# taz.de -- Film über Sextourismuns: Europäische Überheblichkeit
       
       > Eine Wienerin, Mitte 50, sehnt sich nach Zärtlichkeit und Sex. Bei den
       > Beach Boys in Kenia wird sie fündig. Ulrich Seidls neuer Film „Paradies:
       > Liebe“.
       
 (IMG) Bild: Als sei sie Goyas schöne Nackte: Margarete Tiesel als Teresa in „Paradies: Liebe“.
       
       Als Ulrich Seidls Film „Paradies: Liebe“ beim Festival von Cannes lief,
       hatte einer der Darsteller Schwierigkeiten, rechtzeitig anzureisen. Bei der
       Pressekonferenz erklärte der Wiener Regisseur, der junge Kenianer Peter
       Kazungu habe Probleme mit Pass und Visum bekommen.
       
       Das war insofern bezeichnend, als eine der Asymmetrien, um die der Film
       unentwegt kreist, jäh zutage trat. Ein Österreicher oder ein Franzose hätte
       ohne Probleme ein Touristenvisum für Kenia erhalten, einem Kenianer wird
       ein solches Visum für den Schengen-Raum rasch verwehrt. Gleichberechtigung
       ist ein ferner Traum, wo es um das Verhältnis von Afrika und Europa geht.
       
       So schaffte es Kazungu zwar gerade eben, im Palais du Festival auf dem
       Podium Platz zu nehmen, den Film aber hatte er zu diesem Zeitpunkt noch
       nicht sehen können. Deswegen hatte es keinen Sinn ihn zu fragen, wie er
       sich darin dargestellt sieht. Das war schade, denn von ihm, der sich im
       echten Leben wie im Film als Beach Boy verdingt, also als einer, der die
       romantischen und sexuellen Bedürfnisse europäischer Frauen erfüllt und sich
       dafür aushalten lässt, hätte man gern erfahren, ob er mit dem Blick, den
       der Film auf ihn wirft, etwas anfangen kann.
       
       Zugleich hat es etwas von einem Reflex, wenn sich diese Frage so sehr
       aufdrängt. Dass der Zuschauer sich beim Laiendarsteller vergewissern
       möchte, ob der mit dem fertigen Film einverstanden ist, ist eine
       unwillkürliche Reaktion auf die Unsicherheit, die Seidls Arbeiten
       regelmäßig auslösen. In ähnlichem Maße wie „Hundstage“ oder „Import/
       Export“ wirft „Paradies: Liebe“ die Frage auf, wie der Regisseur mit den
       Akteuren, die er engagiert, umgeht. Stellt er sie bloß? Oder verleiht er
       ihnen, im Gegenteil, eine besondere Form der Würde, die ihnen die
       schwierigen Verhältnisse, in denen sie leben, vorenthalten? Hätte Peter
       Kazungu in Cannes gesagt, er möge Seidls Film, er hätte das Publikum,
       zumindest auf den ersten Blick, entlastet. Es wäre von der schwierigen
       Aufgabe befreit, selbst eine Antwort zu finden.
       
       ## Paradies-Triologie
       
       „Paradies: Liebe“ ist der erste Teil einer ehrgeizigen Trilogie, der
       zweite, „Paradies: Glaube“, erlebte seine Uraufführung im September bei der
       Mostra von Venedig, die Premiere von „Paradies: Hoffnung“ wird während der
       Berlinale stattfinden. Es geht im ersten Teil längst nicht nur um den Beach
       Boy namens Mungu; im Mittelpunkt steht vielmehr die Wienerin Teresa
       (Margarethe Tiesel), eine Frau Mitte fünfzig. Sie hat eine pubertierende
       Tochter, die sie ohne Partner großzieht, und sie arbeitet als Pflegerin für
       Behinderte. In der spektakulären ersten Sequenz des Films steht sie vor der
       exotischen Dekoration eines Autoskooters, auf der Piste vergnügen sich ihre
       Schützlinge, Menschen mit Downsyndrom; die Kamera schaut von der Haube der
       Autoskooter in selige Gesichter.
       
       Wenige Szenen später reist Teresa nach Kenia, an die Stelle der exotischen
       Kulisse im Autoskooter tritt also ein echter Palmenstrand, säuberlich
       aufgeteilt in einen Bereich, der zum Hotel gehört, und einen, den die Beach
       Boys besiedeln. Eine Kordel trennt die beiden Sphären; die Kameramänner
       Edward Lachmann und Wolfgang Thaler bringen diese Aufteilung mehrmals in
       sorgfältig komponierten Totalen zum Vorschein.
       
       Teresa fühlt sich dick und hässlich; sie dürstet nach Zuwendung. Als sie
       Mungu begegnet, ist sie so naiv zu glauben, eine romantische Beziehung mit
       ihm zu führen. Die Enttäuschung ist programmiert, ändert aber nichts daran,
       dass die Figur ihrer Verwundbarkeit zum Trotz ein Paradebeispiel
       europäischer Überheblichkeit ist. Wenn die kenianischen Männer nicht tun,
       was sie möchte, wird sie herrisch. „Paradies: Liebe“ lotet diese tiefe
       Ambivalenz aus Bedürftigkeit und Arroganz aus, er wirft seiner Hauptfigur
       nicht vor, was sie tut, er entwickelt sogar ein Gespür für die Komik, die
       in dieser verqueren, neokolonialen Austauschbeziehung eben auch steckt.
       Aber zugleich erspart der Film seinem Publikum nichts.
       
       ## Zum Geburtstag einen Lover
       
       Gegen Ende etwa findet sich eine lange, deprimierende Sequenz, in der
       Teresa und drei Freundinnen sich an einem jungen Mann schadlos halten, auch
       er wird von einem Laiendarsteller, der im echten Leben als Beach Boy
       arbeitet, verkörpert. Es ist Teresas Geburtstag, der Mann ein Geschenk der
       Freundinnen, er tanzt für sie in der Hotelsuite, doch das, wofür sie ihn
       bezahlt haben, die Erektion, will sich nicht recht einstellen.
       
       An diesen Bildern entzünden sich all die Fragen, die Seidls Oeuvre seit
       Jahr und Tag umstellen. Es sind Fragen, die sich nicht erübrigen, nur weil
       der Vorwurf, der Regisseur beute seine Protagonisten aus, schon oft und auf
       billige Weise erhoben wurde. Sie stellen sich bei jedem Film neu: Wenn
       Seidl einen Beach Boy anheuert und ihn mit halber Erektion filmt, verhält
       er sich dann nicht ähnlich wie die Freierinnen? Nutzt er nicht die
       Schieflage in Sachen Wohlstand, Macht und Mobilität aus, so wie es die
       Europäerinnen in Kenia tun? Bekräftigt er damit die Erbärmlichkeit von
       Verhältnissen, in denen Frauen über fünfzig keinen anderen Weg als die
       Fernreise finden, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu stillen, und Männer in
       Kenia, Ghana oder in der Karibik darauf angewiesen sind, Sex und Gefühle zu
       veräußern?
       
       Es gibt auf diese Fragen keine abschließende Antwort. Wer sie bejaht, setzt
       sich selbst auf ein hohes moralisches Ross, wer sie als abgedroschen abtut,
       verkennt ihre Dringlichkeit. Vermutlich liegt in der quälenden
       Unabgeschlossenheit genau die Qualität des Films.
       
       Doch auch diese Qualität schafft einen leisen Zweifel nicht aus der Welt.
       Der liegt darin begründet, dass Seidl und die Ko-Autorin Veronika Franz das
       Elend, das in „Paradies: Liebe“ aufscheint, ja nicht vorgefunden, sondern
       erfunden haben. So virtuos der Film im Einzelnen inszeniert ist, etwa in
       den Einstellungen, in denen Teresa auf der Bettstatt unterm Moskitonetz
       döst, als sei sie Goyas schöne Nackte, so bleibt doch ein Unbehagen, denn
       die Figuren, auf die mit Zärtlichkeit zu blicken der Wunsch des Film sein
       mag, erscheinen ein klein wenig zu klar konturiert in ihrer Not. Die Frage,
       inwieweit die eurozentrische Überheblichkeit der weiblichen Hauptfigur und
       das Pendant, die subalterne Verschlagenheit der Beach Boys, Resultat einer
       gewaltigen Konstruktions- und Projektionsanstrengung sind, treibt einen
       noch lange nach dem Abspann um.
       
       2 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
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