# taz.de -- Debatte Waffen in den USA: Von Gewalt durchsetzt
       
       > Das Massaker von Newtown ist das Ergebnis von Militarisierung und
       > Gewaltkultur in einer sich schnell verändernden Gesellschaft voller
       > Verlierer.
       
 (IMG) Bild: Schnellfeuerwaffen in Arizona – „for recreational use“, als Freizeitbeschäftigung.
       
       Als am vergangenen Freitag das Massaker von Connecticut die Eilmeldungen
       bestimmte, lief gleichzeitig seit Tagen eine öffentliche Debatte über die
       Folter von Gefangenen, angestoßen durch den neuen Film „Zero Dark Thirty“
       über die Tötung Osama bin Ladens.
       
       Vielleicht ist das mehr als nur ein Zufall. Unsere Polizei hat schon lange
       Verdächtige beim Verhör gefoltert. In den Kriminalfilmen der 30er und 40er
       Jahre heißt das „der dritte Grad“. Unsere Polizeikräfte gehen mit den
       Bürgerrechten nicht zimperlich um. Bürgerrechtsorganisationen sind Vollzeit
       damit beschäftigt, um Entschädigungen für exzessive Polizeigewalt zu
       kämpfen.
       
       Indessen billigen die Gerichte der Polizei einen großen
       Interpretationsspielraum bei der Entscheidung darüber, was zulässig ist,
       zu. Gleiches gilt für die Häufigkeit, mit der die amerikanische Polizei zur
       Schusswaffe greift.
       
       ## Von Feinden umzingelt
       
       Allgemein wird das auf die Erfahrungen aus den Zeiten der Besiedlung
       zurückgeführt mit ihrer Selbstjustiz und dem Kampf gegen die Indianer.
       Diese Zeit ist mit Beginn des letzten Jahrhunderts von der Realität zur
       Erinnerung und schließlich zum Mythos geworden.
       
       Mit dem Krieg gegen Mexiko von 1846 bis 1848 begann die militärische
       Expansion amerikanischer Macht, ging weiter mit dem Krieg gegen Spanien
       1898 und schloss jede Menge Interventionen in Lateinamerika ein, genau wie
       unsere zu unserem Vorteil getimten Kriegseintritte in die zwei großen
       Kriege des 20. Jahrhunderts. Es folgten die Vorbereitung auf Atomkriege mit
       der alten Sowjetunion und China, Kriege in Korea, Vietnam, auf dem Balkan
       und im Mittleren Osten, die Stationierung von US-Truppen in so vielen
       Ländern, dass nicht einmal unsere Verteidigungsminister alle aufzählen
       können.
       
       Geheimaktionen, die kaum geheim sind, die Organisation und Finanzierung von
       Kriegen durch Vasallen und Verbündete – wie etwa die Unterstützung des Irak
       gegen Iran – gehören schon so sehr zur Routine, dass jede Kritik daran
       völlig utopisch erscheint. Die Idee einer von Feinden umzingelten Nation
       entstand nicht am 11. September 2001, aber viele US-Amerikaner fanden sie
       an diesem Tag bestätigt.
       
       Der Kampf gegen Gewaltkriminalität war immer und ist noch eine nur schlecht
       verschleierte Kampagne zur Kontrolle von Immigranten und Minderheiten. Eine
       perverse Interpretation des Zweiten Verfassungszusatzes – der das
       Waffentragen für öffentliche Zwecke wie lokale Milizen legitimierte –
       erlaubt es Privatpersonen, große Arsenale von Schusswaffen anzuhäufen. Es
       gibt in den USA genauso viele Waffen aller Art wie Einwohner: 300
       Millionen. Eines der meistgenannten Motive für individuellen Waffenbesitz
       ist nicht etwa die Jagd, sondern der Schutz vor „Verbrechen“. Ergebnis ist
       ein riesiges Ausmaß häuslicher Gewalt. Der Mörder von Connecticut brachte
       erst seine Mutter mit deren eigenen Waffen um, bevor er sich zur Sandy Hook
       Elementary School aufmachte.
       
       ## Legitimierung von Gewalt
       
       Die Militarisierung großer Teile unserer Kultur (stellvertretend für viele
       und besonders unsere kriegstreiberischsten Politiker, Professoren und
       Publizisten) ist Teil einer allgemeinen Legitimierung von Gewalt.
       
       Als Osama bin Laden und seine Familie von US-Einheiten umgebracht wurden,
       die gar nicht erst versuchten, sie gefangen zu nehmen, versammelten sich
       vor dem Weißen Haus Menschen, die „USA! USA!“ schrien, als wären sie bei
       einem Länderspiel. Eine bestimmte Art Patriotismus hat sich mit einem
       Männlichkeits- und Härtekult verbunden. Die schärfste Kritik an Obamas
       Außenpolitik lautet, dass sie nicht aggressiv genug sei. Auch der
       republikanische Herausforderer Mitt Romney griff im jüngsten Wahlkampf auf
       peinlich primitive Vorstellungen zurück.
       
       Trotz starker kirchlicher, familiärer und nachbarschaftlicher Institutionen
       in großen Teilen unserer Gesellschaft geht gegenseitige Fürsorge und
       Solidarität in unserer Kultur immer mit einem Selbstbehauptungswahn einher,
       als sei niemand wirklich auf Unterstützung angewiesen. Das ist mehr Fiktion
       als Faktum. Jene Bundesstaaten, die republikanisch wählen, sind
       Nettoempfänger von Bundesmitteln: Ihre Bürger sind abhängig vom Rest von
       uns, aber das hält sie nicht davon ab, unsere angebliche Unfähigkeit zu
       beklagen, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen.
       
       Es geht um eine soziale Atmosphäre und Glauben. Institutionen und Politik
       sind auch involviert. Der Präsident war der Ansicht, dass er in seiner
       ersten Amtszeit genug zu tun hatte, um gegen die sehr mächtige Waffenlobby
       und die ihr treu ergebenen Volksvertreter vorzugehen.
       
       ## Hass, Hass, Hass
       
       Präsident John F. Kennedy war das Opfer einer Verschwörung, aber Bürger mit
       Persönlichkeitsstörungen waren an dem geglückten Angriff auf Präsident
       Ronald Reagan beteiligt, genau wie an den gescheiterten auf Gerald Ford und
       Bill Clinton – und vermutlich an einigen auf beide Bushs und auf Barack
       Obama, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfahren hat. Obama hat gute
       Gründe, jenes Drittel der Nation zu fürchten, das ihn für illegitim hält;
       vielleicht denkt er an die Sicherheit seiner eigenen Familie. Der
       Geheimdienst hat eine ganze Abteilung, die nur damit befasst ist, an den
       Präsidenten gerichteten Drohungen in wütenden Blogeinträgen nachzugehen.
       
       Wie wir in unseren Gemeinden und Schulen mit psychischen Problemen umgehen,
       kann nicht gerade als Modell der Präventivmedizin gelten. Die Seelsorge der
       Kirchen lässt viele außen vor. In einer komplexen und sich verändernden
       Gesellschaft, in der viele darum kämpfen und daran scheitern, ihren Platz
       zu finden, sind individuelle Abstürze unvermeidlich – sie bringen jede
       Menge Hass hervor. Diese verlorenen Seelen wandern durch eine Landschaft,
       die von Gewaltdarstellungen in Filmen und Druckerzeugnissen, im Fernsehen
       und im Internet verseucht ist.
       
       Die Nation betrauert die Toten von Connecticut, aber niemand denkt an die
       Hochzeitsgesellschaften in Asien, die von unseren Drohnen getroffen werden.
       Das ist verständlich: Wir bereiten uns längst auf den nächsten Horror zu
       Hause vor.
       
       17 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Norman Birnbaum
       
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