# taz.de -- Piraten-Chef Schlömer: Der Bundes-Bernd
       
       > Bernd Schlömer repräsentiert eine Partei, die Themen statt Haltungen hat.
       > Aber: Wie erklärt man der Öffentlichkeit eine Politik, die es noch gar
       > nicht gibt?
       
 (IMG) Bild: Bernd Schlömer: Wer so oft seinen Kopf hinhalten muss, ist mit einem Helm gut beraten.
       
       BERLIN taz | „Ich steh‘ mitten auf der Brücke“, sagt er in sein weißes
       Smartphone. Bernd Schlömer blickt sich um: Wo ist denn das versprochene
       Kamerateam? Er ist doch nicht zu übersehen. Direkt auf der alten,
       steinernen Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg hat Schlömer seinen Roller
       geparkt. „Hm“, murmelt er, „hm, okay“ und legt auf. Planänderung. Die
       Fernsehleute möchten Bernd Schlömer doch nicht oben auf der Brücke
       interviewen, sondern unten am Ufer, direkt am Wasser.
       
       Das Licht ist schöner dort an diesem Oktobertag, der sich als Spätsommer
       verkleidet. Schlömer könnte jetzt mürrisch werden. Stattdessen packt er
       einfach das Smartphone in die Jackentasche und schiebt den Roller hundert
       Meter den steinigen Uferweg entlang. „Dann woll‘n wa mal“, sagt er und
       lächelt. Sein geschlossener Mund bildet dabei einen dünnen Schlitz.
       
       Joschka Fischer sagte einmal: „Politiker, das sind die Menschen mit den
       schmalen Lippen. Weil man so viel wegstecken muss, runterschlucken muss.“
       Bernd Schlömer ist erst seit knapp vier Jahren bei den Piraten, aber
       seither muss er eine Menge wegstecken. Vor sechs Monaten wurde der
       41-Jährige ihr Vorsitzender, mitten in ihrer tiefsten Krise.
       
       An Schlömer zeigen sich die Probleme einer Partei, die keine Partei sein
       will. Die Freude über den Einzug in vier Landesparlamente ist Ernüchterung
       gewichen: Die neuen Fraktionen beschäftigen sich vor allem mit sich selbst.
       Die Umfragewerte sind von 13 Prozent auf 4 bis 5 Prozent gefallen. Der
       Einzug in den Bundestag im kommenden Jahr ist in Gefahr.
       
       In dieser Lage bräuchte die Partei einen Steuermann. Einen, der beruhigt,
       ermutigt und koordiniert. Die Frage ist nur, ob die Piraten das auch so
       sehen. Und ob Bernd Schlömer der Richtige für den Job ist.
       
       ## Einzelfragen dieser Art
       
       Die Leute vom Digitalsender ZDFinfo platzieren Schlömer auf einem Holzpfahl
       am Ufer. Hinter ihm glitzert das Wasser des Landwehrkanals im Sonnenschein.
       „Die Beine schlage ich aber nicht übereinander“, sagt er zum Fragensteller
       neben ihm. „Sonst verlier‘ ich noch das Gleichgewicht.“
       
       Das Interview dreht sich ums Übliche: die miesen Umfragewerte und all die
       Fragen, auf die die Piraten keine Antworten haben, etwa die
       Euro-Schuldenkrise. „Ich frag‘ Sie nach Ihrer Meinung“, sagt der
       Interviewer: „Finanztransaktionssteuer – ja oder nein?“
       
       Schlömers Stimme bewahrt das Ruhige seiner emsländischen Heimat: „Ich halte
       mich zurück. Ich möchte mich nicht dadurch hervorheben, dass ich zu
       Einzelfragen dieser Art Stellung nehme.“
       
       „Nicht zu fassen.“ - „Doch“, sagt Schlömer. Dünnes Lächeln. „Warum?“ - „Das
       ist einfach so.“ - „Sie sind Parteivorsitzender!“
       
       Das Interview geht zu Ende, die Sonne steht tief hinter den Häusern.
       Schlömer setzt seinen rot-weißen Helm auf. Er muss weiter. Sein Arbeitstag
       als Parteichef hat gerade erst begonnen.
       
       Bernd Schlömer hat einen unmöglichen Job. Die Partei hat bislang nur
       Schlagworte wie „Transparenz“, „Bürgerbeteiligung“, „Gesellschaftliche
       Teilhabe“. Was das konkret heißt, ist sechs Jahre nach ihrer Gründung noch
       immer unklar. Doch ihr Chef muss so tun, als folge die Partei ihrem Motto
       „Themen statt Köpfe“.
       
       Schlömer hält seinen Kopf dafür hin, dass die Partei Themen hat, aber keine
       Haltungen. Er muss öffentlich reden, darf aber nichts sagen. Er soll das
       Mundstück von 34.000 Mitgliedern sein, die alle eine eigene Meinung haben.
       Nur ihren Funktionären gönnen sie keine. Schlömer droht ständig, das
       Gleichgewicht zu verlieren.
       
       ## Jeder darf abstimmen
       
       [1][„@BuBernd“] ist das Twitter-Pseudonym des 41-Jährigen, es passt zu ihm.
       Der „Bundes-Bernd“ ist Bundesvorsitzender einer Partei, die Hierarchien
       verachtet. Die Schwarmintelligenz soll Entscheidungen fällen, die
       Funktionäre dann bloß verbreiten. Das aber ist das Problem: Die Piraten
       entscheiden langsam bis gar nicht. Auf ihrem Bundesparteitag am kommenden
       Wochenende in Bochum wollen sie sich endlich ein Wahlprogramm geben.
       
       Wie das aussehen wird, wissen sie aber selbst noch nicht. Jedes
       Parteimitglied, das sich vor Ort anmeldet, darf abstimmen. Hunderte Anträge
       liegen vor, aber niemand weiß, wie viele Piraten welche Anträge
       unterstützen werden. Wie erklärt man der Öffentlichkeit eine Politik, die
       es noch gar nicht gibt? In dieser Lage ist der nüchterne Norddeutsche ein
       Glücksfall für die Partei.
       
       „@BuBernd“, das steht auch für den Bundesbeamten Bernd Schlömer. Tagsüber
       arbeitet er als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium, zuständig
       für die Haushalte der Bundeswehr-Unis. Schlömer ist das Gegenteil eines
       Klischee-Piraten, seriös bis zur Unscheinbarkeit: Klosterschule in Meppen,
       Wehrdienst in Ostfriesland.
       
       Ausbildung zum Diplom-Sozialwirt, später zum Diplom-Kriminologen.
       ASTA-Referent in Osnabrück, zwölf Jahre an der Helmut-Schmidt-Universität
       der Bundeswehr. Um seinen Hals hängt die Zeiterfassungskarte aus dem
       Ministerium. Er nimmt sie den ganzen Abend nicht ab, sondern steckt sie in
       seine Brusttasche.
       
       Nach dem Interview trifft Schlömer zwei „Unterstützer“ – ehrenamtliche
       Helfer im Gestrüpp der Parteitagsanträge und Presseanfragen. Ihr Büro an
       diesem Abend ist ein karges, neonhelles Café in Berlin-Mitte. Im Haus der
       provisorischen Parteizentrale, ein paar hundert Meter weiter, gibt es einen
       Wasserschaden.
       
       ## Der Feierabend ist seine Arbeitszeit
       
       Schlömer ist sein eigener Pressesprecher, das Smartphone sein Sekretariat,
       der Feierabend seine Arbeitszeit. Er fürchtet Ärger mit dem Ministerium und
       Journalisten, wenn er tagsüber Mails verschickt. Es könnte ja heißen, er
       vermische Ministeriums- und Parteijob. Für angestellte Mitarbeiter fehlt
       das Geld, viele Piraten zahlen wenig oder keine Mitgliedsbeiträge. Sie zum
       Zahlen zu drängen, wagt keiner.
       
       Bei Orangensaft plant der Trupp Schlömers Termine. Am Sonntag ist er zu
       Gast bei „Günther Jauch“. Die Sendung hat fünf Millionen Zuschauer. Weiß
       er, worauf er sich einlässt? „Ich hab‘ das schon mal geguckt“, sagt
       Schlömer, „so nach‘m ’Tatort‘.“ Er lächelt, fast trotzig. Er will sich von
       der medialen Aufregung nicht anstecken lassen. Aber er lernt gerade, sich
       darin zu behaupten.
       
       „Gibt‘s noch irgendwas, was Scheiße läuft außer der Sache im Spiegel?“,
       fragt Schlömer. Die Sache, das ist sein kalkulierter Wutausbruch gegenüber
       dem Politischen Geschäftsführer. Ein paar Tage zuvor hat er gegenüber
       Spiegel Online gesagt: „Ich würde Johannes Ponader raten, mal zu arbeiten,
       anstatt Modelle vorzustellen, die die Berufstätigkeit umgehen.“
       
       Ponader hatte angekündigt, er wolle seinen Lebensunterhalt zur Not mit
       Spenden von Anhängern aufbessern. Die Piraten – eine Partei von Schnorrern?
       Der Frontalangriff sollte dem Parteichef etwas Luft verschaffen. Er will
       nicht auch noch für Ponaders Alleingänge den Kopf hinhalten. Es wird ihm
       nicht gelingen.
       
       Vier Wochen später. Mitte November tut der Herbst, als sei er ein Winter.
       Schlömer stellt sich einer Diskussion mit Piraten im Berliner Stadtteil
       Friedrichshain. Pünktlich steht der Parteichef in der Tür zur kleinen Bar.
       
       Die „Crew“, eine Art Ortsverein, erwartet 20 Gäste. Am Ende des Abends
       werden es neun gewesen sein. Schlömer blickt auf die zusammengerückten
       Holztische. „Ich kann mich ja da hinsetzen“, sagt er und lässt sich nahe am
       Eingang nieder. „Das ist der einfachste Stuhl. Und ich kann am schnellsten
       weglaufen.“
       
       Schlömer bestellt einen Ingwer-Orange-Tee und tippt auf seinem Smartphone
       herum. „Was heißt‘n ’superfluum‘?“ Seine Tochter braucht Hilfe bei ihrer
       Lateinhausaufgabe. Schlömer hat zwei Kinder, die er wieder häufiger sehen
       will. Über sie sollen keine Details in der Zeitung stehen. Es ist das
       einzige Mal, dass Schlömer der Berichterstattung über ihn eine Grenze
       setzt.
       
       ## Wie war das mit Ponader?
       
       Die Piraten sehen aus wie Grüne: Männer und Frauen zwischen 40 und 60.
       Schwule und Heteros. Darunter ein Architekt, ein Koch und Reiseleiter, ein
       IT-Fachmann. Dazu eine ältere Frau im Wollpulli, die immer dazwischen
       redet. Wie war das mit dem Ponader?, will die Frau im Wollpulli wissen.
       „Ich habe noch nie mit Johannes Streit gehabt. Das wurde immer so
       dargestellt.“ Hat er sich wirklich gegen das bedingungslose Grundeinkommen
       ausgesprochen? „Das war missverständlich formuliert.“ Ist er für eine
       Frauenquote in der Partei?
       
       Schlömer will sich nicht festlegen. Wie kann der Sozialstaat erhalten
       bleiben? „Der Staat soll sich nicht um jeden Scheiß kümmern“, mehr
       Nachbarschaftshilfe werde nötig. Er führt Meinhard Miegel und sein Buch
       „Exit – Wohlstand ohne Wachstum“ an. Miegel steht der CDU nah.
       
       Schlömer beugt sich nach vorn, es ist spät, er ist müde. „Wir gelten immer
       als Partei des beginnenden Internetzeitalters“, sagt er. „Aber wir haben
       überhaupt keine Aussagen darüber, wie unsere zukünftige Arbeitswelt
       aussehen wird.“ Schlömer würde ja gern mithelfen bei der Rettung der Welt.
       Aber die Piraten reden lieber, anstatt zu entscheiden. „Ich bin kein
       Mensch, der behauptet, er habe Visionen. Eher setze ich Beschlüsse um.“ Es
       klingt fast flehentlich.
       
       Die Frau im Wollpulli ruft: „Also bist du eigentlich doch‘n Beamter!“ Die
       Piraten am Tisch lachen. Bernd Schlömer blickt auf sein Smartphone. Seine
       Lippen bilden einen schmalen Schlitz.
       
       21 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://twitter.com/BuBernd
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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