# taz.de -- Neuer US-Indie-Film „Ruby Sparks“: Und das Wort wurde Fleisch
       
       > Ideen, die Wirklichkeit werden: Das Regiepaar Valerie Faris und Jonathan
       > Dayton befragt in „Ruby Sparks“ die Macht der Literatur.
       
 (IMG) Bild: Calvin (Paul Dano) und Ruby (Zoe Kazan) knutschend in einer Szene von „Ruby Sparks - Meine fabelhafte Freundin“.
       
       Die Wände seiner Wohnung sind weiß und leer wie das Blatt in seiner
       Schreibmaschine: Der Schriftsteller Calvin (Paul Dano) leidet an einer
       Schreibblockade genauso wie an einem unerfüllten Liebesleben. Zwar mangelt
       es ihm nicht an Ruhm: Ein Roman schlug vor Jahren ein wie eine Bombe,
       seitdem liegen ihm auch die Frauen zu Füßen – auch wenn er sie verschmäht,
       da sie nicht an ihm, sondern nur an einer fixen Idee von ihm interessiert
       seien.
       
       Eine Idee ist auch Ruby Sparks (Zoe Kazan), die er sich erst erträumt und
       dann erschreibt – eines Tages steht sie nicht vor seiner Tür, sondern ist
       bereits in seiner Wohnung, als ob dabei nichts wäre.
       
       Selbstverständlicher haben sich Buchstabenwesen selten konkret manifestiert
       – Büstenhalter und Schlüpfer liegen auf dem Boden verstreut und haben ihr
       Dasein als bloß halbseidene Literatur längst hinter sich gelassen. „Es ist
       Liebe, Magie“, jubelt der Schriftsteller gegenüber seinem zynischem Bruder
       – denn die Frau aus seinen Träumen ist tatsächlich seine Traumfrau.
       
       Und der Männertraum kennt keine Grenzen: Was er über sie auf Papier
       schreibt, wird fassbare Realität. Größere Titten fallen dem geifernden
       Bruder ein, der Literat lässt Ruby zunächst fließend Französisch sprechen.
       Calvin ist selbst der Gott nach calvinistischer Auffassung: Was für Ruby
       von oberster Hand geschrieben steht, ist Gesetz.
       
       ## Totalabsturz und Beziehungshölle
       
       Never change a running system, könnte man meinen – doch die Versuchung ist
       groß, Calvin fummelt und tweakt an Ruby, bis aus dem Traum ein Albtraum
       wird. Verlustangst und Eifersucht diktieren ein panisches „Ruby fühlt sich
       elend, wenn sie nicht bei Calvin ist“, was so geschrieben und wörtlich
       verstanden eine Klammerbeziehung ad nauseam zur Folge hat.
       
       Nachträgliche Korrekturen führen zum Totalabsturz, zur neurotischen
       Beziehungshölle, herbeigeschrieben und doch so nicht gewollt:
       Beziehungs-Reboot nach Tabula rasa, „können wir noch mal von vorne
       anfangen?“ Wie wäre eine Löschfunktion als Ausdruck zwischenmenschlicher
       Zärtlichkeit: alles vergeben, vergessen – nichts ist festgeschrieben, alles
       darf werden?
       
       Das freilich verbietet der eigentliche Clou der Story: Zoe Kazan, die hier
       mit Herzen schmelzen lassendem Lächeln aus Lettern ins Leben tritt, ist
       selbst die Drehbuchautorin dieser Geschichte und damit Herrin über
       Buchstaben, die körperliche Gestalt gewinnen. Damit erschreibt sich eine
       Frau einen Mann, der einsieht, dass eine erschriebene Figur kein Mensch
       sein kann. Calvin passt gut als Neurotiker in jene Tradition des jüngeren,
       sehr zurechtgelegten US-Indiekinos, dessen Protagonisten als Unsicherheit
       auf zwei Beinen durchs Leben und eine unübersichtliche Welt gehen.
       
       Das Märchenhafte von „Ruby Sparks“, die Behauptung der großen Rührung, auf
       die auch die musikalische Untermalung mit viel Streichereinsatz immer
       wieder insistiert, wird dem Film trotz gelegentlich schöner Szenen
       letztendlich zum Verhängnis: Als Figur bleibt Calvin so leer wie sein
       Papier und seine weißen Wände. Ein unbeschriebenes Blatt, dem die Erlösung,
       die Ruby noch erfährt, verwehrt bleibt: Er bleibt Figur eines
       zurechtgezimmerten Textes und wird nie Mensch.
       
       ## „Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin“. Regie: Jonathan Dayton,
       Valerie Faris. Mit Paul Dano, Zoe Kazan u. a. USA 2012, 104 Min.
       
       2 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Groh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Film
 (DIR) Kino
 (DIR) Film
 (DIR) Film
 (DIR) Film
 (DIR) Architektur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kinostart von „7 Psychos“: Schnelle Schüsse, viel Blut
       
       Fast alles, was in „7 Psychos“ komisch sein möchte, bleibt unbeholfen. Das
       einzige, was an diesem Film wirklich stimmt, ist der Cast.
       
 (DIR) 25. European Film Award: Europäer, geht ins Kino!
       
       Beim 25. European Film Award in Malta siegen die Liebe und das USA-Bashing.
       Alle Filme hätten die namenlose Silberstatuette verdient.
       
 (DIR) Gespräch über 3-D-Kino: Die Schnurrhaare des Tigers
       
       Die Regisseure Wim Wenders und Ang Lee diskutierten in Berlin über
       Besonderheiten des 3-D-Kinos. Es sei das Medium der Zukunft, sagten sie.
       
 (DIR) Berlinale würdigt Lebenswerk: Goldener Ehrenbär für Lanzmann
       
       Claude Lanzmann erhält den Goldenen Ehrenbären der nächsten Berlinale. Im
       Mittelpunkt seines Lebenswerks steht „Shoah“, ein bahnbrechender Film.
       
 (DIR) Essayfilm von Emigholz: Wo hört das Gebäude auf?
       
       Heinz Emigholz hat einen neuen Film für die Serie „Architektur als
       Autobiografie“ gemacht: Über die französischen Architekten Perret.