# taz.de -- INTERNET: Flucht aus dem Flüchtlingsalltag
       
       > Im Asylbewerberheim Marienfelde organisieren die BewohnerInnen ihr
       > eigenes Internetcafé - zum ersten Mal in Berlin. Andere Heime zeigen sich
       > gegenüber dieser Idee noch skeptisch
       
 (IMG) Bild: Für ihre Rechte können Flüchtlinge in Marienfelde jetzt auch selbst per Internet aufmerksam machen.
       
       Im Raum 216 des Flüchtlingsheims Marienfelde herrschen
       Gewächshaustemperaturen: Sieben Computer älteren Baujahrs laufen auf
       Hochtouren, davor drängeln sich fünfzehn serbische Jungen. Während sie im
       Wechsel Michael-Jackson-Videos und Fußballtabellen anklicken, überblickt
       Francis Aboya*, ein groß gewachsener Mann, von der Tür aus das Geschehen.
       Wenn ein Rechner streikt oder sich die Jungs um die Maus streiten, eilt der
       25-jährige Kameruner herbei. Willkommen in Berlins erstem Internetcafé in
       einer Flüchtlingsunterkunft, das von den Asylsuchenden selbst organisiert
       wird.
       
       „Gerade sitzen viele Kinder und Jugendliche hier, aber sonst trifft man
       eher ihre Eltern vor den Computern an“, sagt Aboya, der seit neun Monaten
       auf Asyl in Deutschland wartet. Er nennt es einen großen Erfolg, dass sie
       in Marienfelde jetzt freien und für die Nutzer kostenlosen Zugang zum Netz
       haben: „Nachrichten lesen, der Familie mailen oder sich mit anderen
       Asylbewerbern vernetzten – das alles ist Empowerment“, sagt Aboya.
       
       Man stecke als Asylbewerber in einem Vakuum, solange die
       Aufenthaltsgenehmigung aussteht. „Oft fühlst du dich ausgeliefert. Aber
       wenn du dich informieren kannst, ist das auch eine Form von Emanzipation.“
       Aboya hat einen Master in Völkerrecht und nutzt das Netz viel für
       Recherchen. Eines Tages möchte er an der Fernuniversität Hagen einen
       Abschluss in Governance machen und in die Politik gehen. Im Augenblick
       übernimmt er den Großteil der Schichten im Marienfelder Internetcafé.
       
       Das Projekt steht und fällt mit dem Einsatz der Asylsuchenden selbst, die
       über die Öffnungszeiten bestimmen und sich um die Computer kümmern. Die
       Heimleitung ist organisatorisch nicht involviert. Das sei ganz
       entscheidend, sagt Chu Eben von der Brandenburger Initiative Refugees
       Emancipation, die das Projekt in Berlin auf den Weg gebracht hat. „Der
       Internetraum soll ein Ort der Selbstverwaltung sein.“ Nicht zuletzt, so Chu
       Eben, weil die Asylsuchenden in manchen Heimen Misstrauen gegen die
       jeweilige Heimleitung hegten.
       
       Sieben solcher Internetcafés hat Refugees Emancipation bereits in
       Brandenburger Flüchtlingsunterkünften eingerichtet. Das Prinzip ist immer
       dasselbe: Das Heim stellt die Räume, der Verein besorgt die Rechner und
       unterstützt die Asylsuchenden mit Know-how. So geben etwa Studenten von der
       Technischen Universität Berlin in den Unterkünften Computerkurse auf
       ehrenamtlicher Basis.
       
       Bislang ist das Übergangswohnheim in Marienfelde die einzige Unterkunft in
       der Stadt, die mit Refugees Emancipation kooperiert. Aus Marzahn hat der
       Verein nach eigenen Angaben eine Absage bekommen, mit Lichtenberg ist man
       im Gespräch. Viele BetreiberInnen der Berliner Flüchtlingsunterkünfte
       zeigen sich bislang skeptisch, was die Einrichtung von freien Netzzugängen
       betrifft. Grundsätzlich signalisieren sie zwar ihre Bereitschaft,
       befürchten jedoch, im Rahmen der Störerhaftung rechtlich belangt zu werden,
       wenn Flüchtlinge im Netz Urheberrechtsverletzungen begehen. Das ergibt sich
       aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piraten.
       
       Uta Sternal, Heimleiterin in Marienfelde, kann diese Befürchtung nicht
       teilen. „Der Zugang zum Internet bedeutet Wissenszugang“, sagt sie, „den
       muss man fördern.“ 600 Menschen leben derzeit im Marienfelder Heim,
       überwiegend sind es serbische und tschetschenische Familien, die auf die
       Bewilligung ihres Asylantrags warten. Sternal hofft, dass das Netzprojekt
       auch den inneren Frieden im Heim befördert. „Die serbischen und
       tschetschenischen Gruppen geraten hier schon mal aneinander“, erzählt sie.
       Über das Internetcafé, das sie seit Kurzem gemeinsam verwalten, könne
       vielleicht eine Annäherung gelingen.
       
       *Name von der Redaktion geändert
       
       27 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joanna Itzek
       
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