# taz.de -- Architektur-Ausstellung in München: Die Söhne der Mutter aller Künste
       
       > Von den Baumeistern des alten Ägyptens bis heute: Das Münchner
       > Architekturmuseum zeigt eine unpathetische Hommage an einen Berufsstand.
       
 (IMG) Bild: Wilhelm von Kaulbach: Die von König Ludwig I. mit der Ausführung monumentaler Bauwerke betraut gewesenen Künstler (um 1850).
       
       Souverän und majestätisch blickt die Würfelstatue des Bekenchon den
       Betrachter am Eingang der Ausstellung an. Der hohe geistliche Würdenträger
       aus der Zeit Ramses II. hatte die Bauleitung eines Tempelneubaus inne. Auf
       der auf 1320 vor Christus datierten Statue findet sich ein langer
       Hieroglyphentext, der Bekenchons Selbstverständnis beschreibt: „Fürst und
       Edler, Baumeister an allen Denkmälern“. Neben den Dichtern verkörpern die
       Baumeister den Typus des altägyptischen Kulturträgers.
       
       Der Münchner Architekturhistoriker und Gründungsdirektor des
       Architekturmuseums der Technischen Universität München, Winfried Nerdinger,
       verabschiedet sich von seinem Posten also mit einer Ausstellung, die einen
       wahrhaft enzyklopädischen Anspruch erhebt: Mit „Der Architekt – Geschichte
       und Gegenwart eines Berufsstandes“ holt der nun emeritierte Professor für
       Architekturgeschichte zum ultimativen Rundumblick aus – um nicht weniger
       als Geschichte, Entwicklung und Probleme des Architektenberufs vom alten
       Ägypten bis heute soll es gehen.
       
       Tatsächlich gilt es, eine Lücke zu füllen. Die konkrete Arbeit von
       Architekten, ihre jeweilige gesellschaftliche Position in unterschiedlichen
       Kulturen und Ländern ist bislang eigentlich nur Spezialisten bekannt, ein
       wissenschaftlich fundierter Überblick fehlt. Nun kann der Besucher durch
       die dreigeteilte Schau flanieren und sich im begleitenden zweibändigen
       Katalog mit mehr als 800 Seiten in die Einzelheiten vertiefen.
       
       Nerdinger und sein Team wagen einen Parforceritt durch die Historie und
       riskieren dabei, zu sehr an der Oberfläche zu bleiben: Wenn neben dem Alten
       Ägypten, Mesopotamien, neben griechischer und römischer Antike,
       Mittelalter, Renaissance und Barock auch noch das 19., 20. und 21.
       Jahrhundert durcheilt werden, sind jeweils nur Skizzen möglich.
       
       ## Sanft zum Innehalten verführt
       
       Allerdings wird der Betrachter durch faszinierende bibliografische,
       zeichnerische und malerische Einzelstücke immer wieder sanft zum Innehalten
       verführt: So zeigt das großformatige Barockgemälde „Die Gründung des Hôtel
       royal des Invalides 1674 durch Ludwig XIV.“ von Pierre Dulin etwa den
       Architektenplan zu Füßen des Auftraggebers, was den Bauherren als
       eigentlichen Autor des Bauwerks hervor-, den Architekten hingegen
       zurücktreten lässt.
       
       In Le Corbusiers gerahmter, mehrfarbiger, fast surrealer Collage aus dem
       Jahr 1960 reichen sich der Ingenieur und der Architekt die Hand: ein
       Hinweis auf die durch die Technisierung des Bauwesens im 20. Jahrhundert
       fortgeschrittene Ablösung bisher angestammter Berufsfelder des Architekten,
       der zum Oberflächendesigner degradiert wird.
       
       Nerdingers vom Mythos inspirierte und an eine Wand geschriebene
       Kurztypologie des Architekten verzeichnet zwar unter anderen neben dem
       „Erfinderischen“, dem „Vielseitigen“ und dem „Harmoniker“ auch den
       „Skrupellosen“, der seine Seele verkauft, „um bauen zu können, ganz gleich,
       ob es sich beim Bauherren um einen Diktator oder Verbrecher handelt“.
       
       ## Es fehlen die bösen Architekten
       
       In der Ausstellung dominieren jedoch die guten und edlen Vertreter ihrer
       Zunft, es fehlen die „bösen“ – und „schlechten“ – Architekten und ihre
       Taten, bis auf das Selbstporträt von Harald Giesler, der Nummer zwei in
       Hitlers Architektenriege nach Albert Speer, das ihn als kalten,
       unpolitischen Akteur unter dem Titel „Lex mihi ars“ (Die Kunst sei mir
       Gesetz) zeigt.
       
       Obwohl der Besucher erfährt, dass 2010 in Italien unter 145.000 Architekten
       42.000 Frauen zu finden waren und in Deutschland unter 100.000 21.000
       Architektinnen, wird der Gender-Aspekt in einer Ausstellung über die
       „Mutter aller Künste“ dann vollständig ausgeblendet. Der zweite Bereich der
       Ausstellung, zum Verhältnis der Architekten zu Film, Musik und Theater,
       bleibt ohne große Entdeckungen, weil es an der Ausarbeitung des Themas
       fehlt.
       
       So ist es zwar an sich interessant zu erfahren, dass sich der Architekt
       Steven Holl in seinem Entwurf für ein Haus in Dallas von musikalischen
       Strukturen Béla Bartóks hat inspirieren lassen und dass umgekehrt der
       Komponist Luigi Nono aus der Architektur Carlo Scarpas eine Komposition
       entwickelte. Nur lässt sich eine derart komplexe Wechselbeziehung eben
       leider auf die Schnelle nicht eigentlich zeigen und bleibt daher mehr
       Behauptung.
       
       ## Der Digital Native staunt in der Wunderkammer
       
       Vielleicht der Höhepunkt der Ausstellung ist dann der Werkstattbereich des
       Architekten: eine Wunderkammer, in der die Entwicklung der
       Architekturzeichnung seit der Antike ebenso zu bestaunen ist wie die
       Vielfalt von Architekturmodellen. Die Digital Natives staunen über die
       Exaktheit und Komplexität manch handgemachter Entwürfe. Und beim Betrachten
       der Arbeits-, Lehr- und Wettbewerbsmodelle namhafter Architektenbüros
       kommen nicht nur anspruchsvollen Bastel-Nerds Tränen in die Augen.
       
       Nerdingers Intention ist es laut eigener Aussage, in seiner
       Abschiedsausstellung „Architektenarchitektur“ zu präsentieren, womit er
       wohl meint, hinter die Fassaden zu schauen und eben auch nach Techniken und
       Materialien zu fragen – die „Kunsthistorikerarchitektur“, also unter
       anderem Stilfragen und die Analyse von Motivwanderungen, sagt er mit einem
       Lächeln, wolle er anderen überlassen.
       
       Was ihm gelingt, ist eine bemerkenswert unpathetische Hommage an einen
       Berufsstand, dessen Selbstverständnis sich nie darauf reduziert hat, bloß
       Oberflächengestalter hervorzubringen. Hinter die Fassaden des Umgangs mit
       der Vergangenheit blicken muss Nerdinger in seinem neuen Job als
       Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums in München, das 2014
       eröffnet werden soll. Da ist ein Baumeister einer kritischen
       Erinnerungskultur gefragt.
       
       ## „Der Architekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“ Bis 3.
       Februar 2013, Pinakothek der Moderne, München. Katalog (Prestel Verlag): 2
       Bände, 76 bzw. 98 Euro
       
       4 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) K. Erik Franzen
       
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