# taz.de -- Sozialbewegungen in Brasilien: Aktivisten werden zur Zielscheibe
       
       > Am Amazonas bedroht die Expansion von Holzindustrie und industrieller
       > Landwirtschaft die bisherigen Bewohner. Wer dagegen kämpft lebt
       > gefährlich.
       
 (IMG) Bild: Protest mit brennenden Reifen: die Landlosenbewegung MST blockiert in Brasilia eine Straße.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará leben
       Aktivisten sozialer Bewegungen gefährlich. Immer wieder kommt es zu
       Mordanschlägen. Todesdrohungen sind an der Tagesordnung. Das letzte Opfer
       war Mamede Gomez de Oliveira, ein Aktivist der Landlosen-Bewegung MST.
       Einen Tag vor Weihnachten wurde der 58-Jährige in Belém, der Hauptstadt des
       Bundesstaates, erschossen. Sein Engagement für ökologische Landwirtschaft
       war der mächtigen Agrarlobby schon seit Langem ein Dorn im Auge.
       
       Auch Laísa Santos Sampaio fürchtet um ihr Leben. Trotz mehrfacher
       Todesdrohungen erhält die Lehrerin keinen Polizeischutz. Das Schutzprogramm
       für Menschenrechtler teilte ihr kürzlich eine vorläufige Ablehnung mit.
       Amnesty International und lokale Menschenrechtsgruppen wollen verhindern,
       dass Laísa Santos das gleiche Schicksal erleidet wie ihre Schwester und ihr
       Schwager. Beide wurden im Mai 2011 von Auftragskillern erschossen.
       
       Die Familie lebte seit 15 Jahren in Nova Ipixuna, im Herzen des
       Amazonasstaates Pará. Sie betrieben ökologische Landwirtschaft und wehrten
       sich gegen Großgrundbesitzer, die ihnen ihr Land streitig machten und
       illegale Abholzungen betrieben. „Die Drohungen begannen schon vor über zehn
       Jahren“, erinnert sich Laísa Santos. „Jetzt kann ich kaum allein auf die
       Straße gehen. Aber ich werde hier nicht weggehen und mich weiter für
       Bildung zur nachhaltigen Entwicklung einsetzen.“
       
       Drei Täter sind in Haft, zwei Auftraggeber aber immer noch frei. In Pará
       herrscht weitgehend Straffreiheit. Die Konflikte um Landbesitz werden meist
       brutal ausgetragen. Die Landpastorale (CPT) der katholischen Kirche zählte
       in Pará im Jahr 2011 zwölf Mordfälle mit diesem Motiv und 78 Morddrohungen.
       80 Prozent aller Todesfälle in Verbindung mit Landkonflikten geschehen im
       Amazonasgebiet.
       
       Mit der wirtschaftlichen Erschließung des teils schwer zugänglichen
       Amazonasgebiets seit den 90er Jahren haben die Konflikte zugenommen.
       Verschiedene Wirtschaftssektoren dringen in Gebiete vor, in denen
       Kleinbauern, Indigene oder Nachfahren entflohener Sklaven – sogenannte
       Quilombolas – zuvor ungestört von Subsistenzwirtschaft lebten.
       
       Den Anfang machte die Holzindustrie, die auf der Suche nach Edelhölzern
       trotz gesetzlicher Beschränkungen immer tiefer in den Urwald vordringt.
       Schneller noch sind die Veränderungen durch die industrielle
       Landwirtschaft, deren Rinderweiden oder Sojapflanzungen Hauptgrund der
       Abholzungen sind. Auch große Infrastrukturprojekte der Regierung wie
       Wasserkraftwerke oder Industrieparks beschleunigen den Wandel.
       
       „Die Landkonflikte, genauer gesagt die Vertreibung alteingesessener
       Bewohner durch Großgrundbesitzer oder Unternehmen, sind immer noch der
       Hauptgrund für die Gewalt,“ sagt Marco Apolo, Rechtsberater der
       Menschenrechtsorganisation SDDH im Belém. „Mittlerweile haben aber ein
       Viertel der Gewalttaten ihre Ursache in Umweltkonflikten, beispielsweise
       durch den Bau des Staudamms Belo Monte“, so Apolo zur taz.
       
       ## Staat kriminalisiert soziale Bewegungen
       
       Die Landpastorale beklagt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Region
       weder die Natur noch die Menschen vor Ort einbezieht. „Die Daten über die
       Gewalt zeugen von einem erklärten Krieg gegen alles, was sich der
       Entwicklung und dem Fortschritt entgegenstellt. Er richtet sich gegen
       Indigene und andere traditionelle Gemeinden, da ihre Lebensweise dem
       vorherrschenden Entwicklungsmodell entgegensteht“, schrieb die
       Landpastorale in einer Presseerklärung zur Gewalt auf dem Land.
       
       Die Repression beschränkt sich nicht auf Morde und Todesdrohungen. Laut
       Rechtsanwalt Marco Apolo werden mittlerweile diejenigen, die sich gegen die
       Missstände wehren, seitens des Staates kriminalisiert. „Wir beobachten
       zunehmend, dass soziale Bewegungen und besonders deren Sprecher von den
       Machthabern als Kriminelle bezeichnet werden.“ Damit werde deren Anliegen
       diskreditiert. Es sei eine Demoralisierung der Aktivisten, so Apolo. „Der
       Staat lässt also nicht nur die Gewalttaten zu, er ergreift nun auch Partei,
       indem er sein Gewaltmonopol gegen die Menschenrechtler einsetzt.“
       
       9 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
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