# taz.de -- Prozess um Ermittlungen mit Gentests: Vorsicht mit den Wattestäbchen
       
       > Ermittler dürfen Beinahe-Treffer bei DNA-Proben nicht verwenden, hat der
       > Bundesgerichtshof geurteilt. Für den Fall, um den es ging, gilt das aber
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Genauer Treffer? Dann darf das Ergebnis genutzt werden.
       
       KARLSRUHE taz | Massen-Gentests der Polizei dürfen nur zur Suche nach dem
       Täter einer Straftat genutzt werden. Beinahe-Treffer, die auf Verwandte des
       Täters hinweisen, müssen ignoriert werden, entschied jetzt der
       Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Nur im konkreten Fall
       machte das Gericht eine Ausnahme.
       
       Dabei ging es um eine Vergewaltigung in der Gemeinde Dörpen im Emsland. Im
       Sommer 2010 war dort eine 27-jährige Frau überfallen und vergewaltigt
       worden. Wichtigste Spur war ein Blutfleck, den der Täter auf dem T-Shirt
       des Opfers hinterlassen hat. Eine Abfrage bei der DNA-Analysedatei in
       Wiesbaden ergab keinen Treffer, es handelte sich also nicht um einen
       bekannten Sexualverbrecher. Die Frau beschrieb den Täter als etwa
       25-jährig. Deshalb forderte die Polizei alle 18- bis 40-jährigen Männer der
       Gegend zur freiwilligen Abgabe einer Speichelprobe auf. 2.406 Männer nahmen
       teil – nicht aber der Täter, der damals erst 16 war.
       
       Obwohl der Massen-Gentest also keinen Treffer ergeben konnte, fielen dem
       Hannoveraner Landeskriminalamt zwei Beinahe-Treffer auf. Hier ähnelte das
       DNA-Muster der Tatortspur so sehr, dass es sich um Verwandte des Täters
       handeln musste. Tatsächlich hatten Vater und Onkel des 16-Jährigen am Test
       teilgenommen. Da der Jugendliche nun als verdächtig galt, ordnete ein
       Richter eine gezielte Speichelprobe an, die dann seine Täterschaft
       tatsächlich belegte. Er wurde vom Landgericht Osnabrück zu einer
       Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt.
       
       Wie der BGH jetzt aber feststellte, handelte die Polizei dabei
       rechtswidrig. Die Speichelproben aus einem Massen-Gentest dürfen laut
       Strafprozessordnung nur danach untersucht werden, ob sie mit der Tatortspur
       übereinstimmen. Andere Untersuchungen, zum Beispiel auf
       Verwandtschaftsverhältnisse, sind verboten. Allerdings gilt im deutschen
       Recht die Regel, dass auch illegal erhobene Beweise grundsätzlich vor
       Gericht verwertet werden dürfen – es sei denn, die Polizei missachtete die
       Gesetze absichtlich. Das nahm der BGH in diesem Fall nicht an. Bisher sei
       die Rechtslage zum Umgang mit Beinahe-Treffern „völlig ungeklärt“ gewesen,
       so die Richter. Deshalb bleibt die Verurteilung des Vergewaltigers
       bestehen.
       
       ## „Verwertungsverbot“
       
       Nach der jetzt erfolgten Klärung der Rechtslage bestehe künftig allerdings
       ein „Verwertungsverbot“ für Beinahe-Treffer und darauf beruhende
       Ermittlungsergebnisse, sagte der Vorsitzende Richter Jörg-Peter Becker.
       
       Um Beinahe-Treffer in Zukunft nutzen zu können, müsste erst die
       Strafprozessordnung geändert werden. Genau dies forderte am Donnerstag der
       niedersächsische Justizminister Bernd Busemann (CDU): „Beinahe-Treffer
       müssen in Zukunft gerichtlich verwertbar sein.“
       
       Für Änderungen der Strafprozessordnung ist Justizministerin Sabine
       Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zuständig. Diese begrüßte gestern das
       BGH-Urteil und wollte vor rechtspolitischen Schlussfolgerungen erst einmal
       die BGH-Begründung abwarten.
       
       Das Problem der Beinahe-Treffer stellt sich aber nicht nur bei
       Massen-Gentests, sondern auch bei jedem Abgleich einer Tatortspur mit der
       DNA-Analysedatei, in der die DNA-Profile von inzwischen rund 770.000
       Straftätern gespeichert sind. Dort werden routinemäßig auch Beinahe-Treffer
       angezeigt. Ob diese dann für Ermittlungen verwendet werden, muss derzeit
       noch die jeweilige Polizei entscheiden. Beim Bundeskriminalamt gibt es
       heute schon eine Vorschrift, die die Verwendung von Beinahe-Treffern
       ausschließt. Bei den Kriminalpolizeien der Länder sieht dies möglicherweise
       anders aus.
       
       20 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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