       naturwissenschaftliche Basis“, der der taz vorliegt. Die 2-Grad-Grenze ist
       die rote Linie im Klimaschutz. Sie ist das global anerkannte Limit, bis zu
       dem nach wissenschaftlich anerkannter Meinung der Klimawandel gerade noch
       zu beherrschen ist.
       
       Deshalb haben die Regierungen der UN-Staaten immer wieder erklärt: Diese
       Grenze darf nicht überschritten werden. Und doch haben sie kaum etwas
       unternommen, damit die Grenze tatsächlich eingehalten wird. Daran wird sich
       auch nichts Grundlegendes bei der 18. UN-Klimakonferenz ändern, die nächste
       Woche in Doha beginnt. Die Regierungsdelegationen haben die brisante neue
       Studie des IPCC im Gepäck.
       
       ## Der Mensch ist schuld
       
       In dem internen Dokument („Nicht zitieren oder verteilen“) präsentieren die
       Autoren des IPCC die wissenschaftlichen Fakten des Klimawandels ungeschönt
       auf 26 Seiten als „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“.
       
       Die Grundtendenz folgt den vier umfangreichen IPCC-Berichten, die etwa alle
       fünf Jahre erscheinen: Der Klimawandel ist real, er ist ein Problem, und
       der Mensch ist schuld. Der neueste Bericht, kurz „AR 5“ genannt, bestätigt
       und belegt diese Ergebnisse aus den letzten Jahrzehnten mit neuen Daten.
       
       Allerdings gehen die Wissenschaftler nun davon aus, dass sich die mittlere
       Lufttemperatur der Erde seit 1901 bereits um 0,8 Grad erhöht hat (bisher:
       0,7 Grad). Allein die Schmelze von Gletschern im Gebirge, in Grönland und
       der Antarktis führe jährlich zu einem Anstieg des Meeresspiegels von 1,8
       Millimetern. „Das sind 50 Prozent mehr als im 4. Bericht von 2007
       abgeschätzt“, sagt Peter Lemke, Klimawissenschaftler am
       Alfred-Wegener-Institut und IPCC-Autor.
       
       Dazu kommt noch die Ausdehnung des Meerwassers durch die Erwärmung. Weitere
       Erwärmung und Gletscherschmelzen würden voraussichtlich bis 2100 zu einem
       Meeresspiegel führen, der „um 50 bis 100 Zentimeter“ höher liege. Der Pegel
       sei „im 20. Jahrhundert etwa 10-mal so schnell gestiegen wie in den letzten
       paar tausend Jahren“, heißt es in dem Bericht.
       
       ## Kosmische Einflüsse zu schwach
       
       Auch auf anderen Gebieten liefern neue Studien beunruhigende Einblicke, wie
       der Klimawandel an Fahrt aufnimmt. So sei der Einfluss des Menschen auf die
       veränderte Energiebilanz der Erde „50 Prozent höher als noch im ’AR 4‘
       angenommen“, heißt es.
       
       Die Thesen, die Sonne treibe den Klimawandel hauptsächlich an, wie es etwa
       der RWE-Manager Fritz Vahrenholt in einem Buch behauptet, seien nach neuen
       Daten nicht zu halten, kosmische Einflüsse seien „zu schwach, um einen
       signifikanten Einfluss aufs Klima zu haben“.
       
       Anders als vor fünf Jahren trauen sich die Forscher auch eine Aussage
       darüber zu, wie der Wasserdampf in der Atmosphäre durch „positive
       Rückkopplung“ den Klimawandel verstärke. Und bis 2100 würden die Ozeane
       durch die massive Aufnahme von CO2 so weit übersauert, dass das Wasser
       stellenweise die Kalkschalen von Korallen und Krebsen auflösen werde.
       
       In einigen Punkten korrigieren die Wissenschaftler allerdings auch die
       Einschätzungen des 4. Sachstandsberichts von 2007. So seien Änderungen bei
       den globalen Niederschlägen nicht belegbar, und auch ein vorhergesagter
       Trend zu mehr Dürre in Tropenregionen müsse im Licht neuer Daten revidiert
       werden. Die allgemeine Warnung vor mehr Wirbelstürme sei nicht zeitgemäß –
       wohl aber die Prognose, dass Stürme stärker würden.
       
       ## Sicherheit und Wahrscheinlichkeit
       
       Wie auch in den anderen Berichten unterteilen die Wissenschaftler ihre
       Aussagen in verschiedenen Phasen von Wahrscheinlichkeit und Sicherheit, mit
       denen sie getroffen werden. Und sie geben zu, dass es bestimmte Themen
       gibt, über die sie sich keine Aussagen zutrauen. So sei es sehr schwer,
       exakte Voraussagen für großräumige Klimaphänomene wie die Großwetterlage
       „El Niño“ im Pazifik zu machen.
       
       Vor allem die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte malen ein
       Schreckensszenario. Wissenschaftlich trocken zählen die Forscher auf, was
       einzelnen Weltregionen blüht. Häufigere und längere Hitzewellen, Starkregen
       und eine Verstärkung der bestehenden Trends: In nassen Gegenden wird es
       nasser, trockene Regionen müssen noch mehr dursten. Das System der globalen
       Meeresströme, unter ihnen der Golfstrom, könne sich um bis zu 30 Prozent
       abschwächen, werde allerdings in naher Zukunft nicht abreißen.
       
       Der Nordpol werde bei Überschreiten des 2-Grad-Limits bis zum Ende des
       Jahrhunderts mit ziemlicher Sicherheit im Sommer eisfrei, die Monsunsaison
       werde sich verlängern, die Landfläche mit Permafrostboden könne sich um bis
       zu 80 Prozent reduzieren. Einige Modelle sehen gar voraus, dass Bäume und
       Böden, die derzeit Treibhausgase speichern, diese Funktion verlieren und im
       Gegenteil zu „Emissionsquellen“ werden könnten. Kommen solche Teufelskreise
       erst einmal in Gang, sehen die Wissenschaftler dann aus den Wäldern und
       Meeren für jedes Grad zusätzliche Temperatur etwa 300 Milliarden Tonnen
       Kohlendioxid aufsteigen – etwa das Achtfache dessen, was der Mensch jeder
       Jahr in die Atmosphäre bläst.
       
       Längfristig bis 2300 könnte nach den Prognosen ein ungebremster CO2-Ausstoß
       zu einem Temperaturanstieg bis 8,7 Grad führen und einen „substanziellen
       Einfluss der menschlichen Aktivität über viele Jahrhunderte“ bringen. Aber
       auch auf kürzere Sicht lauern laut IPCC Gefahren. Das Gremium erinnert in
       einer früheren Version des Berichts an das Pleistozän vor etwa drei
       Millionen Jahren.
       
       Damals lag die CO2-Konzentration etwa so hoch wie heute, die globalen
       Temperaturen waren ein bis zwei Grad höher, also im Bereich dessen, was die
       Zukunft wahrscheinlich bringt. „Und der globale Meeresspiegel lag im
       Pleistozän 10 bis 30 Meter über dem heutigen Pegel“, schreiben die
       Forscher. In diesen Gegenden leben derzeit etwa eine Milliarde Menschen.
       
       18 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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